Vernetzung als Voraussetzung für gelingende Bildung im Stadtteil

- Alleine ist jeder an seiner Grenze –


Kontakt:

Hauptstelle RAA, Dr. Monika Springer-Geldmacher, Tiegelstraße 27, 45141 Essen, Tel.: 0201 / 8328 – 304, Fax: 0201 / 8328 – 333, Email: Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, du musst Javascript aktivieren, damit du sie sehen kannst , Internet: www.raa.de

Referat bei der Tagung "Stadtteilorientierte Familienbildung und Sprachförderung am 22.11.07" in Hannover


 

 

Unser Konzept ist, für die Aufgabe von Elternbegleiterinnen für Rucksack-Elterngruppen solche Personen anzusprechen, die selber Mütter von Kindern sind, die in eine Kindertageseinrichtung des Stadtteils gehen und die Welt der anderen Mütter kennen, die wissen welche Sorgen und Nöte in ihrem Wohnquartier, bei ihren Nachbarn vorherrschen.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele Eltern mit einer Zuwanderungsgeschichte zwar in der Gruppe der Landsleute gut aufgehoben sind, dass sie sich aber verhältnismäßig reserviert gegenüber der deutschen Gesellschaft und verloren gegenüber den deutschen Bildungseinrichtungen fühlen.

Wenn sie von einer Frau aus der Nachbarschaft, aus der Kita ihrer Kinder angesprochen werden, sich an einer Rucksack-Gruppe zu beteiligen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie teilnehmen werden groß. Denn diese Frau spricht ja ihre Sprache, ihr kann Vertrauen entgegen gebracht werden.

Vonseiten der Erzieherinnen und Erzieher höre ich im Rahmen von Fortbildungen häufig Vorurteile: Die Eltern mit Zuwanderungsgeschichte interessieren sich nicht für unsere Arbeit in der Kita, sie bringen ihre Kinder, grüßen kaum und sind gleich wieder weg.

Wenn sie die Eltern fragen würden, würden diese wahrscheinlich sagen: "Die Erzieherin meines Kindes würdigt mich keines Blickes, sie grüßt mich kaum, ich fühle mich nicht willkommen und gehe immer so schnell wie möglich wieder fort."

Gegenseitige Vorurteile verstellen also den Blick auf den jeweils anderen. Die Elternbegleiterin nimmt die Mittlerstelle zwischen den Eltern und den Erzieherinnen und Erziehern der Kita ein. Rucksack ist nicht ein Anhängsel sondern soll ein Teil des Konzeptes der Kita sein. Alle Erzieherinnen der Kita sollen die Arbeit mit Eltern als wichtigen Schwerpunkt ihrer Arbeit ansehen. Die Eltern sind die wichtigsten Erzieher ihrer Kinder, mit ihnen verbringen die Kinder mehr Zeit als mit ErzieherInnen oder LehrerInnen. Die Kita hat ein gutes Elternkonzept, wenn sie die Eltern als Experten ihrer Kinder wahrnimmt und ihre Erkenntnisse über die Kinder mit den Eltern teilt. Eine gut Deutsch sprechende Elternbegleiterin ist eine gute Mittlerin zwischen den ErzieherInnen und den Eltern mit Zuwanderungsgeschichte.

 

 

Das Konzept von Rucksack gibt vor, dass die Eltern die Aktivitäten mit ihren Kindern in der Sprache ihres Herzens durchführen. Das ist in der Regel die Muttersprache. Viele Mütter mit Zuwanderungsgeschichte sind nicht so perfekt in der deutschen Sprache wie Isabella. Es wäre wenig hilfreich für die Sprachentwicklung ihrer Kinder, wenn sie mit ihren Kindern in Deutsch radebrechen würden. Hilfreich für die Sprachentwicklung ist dagegen, wenn sie viel und variationsreich mit ihren Kindern in ihrer Sprache kommunizieren. Wie sie das machen können, lernen sie in der Rucksack-Gruppe. Viele Eltern berichten, dass sie durch die Rucksack-Gruppe ihre eigenen muttersprachlichen Kenntnisse erweitern, weil sie sich viel mit Sprache beschäftigen. Und die Kinder erzählen, dass sie, seit die Mutter in der Rucksack-Gruppe ist, ganz anders mit ihnen spricht. Und der Papa auch, der den Kindern nunmehr des Abends vor dem Zubettgehen vorliest.

Die Erzieherinnen und Erzieher dagegen sollen die Kinder in der Zweitsprache Deutsch fördern. Am besten gelingt dies, wenn die Kinder in der Einrichtung das Thema im Deutschen wiedererkennen, das sie mit ihrer Mutter in ihrer Sprache behandeln. D.h. Erzieher und Erzieherinnen sollten das Thema der Mütter kennen und wann immer sich situativ im Regelbetrieb des Kindergartens die Gelegenheit gibt, es im Deutschen aufnehmen: bei der sprachlichen Begleitung aller Tätigkeiten, im Morgenkreis mithilfe einer Handpuppe, die das Thema in die Gruppe trägt. Weiter gibt es viele Sprachförderprogramme, die mit den Rucksackthemen kompatibel sind, es also möglich machen, in der gezielten Sprachfördergruppe die gleichen Themen der Rucksack-Mütter-Gruppe im Sinne von Deutsch als Zweitsprachenförderung zu behandeln. Die Kindertageseinrichtung ist bei Wertschätzung der Erstsprachen der Kinder verantwortlich für Vermittlung und Pflege der Zweitsprache Deutsch. Das Rucksackprogramm sieht eine zweigleisige Förderung von Familiensprache und Zweitsprache Deutsch vor und hebt sich von den eingleisig verlaufenden Sprachförderkursen in der deutschen Sprache ab.

