Integrale Sicherheit als Gemeinwesenarbeit

Kontakt:

  • Sjaak Khonraad; Lector Avans Hogeschool, Experticecentrum Veiligheid, Onderwijsboulevard 215, NL 5223 DE s’Hertogenbosch, jlhtm.khonraad@avans.nl
  • Janet de Jong, Avans Hogeschool, Projekt Levenskracht, Email: j.dejong@avans.nl
  • Übersetzung: Ueli Troxler » Stadtteilnetz

Dieser Beitrag ist das Manuskript des gleichnamigen Referates bei der Fachtagung "Sicherheit durch Gemeinwesenarbeit" des GWA Netzwerkes Deutschschweiz am 1.12.2011


Einleitung

Vor einiger Zeit hat das Netzwerk Gemeinwesenarbeit (GWA) der Deutsch-Schweiz uns eingeladen, heute aus unseren Erfahrungen und Einsichten zu berichten zur Frage, was GWA anno 2012 für die Verbesserung von Sicherheit und Lebensqualität in den Quartieren und Dörfer beitragen kann. Diese Anfrage nahmen wir gerne an. Erstens, weil das Thema uns sehr anspricht. Zweitens, weil es natürlich eine Ehre ist, hier ein Referat zu halten. Drittens, weil es uns die Chance gibt, ihre schöne Stadt, das internationale Zentrum für Ökonomie und Kunst, aber auch als historischer Treffpunkt von grossen Freidenkern zu besuchen. Kurz: vielen Dank für die Einladung.

Janet wird sich nachher selbst vorstellen – sie übernimmt den zweiten Teil dieses Referates.

Was mich betrifft: ich war viele Jahr tätig als GWA-er an verschiedenen Orten, wo nicht jeder arbeiten wollte. Oder es gewagte dort zu arbeiten. Inzwischen bin ich als Forscher einer grossen Hochschule der Niederlande und der Polizeiakademie auch an einer grossen Anzahl Forschungsprojekten beteiligt, die einen Zusammenhang haben mit dem Thema, um das es hier geht.

Lassen Sie mich beginnen mit fünf Einschränkungen zu meinem Referat. Die erste: mein Hintergrund beschränkt sich auf die niederländische Situation, Quartiere in grossen Städten aber auch auf dem Lande. Die zweite ist, dass ich wohl sehr gerne und viel singe, und am liebsten auf Deutsch, ein Referat in einem Saal voller Kollegen ist aber etwas anderes. Ich befürchte, dass sie in den kommende Minuten eine wissenschaftliche Variante von Rudi Carrell akzeptieren müssen. Die Dritte Einschränkung: wie immer in Referaten wie diesem – die Tiefe geht verloren, die Zeit ist beschränkt, um mehr zu machen, als die Kernpunkte zu streifen. Die vierte Beschränkung ist – wir warnen sie, sie können noch weggehen!! – auch wir können keine glasklare Antwort geben.

Wir hoffen in unserem Beitrag Argumente zu liefern, dass die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen Partnern im Kampf für eine sichere Umgebung verbessert werden muss und verbessert werden kann, und das die GWA dabei einen entscheidenden Beitrag liefern kann. Wir würden es schon ganz schön finden, wenn wir sie durch unsere Erfahrungen mit neuen Einsichten inspirieren können oder ein paar „Handgriffe" einbringen können für die weitere Diskussion. Mit diesen an sie und uns selber gegebene Warnungen kommen wir zur folgenden Agenda:

Agenda

  1. Niederlande, Zweistromland, die GWA im Kontext der Risikogesellschaft
  2. Die GWA in der „Unterströmung" der Gesellschaft
  3. Der GWAer als mitarbeitender Vorarbeiter
  4. Der GWAer als reflexiver Profi
  5. Der GWAer als untersuchender Profi, Aktionsforschung
  6. Ein Beispiel aus der Praxis (durch Jeanet de Jong)

Niederlande Zweistromland: die GWA im Kontext der Risikogesellschaft

Ich muss noch eine fünfte Einschränkung von mir nachschieben: Ich gehöre zu der Gruppe Niederländer, die sich in zunehmenden Maße Sorgen macht über das, was in meinem Land abläuft. Vielleicht ein etwas naiv realistisches, jedoch gastfreundliches, liberales, unternehmerisches Niederland, stets vorne dabei im Streit für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, scheint ein zynisches Land zu werden – kleinlich, ängstlich, aggressiv, intolerant, nationalistisch, lechzend nach Einfachheit und Übersichtlichkeit. Und mit stets weniger Vertrauen: zu sich selber, zueinander und in die demokratischen Institutionen.

Aus dem Gesichtspunkt Lebensqualität und Sicherheit bilden zwei grosse Strömungen einer wachsende Quelle von Sorge. In diesen Strömungen sehe ich, was der deutsch/britische Soziologe Ralph Dahrendorf schon feststellte: eine Entwicklung Richtung einer Zweidrittel-Gesellschaft.

Die erste Strömung betrifft die durchgehend emanzipierten, besser ausgebildeten mündigen und, trotz der Krise, wohlhabenden Bürger in den Mittelstandsquartieren, die sich in zunehmendem Maß unsicher und bedroht fühlen: die Umgebung, die Schule, die Pflege, Aggression und Verwahrlosung, Gewalt und Kriminalität. Und seit kurzem: der Euro, die Hypothek, das Sparkonto, Arbeitsunsicherheit und die Pensionen. Da es teils um unbestimmte Angst geht, die nicht immer durch Fakten erklärt wird, oder selbst in Widerspruch zu den Fakten steht – das GWA Netzwerk hat davon in seiner Einladung schon gesprochen – ändert per Saldo nichts am Ernst der Lage :"Wenn man eine Situation als real definiert, ist dies auch die Realität in ihrer Konsequenz" sagte schon Thomas (Thomastheorem).

Die politische Führungselite bekommt den Vorwurf, sich stets weiter von den Wählern zu entfernen und der gesellschaftlichen Entwicklung hinter her zu rennen, wenn es darauf ankommt, schwierigen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen. D.h. sie beschränkt sich auf die Verwaltung und Beschlussprozesse, die sie kaum versteht, geschweige beeinflussen kann. Die immer breiter werdende, regelnde Bürokratie wird stets grösser und stets öfters zum Monster Frankenstein, das an allem schuld ist. An Stelle einer Lösungsinstanz ist sie gerade mit Ursache von vielen Problemen und steht im Gegensatz zu anstatt im Dienst der Bürger. Doch trotz aller Kritik bleibt die Mehrheit dieser Bürger, wenn es darauf ankommt, dem System gegenüber loyal. Sie fordern vor allem mehr Einfluss auf die politischen Beschlussprozesse.

Meine Damen und Herren: diese Gruppe ist nicht Teil meines Referates.


Der Unterstrom

Unsere Geschichte geht über die andere Strömung: den „Unterstrom". Das sind Menschen, die die Überzeugung haben, dass die Autoritäten, wenn es darauf ankommt, nicht mehr imstande und auch nicht bereit sind, Lösung zu bieten für ihre alltäglichen Sorgen und Nöte.

Diese Überzeugung finden wir in Gruppen und Quartieren, wo seit langem die „Mängel des Modernisierungsprozesses" zusammen kommen und einander verstärken: Verarmung, langdauernde Arbeitslosigkeit und Armut, Kriminalität, Gewalt, Schulausfall, Migration, Isolation und schlechtes Image, Aussichtslosigkeit, schlechte Bewertung und andere Löcher in der sozialen Ozonlage.

In dieser Umgebung finden wir innerhalb dem Konzept von Beck's Risikogesellschaft vor allem Risikoträger: Menschen, Gruppen und Individuen, die sich immer mehr im Stich gelassen fühlen, zweitrangige Bürger sind, sich selbst überlassen. Damit fühlen sie sich auch genötigt, frei und herausgefordert, ihre eigenen Lösungen zu suchen - wenn nötig in grauen, schwarzen, illegalen und kriminellen Kreisen. Oder in der Radikalisierung.

Also entwickeln sich bestimmte Orte, und oft auch ganze Quartiere als Standorte von allerlei Formen von Kriminalität.

Kategorien

Die Zeit fehlt um darauf tiefer einzugehen, aber idealtypisch unterscheide ich vier Kategorien:

  1. Die meist Verletzlichen (Ghandi sprach von the last, the latest, the least and the less). Für sie ist es fast unmöglich, den Entwicklungen zu folgen oder adäquat darauf zu reagieren: Abhängige, Obdachlose, leicht psychiatrische Patienten, alleinstehenden Mütter.
  2. Die Opportunisten, die Mitläufer, die permanent damit beschäftigt sind, ihren kurzfristigen Interessen nach zu jagen, um ein Körnchen mitzubekommen. Oft „Hilfemeider", aber wenn es darauf ankommt, sind sie empfänglich für Bemühungen der Behörden von außen.
  3. Die Kriminellen, die "tough guys", mit dem Mut, der Macht und den Mitteln, um ihre eigenen Lösungen zu wählen. Sie sind nicht nur für viele verletzliche Vorbilder, sondern bekommen oft die grösste Beachtung von ausserhalb.
  4. Die Angepassten, die versuchen, sich soweit wie möglich dem zu entziehen, was sich um sie abspielt. Wenn sie können, ziehen sie aus dem Quartier weg. Solange sie das nicht können, schreien sie, an allen Stellen, damit diese eingreifen.

Womöglich geht es einstweilen zu weit, von "Amerikanischen Zuständen" zu sprechen, oder von "No go areas". Und auch Zustände, wie vor kurzem aus London Tottenham und Manchester berichtet wurden, sind bis heute ausgeblieben. Jedoch: verschiedene grosse und kleine Vorkommnisse deuten darauf hin, dass eine Unterschicht von Randständigen oder Stadtflüchtern entsteht, die unerreichbar sind oder sogar resistent für Bemühung von aussen. Dies mit allen Folgen für die Lebensqualität und Sicherheit im Quartier.

Uber- und Unterströmung treffen einander in einem für niederländische Begriffe verwunderlichen wie auch unheilvollen Mix von Trübsinn und Misstrauen. Schichten, die durch populistische Panikkonservative auf eine Art und Weise effektvoll angegriffen werden, die inzwischen gefährliche Züge annimmt – mit große Folgen für die Stabilität und der Legitimität des Wohlfahrt- und Rechtsstaates. Die Autoritäten scheinen ratlos im Umgang mit dieser Art Entwicklungen.

Anfänglich – als es noch Geld gab – ist, wenigstens in den Niederlanden, in den weichen Sektor in allerlei Projekte, Programme und Massnahmen investiert worden. Ein Einsatz, bei dem die GWA oft eine zentrale Rolle einnahm – und zugewiesen bekam. Die Kritik, nicht zuletzt in der Politik, lautet, das diese Art der (Tiefen)Investitionen kaum einen Beitrag geliefert hat, oder sogar in die falsche Richtung wirkt. In der Tat, der konkrete Mehrwert ist schwierig festzustellen, sicher in gegenseitigen Zusammenhang.

In den letzten Jahren wird vor allem die Antwort gesucht in repressiven Massnahmen. Dies vor allem mit dem Ziel, in jedem Fall die formelle Ordnung sicher zu stellen. Wichtige Beispiele finden wir im Vorgehen gegen Haschlokale und Wohnwagencamps, bei marokkanischen Problemjugendliche oder radikalisierte Banden. Eine Liste, die einfach verlängert werden kann.