Die Spracherwerbsforschung ist voll von Hinweisen darauf, dass zweisprachiges Aufwachsen für die Entwicklung der geistigen Leistungsfähigkeit von den ganz Kleinen äußerst günstig ist. Bezogen auf die Situation von Kindern aus Zuwandererfamilien bildet die erste Sprache zudem ein Potential, das für ihre Zukunft als zusätzliche sprachliche Kompetenz gesichert werden sollte. Mit dem Programm Rucksack binden wir die Eltern für die Sicherung der Erstsprache, die Erzieher und Erzieherinnen in der Kindertageseinrichtung für die Vermittlung der Zweitsprache Deutsch ein.

 

 

Nicht alle Eltern sind sich ihrer Sache so sicher, wie Isabella.

Nicht alle Eltern wissen so genau, was gut für ihre Kinder ist.

Es gibt Faktoren, die die Entwicklung der Kinder stören können. Diese können in der rechtlichen Unsicherheit für den Aufenthaltsstatus bei Zuwanderern oder im bildungsfernen Elternhaus liegen, sie können in einem anregungsarmen Milieu und in Lebensumständen im Stadtteil kumulieren, die sich negativ auf die Erziehungskapazität der Eltern auswirken können.

Pisa hat nachgewiesen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass niedrige Sozialschicht und niedriges Bildungsniveau die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Kinder zu den extrem schwachen Lernern gehören.

Mit Rucksack erreichen wir die bildungsfernen, aber bildungswilligen Eltern und wir geben den ErzieherInnen Hinweise für eine Förderung in der Zweitsprache Deutsch.

Über die sprachliche Komponente hinaus möchten wir die Kompetenz der Eltern für die allgemeine Entwicklungsförderung ihrer Kinder stärken. Neben den vorgeschlagenen Aktivitäten, die die Eltern mit ihren Kindern zu Hause durchführen sollen, damit sich ihre Kinder gut entwickeln, sollen die Eltern selbst in der Rucksack-Gruppe die Themen bestimmen, die für sie wichtig sind und die sie vertiefen möchten.

 

 

Das Programm Rucksack bietet die Möglichkeit, Eltern die Fähigkeit des Entwicklung fördernden Lernens zu vermitteln. Mütter werden als Expertinnen für die Förderung der Erstsprache angesprochen, nicht orientiert an ihren Defiziten sondern an ihren Stärken. Mütter werden in ihrer Sozialisationskompetenz gestärkt. Mit der kontinuierlichen, schrittweisen Vermittlung über einen Mindestzeitraum von neun Monaten wächst ihre erzieherische Kompetenz. Die Mütter tragen zudem ihre Erfahrungen in ihre Familie, sie geben ihre Erkenntnisse an ihren Ehemann und weitere Familienmitglieder weiter und binden sie in ihre erzieherischen Aktivitäten ein.

 

 

Die Elternbegleiterinnen und die ErzieherInnen sollten ihre Arbeit begleitende Weiterbildungsangebote erhalten, die sie interkulturell sensibilisieren und kommunikations- und konfliktfähig machen. ErzieherInnen sollten die Fähigkeit für eine gute Beobachtung der Kinder für eine auf ihre Bedürfnisse bezogene Sprachförderung und für eine Verantwortung teilende Arbeit mit Eltern erwerben. In einer interkulturell arbeitenden Kita sollten bezogen auf die Lebenswelt im Stadtteil materielle, soziale, pädagogische und das Bildungssystem betreffende Lösungen gefunden werden.

In NRW ist mit dem Jahr 2006 der Startschuss für Familienzentren gefallen, die sich bis zum Jahr 2010 auf 3000 summieren sollen. Ein Familienzentrum ist eine Weiterentwicklung einer Kindertageseinrichtung, die für die materielle und soziale Grundbedingung für eine gute Entwicklung von Kindern in ihren Familien Hilfestellung leistet. Erziehungspartnerschaft mit den Eltern und Verbünde mit weiteren im Stadtteil befindlichen Bildungs- und Unterstützungsangeboten stehen ganz oben an. Statt einer isolierten Arbeit am Kind ist ein integriertes Arbeiten verschiedener Akteure mit den Betroffenen und Verantwortlichen das Ziel.

Rucksack als ein Entwicklung förderndes Programm, das Eltern und Erzieherinnen und Erzieher gleichermaßen einbindet, passt gut in ein solches Konzept des Familienzentrums.