Hier lautet die Kritik, dass nur mehr hartes Auftreten – mehr Polizei, strengere Strafen – langzeitig ebenso wenig nachhaltig sind und verkehrte Entwicklungen auslösen: die Gutmütigen weiter von sich zu entfremden oder sogar weiter in die Arme der Kriminalität zu treiben.

Wir gehören zu denjenigen die meinen, dass für eine nachhaltige Verbesserung des sozialen Zusammenhaltes und die Erneuerung der moralischen Macht, mindestens zwei Basisbedingungen vorhanden sein müssen:

  • Mehr zusammenhängende Maßnahmen (als Voraussetzung der Komplexität oder Interdisziplinarität); d.h.: nicht hart oder weich, sondern hart und weich.
  • Neue Arbeits- und Steuerungsprozesse in den Beziehungen zwischen Professionellen und Bewohnern und der Beziehung untereinander (Voraussetzung von Reziprozität).

Die Bedingungen der Komplementarität

Was uns betrifft bedeutet dies die Eroberung der moralischen Macht – Gewinnen der Herzen und Gedanken der Bürger – ein abgewogenes Zusammenspiel von Maßnahmen. Das heisst, dass Massnahmen nicht getrennt und nebeneinander angewendet werden, sondern im Zusammenhang, komplementär miteinander.

Der Zusammenhang kann am Beispiel des folgenden Schemas erklärt werden:

integrale_sicherheit_1
Durch die Anordnung der Begriffe "hart/repressiv" und "weich/präventiv" auf der horizontaler Linie...
integrale_sicherheit_2
... und "physisch" und "sozial" auf der vertikalen Linie entstehen vier Programmquadrante, in die unterschiedliche Massregeln und Massnahmen eingezeichnet werden können.
integrale_sicherheit_3
Aus diesem Schema zeigt sich sofort die gegenseitige Verwobenheit

Wir haben einige Beispiele in die vier Quadranten eingefüllt.

Die Bedingung der Wechselseitigkeit

Herstellen von Vertrauen bei den Bürgern in ihre Behörden erfordert, dass die Behörden konkret und explizit anschliessen an die gerechtfertigten Bedürfnissen und Interessen der Bewohner.

Ein Vorgehen das auf die Stärkung von kleinteiligen sozialen Netzen gerichtet ist, wo Menschen täglich miteinander umgehen und wo die Wechselwirkung mit den Behörden und der Politik stattfindet: im Mikrokosmos der Quartiere.

Wichtig dabei ist eine Veränderung der bürokratischen Logik von den Zentralitätsinteressen der Organisation zu einer Feld- und Aktionslogik.

Eine solche Veränderung zu einem Kooperations- oder dialogischen Model erfordert andere Arbeits- und Steuerungsprozesse, in denen Bewohner und Professionals zusammen interaktiv durch Form und Inhalt bestimmen, was im Quartier nötig und möglich ist.

Das bedeutet, dass Bewohner nicht länger als Objekt des Programms betrachtet werden, sondern als kompetente Akteure, deren Know how und aktive Betroffenheit notwendig sind für den Erfolg der angestrebten Massnahmen.

Und dies, Damen und Herren, ist einfacher gesagt als getan.

Oft scheinen die Profis mehr als zurückhaltend, wenn es darum geht, Kontakt mit den Bürgern aufzunehmen.

Mitsprache und Einfluss scheinen vor allem lästig: ein unausweichlicher, aber irrelevanter, verlangsamender Faktor im Planungsprozess. Widerstand und Weigerung sollten am besten negiert, wenn nötig abgekauft oder wenn es gar nicht anders geht, mit harter Hand bestritten werden.

Was ich meine ist, dass Instanzen Experten sind in ihrem Fachgebiet, sich aber unwohl fühlen oder einfach Angst haben vor denjenigen, für die sie ihre Pläne machen - vor allem, wenn es um Repräsentanten der „Unterströmung" geht.

Und passen Sie auf, meine Damen und Herren: das gilt auch für Profis im sozialen Sektor - auch GWAers. Ich kenne genug, die Angst haben vor der eigenen Zielgruppe!

Wenn es um das Verbinden zwischen Profis untereinander und zwischen Profis und Bürger geht, kann der GWAer als mitarbeitende Vorarbeiter eine wichtige, selbst eine entscheidende Rolle erfüllen. Damit bin ich beim zweiten Punkt meines Referates angelangt.


GWA im Unterstrom der Gesellschaft

Die Dissertation „Es war immer der Beruf der Zukunft. Die Berufsentwicklung der GWA" von Kollege Marta Dozy (2008) zeigt, dass die Geschichte der GWA, wenigstens in den Niederlanden, eine permanente Identitäts- und Wirkungskrise zeigt. Bis in die 80-er Jahre wurde das Arbeitsgebiet stets ausgeweitet, gleichzeitig aber die Professionalisierung vernachlässigt. Und weil ein überzeugter Widerstand fehlte, wurde die GWA anschließend in hohem Tempo wieder reduziert.

Inwiefern die Analyse mit der Entwicklung ausserhalb der Niederlande übereinstimmt, weiss ich nicht. Vielleicht sind die Chancen und die Aussichten bei Ihnen weniger traurig. Aber die Studie von Dozy ist sehr wohl auch für Sie lesenswert.

In einem gemeinsamen Artikel probieren Dozy und ich eine Lanze zu brechen für eine gründliche Neubewertung dieser Berufsgruppe, als unersetzbare Schaltstelle, wenn es um das Verbessern der Lebensqualität und Sicherheit im Quartier geht.

Schaltstelle zwischen Profis

Schalten bedeutet (strategisch) das Verbinden von Gruppierungen - mit ihrer eigenen Sprache, Rationalität und Logik, Verantwortlichkeiten und Interessen – d.h. das Verstärken des professionellen Netzwerkes. Um diese Beziehung visuell zu machen, will ich auf folgendes Schema zurückgreifen.

integrale_sicherheit_4Im Schema zeige ich die verschiedenen Verwaltungsbereiche. Aber natürlich arbeiten in diesen Bereichen Akteure – Profis.

Dass ein nachhaltiges Vorgehen um Sicherheit und Lebensqualität Zusammenhang und Zusammenarbeit voraussetzt, wird in den Niederlanden nirgends bestritten. Gemeinsame Lösungen finden Profis in verschiedenen, organisierten und nicht organisierten Sitzungen, wo die GWA oft auch vertreten ist.

Formell, denn in der Praxis verhalten sich Organisationen durchgehend zurückhaltend, wenn es darum geht, Wissen und Verantwortung zu teilen. Die Zurückhaltung wird oft mit Gesetzen und Regelungen und formellen Abmachungen begründet.

Oft sind es vor allem reine strategische Überlegungen, die zu selektiver Zusammenarbeit führen – oder eben nicht, wenn die Partner einander mehr als Konkurrent dann als Partner betrachten.

Was mich betrifft, ist dies grösstenteils die Folge der Kombination eines weitgehende pervertierten Neo-Liberalismus und eines dogmatischen Weberanischen Glaubens in die bürokratische Logik.

Das heisst: gerade in unsicheren Zeiten haben Autoritäten die Neigung, Prozesse beherrschen zu wollen.

Schalten zwischen Profis und Bewohner

Gleichzeitig vermittelt der GWA-er zwischen Profis und Bewohner. Aber auch das klingt selbstverständlicher, als was oft in der Realität passiert.

So sehe ich in vielen Forschungsberichten, dass sich das Interesse des Profis oft vor allem auf selbstbewusste, aktive oder gerade jammernde Bewohner richtet – oder umgekehrt, eben Bewohner oder Gruppen die Probleme verursachen. Die weniger wehrbaren, weniger lauten Bewohner werden oft negiert oder total vergessen.

Wichtig ist zu wissen – und dabei greife ich zurück auf meinen Unterschied zwischen Bewohnerkategorien – wer die Unruhemacher sind, wer die Opfer, oder die Angepassten.

Hier rühre ich an eine besondere Qualität der GWA-er, der eben die Qualität und die Kontakte hat, nicht allein um den Unterschied zu machen, sondern auch um danach zu handeln.

So gesehen ist der GWA-er doppelt von Interesse. Er operiert im Quartier als einer der Profis – in meinem Quadrant auf der Seite sozial/präventiv. Aber er steht auch, mehr oder weniger, über den Parteien – als Vermittler zu andern Arbeitsgebieten, im Herz des Quadranten, als Personifikation eines integrierten Vorgehens. Der GWA-er als mitarbeitender Vorarbeiter.

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Der GWA als mitarbeitender Vorarbeiter

In unser Vision ist die GWA-er mitarbeitender Vorarbeiter, der Allrounder, die Mittelsperson – so zu sagen der soziale Architekt. Ich komme auf eine Anzahl Kernqualitäten die der GWAer in diesem Kräftespiel erfüllen muss. Natürlich gelten sie im Prinzip für alle Profis. Aber für die GWA sind sie besonders relevant:

  • Eine interdisziplinäre Denk- und Handlungsweise, d.h. im Stand sein um etwas aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und zu einer Synthese zu kommen. Aber auch im Stand und bereit sein um auf verschiedenen Spielfeldern zu arbeiten und zusammen mit anderen Arbeitsbereichen zu einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen - innerhalb und ausserhalb der eigenen Fachlichkeit.
  • Nicht reduktionistisch sein. Das heißt, bereit und im Stand sein die volle Komplexität eines Problems zu sehen, aber es gleichzeitig zurück zu bringen auf eine in der Arbeit händelbare Dimension.
  • (Selbst-)reflexiv sein: d.h. die Möglichkeit haben die eigenen Auffassungen, Selbstverständlichkeiten, eigene Entscheide und das eigene Handeln kritisch zu durchleuchten.
  • Eine untersuchende Haltung haben, d.h. die Geduld und Disziplin aufbringen können, aber auch die notwenigen Fertigkeiten besitzen, um ein Problem sorgfältig zu analysieren und nicht sofort an Lösungen zu denken.

Über die Punkte kann viel gesagt werden, doch nur auf die beiden letzen Themen wollen wir näher eingehen.


Der GWA-er als reflexiver Profi

Arbeiten in, und sich einsetzen für die „Unterströmung" ist herausfordernd, spannend, meistens auch befriedigend, aber gleichzeitig auch voller Risiken.

Stets fordert es ein vortastendes Auftreten, es besteht die Gefahr Macht, Vertrauen und Position zu verlieren. Vertrauen auf den Autopilot – blindes Zurückgreifen auf bestehende Protokolle, Prozeduren, Methoden und Routinen – gibt es nicht mehr.

Schritte und Entscheide müssen permanent neu in Worte gefasst werden und beantwortet werden, stets unter dauernd wechselnden Vorzeichen und Umständen – ein Nebenfolge mit ungewissem und teils nicht gewollten Resultaten.

Um in dem Kräftefeld bestehen zu können, sogar eine bedeutungsvolle Rolle einzunehmen, stellt hohe Anforderungen an Kompetenz, Verhalten und Fertigkeiten des einzelnen Profis. Wissenschaftlich ausgedrückt: professionelles Handeln vor allem im Unterstrom ist eine permanente reflexive Präsenz.

Arbeiten im und für den Unterstrom fordert vom GWA-er, dass er über ein gut entwickeltes Beurteilungs-, Einschätzungs-, Reaktions- und Motivations-, Improvisations- und Durchsetzungsvermögen verfügt. Das er die Balance findet zwischen Engagement und kritischer Distanz, ein gutes Gefühl hat, aber nicht allzu empfindlich ist für die bürokratische Logik, den Konflikt vermeidet, aber wenn es darauf ankommt diesem nicht aus dem Weg geht; diplomatisch ist, geduldig, visionär aber auch praktisch und unternehmerisch, konkret, sach- und aufgaben- und prozessgerichtet. Also: ein professioneller Tausendfüssler....