 

 

Die Welt der Elternbegleiterinnen wird durch Rucksack erweitert bis zu der Möglichkeit, sich selbst für einen Beruf zu qualifizieren. Die Förderung der Kinder wird durch das aufeinander bezogene Arbeiten von Müttern und ErzieherInnen verbessert.

In Essen kooperieren die RAA, die Familienbildungsstätten der Katholischen Kirche und der AWO und der türkische Elternverband miteinander, um Rucksack stadtweit in allen Kitas mit nennenswertem Anteil an Eltern mit Zuwanderungsgeschichte zu verwirklichen.

Alleine stößt jeder der genannten Akteure bald an seine Grenzen. Miteinander vernetzt, aufeinander bezogen kann Bildung für alle im Stadtteil besser gelingen.

 

Bei einem Seminar habe ich Prof. Fernandez von der Uni Pamplona kennengelernt. Ich komme aus Essen und wurde einmal mit den anderen Stadtteilmüttern zu unserem Oberbürgermeister eingeladen. Ich nehme gerne an Elternkongressen teil. Bei dem letzten habe ich jemanden getroffen, der mir Kinderbücher zur Verfügung stellte. Da ich inzwischen 5 Müttergruppen habe und ich sie dafür begeistern konnte, habe ich für sie in kurzer Zeit fast 100 Bücher bestellt. Es sind Momente, in denen ich in meiner Rolle richtig aufblühe und ich weiß, dass ich das Richtige tue.

 

Ich arbeite jetzt seit 2 ½ Jahren als Stadtteilmutter in gemischten Gruppen. Zur Zeit könnte ich mir keine bessere Arbeit (eigentlich ist es eine Lebensaufgabe) für mich vorstellen. Ich habe so viel über verschiedene Religionen, Kulturen, Sitten, Bräuche, Familien erfahren. Wenn ich mit einzelnen Schicksalen nicht fertig werde, kann ich immer mit der Unterstützung von der RAA oder anderen Stadtteilmüttern rechnen. Ich habe viele wunderbare Menschen getroffen, manche Frage kriegte ich beantwortet, manche Frage konnte ich selber beantworten.

 

"Meine Mütter" haben es vielleicht nicht immer ganz leicht mit mir. Ich habe nie versucht, jemanden zu erziehen. Jede Mutter tut das Beste für ihr Kind. Ich möchte sie nur für meine Ideen begeistern und eigentlich nur eines vermitteln: Die Zeit, die du mit deinem Kind verbringst, kann dir keiner mehr wegnehmen. Du musst das nur von Herzen tun und auch die Sprache deines Herzens sprechen.

 

Durch meine persönliche Lebenserfahrung mit meinen Mädchen (ich habe zwei "Frühchen") habe ich von Herzen begriffen, was es bedeutet, Kinder zu haben. Mein Leben dreht sich um und mit den Mädchen. Alles was ich mache, sage und umsetze tue ich für die Kinder. Ich bin nicht perfekt und mache gewiss den einen oder anderen Fehler. Aber die Kinder sind das Beste, was uns passieren konnte. Sie brauchen keinen Fernseher rund um die Uhr, Markenklamotten und die neusten Spiele. Sie brauchen Eltern, die Zeit und Geduld haben, sie ernst nehmen, sie liebevoll erziehen aber auch Grenzen setzen, die ihnen die Welt zeigen, in den Arm nehmen und dabei sagen "Du bist mein allergrößter Schatz!"

 

1992 habe ich meinen Ehemann kennengelernt. Er ist ein "waschechter" Deutscher, wie meine Eltern zu sagen pflegen und durch ihn habe ich eine ganz andere Mentalität, Kultur, Verständnis für die Familie kennen gelernt. Ich habe ihm meine Welt gezeigt, er mir seine. 1996 und 2000 haben wir zwei wunderbare Mädchen gekriegt. Sprachlich gesehen habe ich mir nie de Frage stellen müssen, wie die Kinder erzogen werden. Ich habe Deutsch erst mit 16 Jahren gelernt und "Du bist mein klitzekleines Herzchen" hört sich auf polnisch schöner und natürlicher an. Unsere Mädchen werden daher streng zweisprachig erzogen.

 

Mein Name ist Isabella, ich bin 33 Jahre alt und seit knapp 17 Jahren in Deutschland. Ich komme aus einem kleinen Ort in Polen. Ich bin gelernte Gärtnerin, habe auch einige Jahre in dem Beruf gearbeitet. Neben Pflanzen züchten, gießen und düngen habe ich auch unsere Blumen auf den Wochenmärkten verkauft. Dabei habe ich die Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen gemacht. Zwischen der einen oder anderen Blume haben wir über Gott und die Welt gesprochen. Ich habe zugehört und Ratschläge gegeben, wo ich nur konnte. Hör den Menschen zu, sprich mit ihnen und sie werden wiederkommen, um Blumen zu kaufen und um Aufgaben für ihre Kinder zu holen. Ja, die Blumen haben mir bei der Arbeit als Stadtteilmutter geholfen.