Der GWA-er als forschender Profi

Zum Schluss. Ich betone, dass der GWA-er als mitarbeitender Vorarbeiter über gute Kenntnisse über Bewohner und Quartier verfügt, aber auch im Stande sein muss, das Wissen zusammen mit Bewohner zu entwickeln.

Das erfordert nach meiner Meinung ein methodisches Vorgehen.

Was mich betrifft, habe ich ein Interesse, dass der GWA-er die Entwicklungen permanent und bewusst verfolgt und probiert, sie bewusst in sein Handeln und in das Handeln seiner Partner zu übersetzen. Dies erfordert zusammengefasst eine untersuchende Haltung.

Mein Bedürfnis an Rahmenbedingungen und Methoden in meiner eigenen Praxis führte mich zum Studium der Sozial- und Organisationspsychologie in Nijmegen und später zu den Interdisziplinären Sozialwissenschaften in Utrecht. Dort lernte ich ein Forschungsmodell kennen, das ehrlich gesagt begeisternd perfekt anschloss an meine Arbeit als GWA-er: Aktionsforschung!!

Seit dem Kennenlernen habe ich mich immer mehr vertieft. Ich gebe dieses Wissen weiter an meine Kollegen im Feld, in der Ausbildung, Dozenten, Forscher und angehenden Profis.

Es würde zu weit führen, vertiefter einzugehen auf die Ausgangspunkte, Kennzeichen und Leistungen dieser Art von Untersuchungen.

Ich verweise darum auf die deutsche Zusammenfassung eines der Gründungsväter dieser Art und Weise des Forschens, mein Lehrmeister Harry Coenen.

Zudem wird Jeanet in ihrem Beitrag an Hand eines konkreten Falles - das Vorgehen gegen die Belastung durch Prostituierte in einem Problemquartier – aufzeigen, was Aktionsforschung in der Praxis für die GWA bedeuten kann. Hier beschränke ich mich auf eine kurze Umschreibung, was Aktionsforschung ist: Ein intensiver, oft langandauernder, strukturierter und gemeinsamer Such- und Lernprozess von GWA-er und seiner Partner; ein Prozess von gleichzeitigem Lernen zu handeln und handelnd zu Lernen; Wissen darüber zu entwickeln und gleichzeitig die Situation verbessern, beziehungsweise das Handlungsrepertoir des Profis in der Praxis zu vergrössern: in Beziehung zu den Bewohner und für einander.

Was wir darunter konkret verstehen sollten, überlasse ich an Jeanet. Was mich betrifft danke ich ihnen für das Zuhören.


Ein Beispiel

(Janet de Jong) 

Als Dozentin lehre ich Fächer wie die Einführung in die Psychiatrie, Arbeitsmethoden, professionelle Entwicklung und Reflexion. Als Forscherin arbeite ich unter der Leitung von Sjaak Konraad in zwei Projekten. Ich komme von der sozialen Arbeit und der kulturellen Anthropologie.

Einige Jahre arbeitete ich in verschiedenen Settings, darunter in einem Spital als Sozialarbeiterin. Während diesen Jahren reiste ich nach Nairobi Kenya wo ich im grössten Slum von Afrika Kibera, lebte und arbeitete mit „verletzlichen" Jugendlichen. Es war ein sehr komplexes Setting und ich erfuhr die Probleme, die in einem so kleinen Gebiet zusammen kamen: Armut, Gewalt, häusliche Gewalt, Unsicherheit, Korruption, sexuelle Übergriffen etc. Es war in dieser Umgebung in der ich realisierte, dass die Fachausbildung keine Hilfe war, sondern es sind Sie als Profi, der sich selber als Instrument braucht.

Heute will ich den Beitrag von Sjaak Konraad mit einem Beispiel aus meiner eigenen Forschungspraxis illustrieren: es ist ein Projekt für Strassenprostitution in der fünft grössten Stadt der Niederlanden: Eindhoven. Das Beispiel will ich fokussieren auf die Aufgabe oder besser auf die Herausforderung für die Profis der GWA.

Strassenprostitution

Das Projekt heisst „Lebenskraft", es ist ein Projekt bei dem der Fokus auf eine Gruppe zielt, die Teil der Unterströmung ist, wie es Sjaak Konraad umschrieb. Es ist ein Beispiel eines Projektes in dem die GWAerIn verbunden ist mit der spezifischen Themengruppe „Strassenprostituierte".

Der Profi sollte die Prostituierten unterstützen und begleitet mit zwei spezifischen Zielen:

  • Verringern der Belästigung und Unsicherheit im öffentlichen Raum
  • Verbessern der Lebensqualität der Frauen (wenn möglich die Prostitution stoppen)

Das heisst, dass diese GWAerIn ihren Job in einem dynamischen Setting/Feld tun muss unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte, Sichtweisen, Interessen und Tendenzen. Dieses Feld und die kontinuierlichen Veränderungen in diesem Feld haben viele Aspekte, die sich mit Ihrer Arbeit vergleichen lassen. Das ist der Grund weswegen ich etwas über dieses Arbeitsgebiet erzähle und hoffe, dass es mir gelingt sie zu inspirieren ....

Bevor ich das Projekt erkläre, möchte ich etwas zum Kontext und Hintergrund sagen. In den Niederlanden kennen wir verschiedene Formen der Prostitution. Fensterprostitution und Prostitution in Klubs sind legalisiert in den Niederlanden. Strassenprostitution ist die unterste Schicht der Prostitution.

Es ist eine Form der Prostitution, bei der die Kunden die Frauen auf der Strasse ansprechen und der Dienst der Frauen wird gewöhnlich im Auto des Kunden verrichtet. Diese Form der Prostitution bei der die Prostituierten auf der Strasse eingeladen werden, ist in den Niederlanden illegal. Obwohl die Stadträte dies in einigen Städten akzeptieren und bestimmte Zonen für die Strassenprostitution festgelegt haben. Verschiedene Städte kennen solche Zonen seit den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die spezifischen Zonen sind oft ausserhalb der Wohnzonen, um Belästigungen für die AnwohnerInnen vorzubeugen. Manchmal wurden wenige Strassen mit Einrichtungen wie speziellen Parkplätzen versehen oder Verrichtungsplätze genannt. Die Preise sind niedrig bezogen zu denen die in Klubs oder Bordellen bezahlt werden. In manchen Fällen wurde eine Art Lebensraum bestimmt, wo die Frauen stehen können.

Einige Städte haben solche spezifische Zonen, andere haben sie wieder aufgehoben (Den Haag, Rotterdam und Amsterdam). Eindhoven hat eine Strassenprostitutionszone, die angeordnet wurde um den Ärger in der nahen Wohnzone zu vermindern und um die Prostitution zu kontrollieren. Frauen die in dieser Zone arbeiten wollten, mussten eine Bewilligung beim Stadtrat beantragen. In dieser Zone hat die Heilsarmee einen Wohnraum eingerichtet, den die Prostituierten für einen Kaffee, Kondome, Dusche, Information und medizinische Hilfe nutzen können. Ca. 35 Frauen haben eine Bewilligung für diese Zone. Die Zone gilt als erfolgreich: Die Probleme in Wohnquartieren mit der Strassenprostitution haben sich ebenso vermindert wieauch an andern Plätzen in der City. Trotzdem fühlte sich der Stadtrat ambivalent gegenüber diesem Projekt, weil er etwas unterstützte, was er eigentlich nicht verbessern wollte d.h. die Erleichterung der Strassenprostitution. Überdies erlaubte diese Regelung, die abhängige Beziehung der Frauen fortzusetzen. Darum hat der Stadtrat entschieden, die Zone aufzuheben. Wie auch immer, sie wollen diese Zone schliessen und gleichzeitig Alternativen unterstützen die es den Frauen erlauben, die Prostitution zu beenden und damit die Wohngebiete vor den Belästigungen zu bewahren. Das ist der Grund warum das Projekt Lebenskraft mit Unterstützung der Uni Köln gestartet wurde. Lebenskraft ist ein Programm in welchem Coachs/Sozialarbeitende die Prostituierten unterstützt (Wohnen, Arbeit, Gesundheit, Finanzen, sinnvolles Leben, legaler Aufenthalt etc.) und den Belästigungen vorzubeugen, um die Lebensbedingungen der Frauen zu verbessern. Das Programm startete 2009. Seit dem Start habe ich das Projekt begleitet.

Beschreibung der Zielgruppe

Bei den meisten Frauen, die einen Ausweis für die Strichzone hatten, kann man von einer langen Vergangenheit als Prostituierte sprechen. Viele Frauen haben keine Ausbildung abgeschlossen und sind selbst in einer unsicheren häuslichen Situation aufgewachsen. Es sind oft Frauen mit einer psychiatrischer Problematik, Depressionen, Psychosen und Persönlichkeitsproblematiken. Die Persönlichkeitsproblematik kann eine abhängige Persönlichkeitsstörung sein, aber oft auch eine Problematik im B Cluster: Bordeline, theatrale, nazistische Neigungen oder antisoziales Verhalten. Oft ist das Verhalten eine Kombination von verschiedenen Neigungen in Kombination mit einer Abhängigkeit. Die Mehrheit der Frauen verwendet verschiedene Sorten harter Drogen verbunden mit übermäßigem Alkoholgebrauch. Es sind Frauen, die oft nur über ein begrenztesNetzwerk verfügen und abhängig sind von Menschen aus kriminellen Kreisen, Dealern oder Zuhältern. Mit anderen ist die Beziehung oft problematisch oder sie wählen sozial schwache Männer, die vorübergehend für sie sorgen. Meistens ist die Behausung wechselnd und es werden vielfältige soziale Auffangorte genutzt.

Aufgabe der GWAerIn

Die Aufgabe des GWAerIn im Projektfeld ist die Verbesserung des sozialen Zusammenhaltes und Herstellung der moralischen Autorität, dies muss nach Sjaak Konrraad zwei Bedingungen erfüllen:

  • Mehr zusammenhängende Massnahmen (Bedingungen für Komplementarität und Interdisziplinarität) nicht hart oder weich, sondern hart und weich;
  • Neue Arbeits‐ und Steuerungsprozesse: in der Beziehung zwischen Profis zu den Bewohnerinnen/Klientinnen und in der Beziehung zu einander (die Bedingung von Reziprozität)

Das bedeutet das Herstellen von Vertrauen und erfordert das in den Mittelpunkt stellen der Anliegen und Wünschen der Klientinnen. Das erfordert einen Denkwechsel, wobei Bürger und Profis zusammen, interaktiv, Form und Inhalt bestimmen, was im Quartier, oder in diesem Fall für eine Zielgruppe nötig und möglich ist. Das bedeutet, dass Bewohner nicht länger als Objekt der Politik betrachtet werden sondern als kompetente Partner, deren Wissen und aktive Betroffenheit notwendig ist für die Realisierung der beabsichtigen Massnahmen.

Die Veränderung der Position der GWAerIn

Eine Ergänzung die ich machen will auf Grund der niederländischen Entwicklungen: die veränderte Position der GWAer: das heisst sieübernehmen aktiv die Beteiligung von BürgerInnen, und  - anstatt selber allerlei Projekte und Ideen im Quartier auszuarbeiten - mehr die Position eines „Verbinders". Was ich damit meine ist, mehr auf laufende Projekte von Organisationen einzugehen, die vorhandene Fachlichkeit in einem Quartier oder Ort einzubeziehen und die Möglichkeiten in der richtigen Art und Weise einzusetzen, aber auch miteinander zu verbinden. Ja darin eine koordinierende Rolle einzunehmen.

Das Projekt und die Rolle der GWAerIn

Lebenskraft ist ein Projekt, bei dem die Gemeinde Auftraggeberin ist. Die Heilsarmee ist Ausführende. Die GWAerInnen haben auch als Aufgabe, Kontakt mit den Frauen herzustellen und sie zu begleiten und für die spezifischen Hilfestellungen zu sorgen, die sie nötig haben.

Der Hilfsprozess sieht wie folgt aus:

Mit Hilfe von Partnern wie der Polizei (speziellen Kontrollteams) werden die Frauen ermittelt und erfasst. Die GWAerIn meldet sich an und probiert Kontakt aufzunehmen und zu behalten (intensiver und langwieriger Prozess). In der Folge wird ein Plan geschrieben. Bedürfnisse und Wünsche der Frauen werden erfasst. In den verschiedenen Lebensbereichen wird geschaut wer beigezogen werden muss, welche Fachleute notwendig sind. Dieser Plan wird durch die Gemeinde in einer Kommission bewilligt und kann dann ausgeführt werden. Wenn Schwierigkeiten entstehen in der Zusammenarbeit mit den verschieden Partnern, können Gespräche unter der Regie der Gemeinde stattfinden, um zu einer Übereinstimmung zu kommen. Die Gemeinde agiert nach der Vision: Klientin / Situation stehen im Zentrum und nicht die individuellen Organisationsregeln.

Aufgaben der GWAerIn.

Das heisst in ihrer Funktion haben sie folgende Aufgaben:

  • Kontakt herstellen (benötigt Geduld, Arbeiten ohne Rahmen kann intensiv sein ): nicht reduktionistisch
  • Inventarisieren (erfordert Präsenz, Kenntnis über Gesprächtechniken, dauerndes Analysieren von Klient, Feld und anderen Organisationen) eine untersuchende Haltung
  • Informieren (praktische Hilfe)
  • Risiko beherrschen (einschätzen der Risiken für die Frauen und sich selbst)
  • Verhaltensbeeinflussung (motivieren zu) benötigt methodisches Handeln und verschiedene Methoden anwenden zu können, lösungsgerichtete, motivierende Gesprächsführung, Präsenz etc.
  • Zusammenarbeit und Formalisieren von Netzwerken (Interessen wahrnehmen, eingreifen wenn nötig, diplomatisch, aber auch strategisch, Regierolle im Interesse der Klientin und des Quartiers und die Möglichkeiten der anwesenden Fachlichkeiten nutzen und einschätzen)
  • Eine interdisziplinäre Denk‐ und Handelsweise

Das bedeutet: Kontakt aufnehmen

Kontakt mit den Prostituierten, den verschiedenen Akteuren im Feld aber auch mit der eigenen Organisation? Warum ist dies so lästig?

Fragen auf verschieden Ebenen, die wir im Projekt als Untersucher feststellen:

GWAerIn ‐ Klientin

  • Abstand‐Nähe: intensives Begleiten erfordert Präsenz, aber ruft auch Emotionen auf, Sie werden manchmal angeschrien, Klienten verschwinden manchmal von der Oberfläche, geben Ihnen die Schuld, halten sich nicht an Abmachungen
  • Was bedeutet das für Sie als GWAerIn?
  • Und Ihre eigenen Gefühle? Und Ihre eigene mögliche Angst?
  • Wann greifen Sie ein und wann nicht?
  • Wie können Sie anschliessen an die Autonomie, die Kraft der Klienten, wenn es viele praktische Probleme gibt?
  • Wie gehen Sie um mit der Erreichbarkeit? 9‐15 Uhr oder unbegrenzt erreichbar? Was gibt es dazwischen?

GWAer ‐ Feld (Organisation)

  • Institutionsrichtlinen: Interesse Klienten versus Organisationsziele ‐ man schaut nicht auf die Situation...
  • Wie gehen Sie um mit Datenschutz? Wie gehen Sie um mit Informationsaustausch?
  • Wann ist es gerechtfertigt, Information auszutauschen?
  • Eigenes Ego, eigene Fachlichkeit, welche Sicht ist dominant, Vorurteile über andere Organisationen. Wie behandeln Sie diese?
  • Erfahrener Arbeitsdruck, Angst

GWAerIn ‐ Privatleben
Grenze Arbeits‐ zu privater Zeit, Schutz der Privatsphäre oder immer mit der Arbeit beschäftigt?

GWAerIn ‐ eigene Organisation
Der untersuchende Profi, wie unterstützen Sie einander auf eine gute Art und Weise in all den verschieden Dilemmas. Wie lernen Sie von Ihren KollegInnen und wie sie von Ihnen?

Bedeutung für den Profi: untersuchende Haltung

Ich möchte mit dieser Forschung aufzeigen, dass die untersuchende Haltung für den Profi sehr wichtig ist. Seit dem Start habe ich das Projekt Lebenskraft als Untersucherin zusammen mit Kollegen begleitet.

Die Forschung entstand aus dem Bedürfnis:

  • Exemplarisches Wissen über das Erreichen der Zielgruppe zu entwickeln
  • Ein Bild zu bekommen vom Mehrwert der Arbeiten in diesem Projekt
  • Einsicht zu bekommen über die Möglichkeiten, Chancen und Unmöglichkeiten

Die Aufgabe der Forscherin war zu untersuchen:

  • Konkrete Realisation verschiedener Bereiche im Projekt Lebenskraft
  • Konkreter Beitrag, Mehrwert und spezifische Qualität der ArbeiterIn.

Es ist eine Form der Untersuchung wobei:

  • Die GWAerIn zentral steht, nicht der Klient
  • Exemplarisch
  • Gemeinsame Such‐ und Lernprozesse der Untersucherin und der GWAerIn: ein Prozess von lernendem Handeln und Handelndem lernen, um Wissen zu entwickeln über das Verbessern von konkreten Problemen innerhalb der sozialen Realität d.h. Vergrössern der Handlungskompetenz der GWAerIn in ihrer alltäglichen Situation.

Wie?

Die Untersucherin läuft mit, beobachtet und reflektiert:

  • • Dabei sein bei Klientengesprächen
  • • Dabei sein und überlegen innerhalb des Teams
  • • Dabei sein und überlegen mit den KooperationspartnerInnen
  • • Beobachten von Büro/informellen Gesprächen und Präsentationen
  • • Intensive Begleitung (verbreitern einer Frage/Problem einer GWAerin)

Reflexion?

Fragen stellen und benennen; klar stellen, was passiert ohne Urteil oder Interpretation.

Aufgrund von Beobachtungen wird mit dem Anbieter reflektiert und werden Fragen gestellt:

  • Was haben Sie getan?
  • Mit welchem Grund?
  • Wie hat man das angepackt?
  • Was denken Sie gut gemacht zu haben?
  • Was fanden Sie lästig? Warum das?
  • Was wollten Sie erreichen?
  • Welche Haltung haben Sie eingenommen?
  • Auf welche Weise haben Sie gehandelt?
  • In welcher Rolle sind Sie gewesen, wie sah diese aus?

De reflexive Profi:

Kurz: als Untersucherin sprechen Sie die Profis an auf ihre ‐ wie Sjaak Khonraad es nannte ‐ dritte Kernqualität: das Selbstreflexions‐Können.

Auf dieses Art und Weise wird sich die GWAerIn bewusst über ihr eigenes Handeln, ihre Stärken, ihre eigenen Bedürfnisse und Lernmomente. Nicht allein für sich, selber sondern auch für einander als Team.

Sjaak Khonraad meinte: Oft sagen GWAerInnen wie auch viele Frontarbeiter, dass sie das Gefühl haben ihre Arbeit gut zu machen, sie haben auch Zweifel:

Mache ich es gut, mache ich es aus gutem Grund?

Gerade der Zweifel ist wichtig um stets sich selber als GWAerIn von neuem zu fragen, ob man in der Tat das richtige tut aus dem richtigen Grund, weil es Fragen und Probleme gibt. Dies hält die GWAerIn wach und gibt ihr Raum für die Verantwortung sich selber gegenüber und gegenüber anderen, und zum Lernen: gibt es eine Alternative? Und wenn ja, was ist dazu notwendig. Damit hält der Arbeiter gleichzeitig Regie über die eigene Professionalität. Wie Sjaak Khonraad früher sagte: routinemässig Arbeiten kannst du nicht in diesem Feld!

Aufgabe: Dauernde Reflexion über sich und das Team. Was die Untersucherin hier tut, sollte der Profi selber tun.

Im Projekt Lebenskraft sieht man:

Es ist eine Gruppe GWAerInnen, die sich um die Zielgruppe kümmert, nicht los lässt, transparent ist untereinander und gegenüber andern Organisationen und tut was sie sagt. Sie sind niederschwellig erreichbar.

Gleichzeitig sind es GWAerInnen mit beobachtendem Blick gegenüber ihrer Arbeit, ihren Rollen und der Umsetzung davon, durch Reflexion und Bewusstwerdung:

  • Einander langsam befragen und Feedback geben auf eine konstruktive Art. Ansatz zur Bewegung im Feedbackverlauf (erst nur zuhören, feststellen und beraten)
  • Bewusst werden über das Handeln. Suchen und benennen, was wir tun anstatt selber die Situation zu beurteilen
  • Bewusst werden über verschiedene Methoden, die eingesetzt werden können und damit ihr Handeln verantworten können, aber auch Klarheit in welche Richtung die Fachlichkeit zu fördern ist
  • Bedürfnis nach mehr Struktur und Austausch, gerade bei der dynamischen und ad‐hoc Arbeit.
  • Bewusst werden der gegenseitigen Qualitäten und Experimentieren mit diesen Qualitäten bei der Unterstützung von einander.

Jetzt passiert dies noch unter der Begleitung der Untersuchenden, bald sollten sie dies selber tun können, der untersuchende und reflektierende Untersucher.

Reflexion in Theorie: Marie‐Jose Geenen

Sie reflektieren durch Zurückblicken auf ihr Handeln.

Schema von Siegers

  1. Als Person: Wollen (Bauch), Fühlen (Herz), Denken (Kopf), Handeln (und wo sitzt möglicherweise die Krux): Es ist eine Art Lift, der hinauf und hinunter fährt und die Kunst ist, während der Fahrt den Kontakt zu halten mit den verschiedenen Dimensionen, die das Handeln beeinflussen.
    Hier spielen neben den Gefühlen auch die eigenen Normen und Werte eine Rolle
  2. Können Sie das Handeln in der spezifischen Situation koppeln an die Berufsaufgabe (und die Rolle in diesem Moment)?
  3. Kannst Du das Handeln koppeln an den gesellschaftlich–kulturellen Kontext (Entwicklungen)?

Frage: Was ist Ihre Aufgabe in Ihrem spezifischen Arbeitsfeld und was bedeutet das für die Fragen die sie stellen: machen sie das beste mit gutem Grund.

Stellen Sie sich selbst Fragen, nicht weil Sie fachlich nicht kompetent sind, sondern weil Sie ihre Fachlichkeit im richtigen Moment, in der richtigen Art und Weise einsetzten wollen, damit sie dahinter stehen können, die Regie für das eigene Handeln zunimmt und Sie Ihre beruflichen Fähigkeiten vergrössern können.