Empfehlungen zur nachhaltigen Weiterentwicklung der "Sozialen Stadt"

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Kontakt:

Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit e.V., Geschäftsstelle, Stiftstr. 15, 30159 Hannover, Email: Mail@BAGSoz-Stadt.de, Internet: http://www.bagsozialestadtentwicklung.de

Soziale Stadtentwicklung ist eine Daueraufgabe: "Verstetigung" bedeutet die Organisation des Übergangs von der Sonderförderung hin zur Einbeziehung und Weiterentwicklung von Regelstrukturen.

I) Politische Rahmenbedingungen:

  1. "Soziale Stadt" muss von der politischen Spitze her gewollt sein, dies gilt für die Bundes-, Landes- und kommunale Ebene.
    Die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die Organisation des sozialen Zusammenhalts und der Integration ist auf dieser Ebene wahrzunehmen, um eine Leitwirkung für die nachfolgenden Ressorts sicherzustellen. Dies gilt ebenso für die zivilgesellschaftlichen Akteure, wie z.B. die Freie Wohlfahrtspflege, sowie der (wohnungs-)wirtschaftlichen Unternehmen.
  2. "Soziale Stadt" braucht kontinuierliche fachpolitische Aufmerksamkeit
    Die große Leistung und der Erfolg von "Sozialer Stadt" besteht nicht in der abschließenden Lösung sozialpolitischer Problemlagen, sondern in der Organisation einer kontinuierlichen öffentlichen und fachpolitischen Aufmerksamkeit auf Gemeinwesen, Sozialräume und Gebietseinheiten mit besonderem sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, städtebaulichen Entwicklungsbedarf. Diese Aufmerksamkeiten und Prioritätensetzungen für "gefährdete Sozialräume" müssen über den Förderzeitraum verstetigt werden. Dies gilt nicht zwingend für jedes einzelne Projekt und Vorhaben.
  3. "Soziale Stadt" bleibt eine Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern und Gemeinden
    Auf allen föderalen Ebenen ist "Soziale Stadt" als konzeptioneller, strategischer, finanzieller Mehrebenen-/Mehrfelderansatz zu verankern und als dauerhafte Aufgabe festzuschreiben. Eine so verstandene Gemeinschaftsinitiative unterstützt kommunale Gesamtstrategien zur Verhinderung der Ausgrenzung von gefährdeten Sozialräumen.
    Dies gilt auch für die transnationale und europäische Ebene bei der Abstimmung von Förderstrukturen und der Wahrnehmung der politischen Verantwortung.
  4. "Soziale Stadt" erfordert den dauerhaften Ressourceneinsatz aller relevanten Politikbereiche und Fachdisziplinen
    Ressortübergreifendes Handeln muss von der punktuellen und oftmals rein operativen Ebene zu einer strategischen Aufgabe weiterentwickelt werden, dies gilt sowohl für die Abstimmung von Förderstrukturen als auch von Entwicklungskonzepten.
  5. "Soziale Stadt" erfordert eine sektorübergreifende Strategie
    Zu den Erfolgsvoraussetzungen für eine nachhaltige Stadtteilentwicklung gehört die gleichberechtigte Einbeziehung und Kooperation der Akteure des ersten (öffentlichen), zweiten (wirtschaftlichen) und dritten (gemeinnützigen) Sektors. Eine Zusammenarbeit "auf gleicher Augenhöhe" ist dafür erforderlich. Übergreifende und integrative Konzepte erleichtern diese gleichberechtigte Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure. Für die freien Träger der Sozialarbeit gilt dies insbesondere, entsprechende trägerübergreifende Verbundstrukturen sind zu entwickeln.

 


II) Fachliche Rahmenbedingungen und Standards:

"Soziale Stadt" konstituiert stabile, belastbare (auf Nachhaltigkeit angelegte) und passgenaue lokale Netzwerk-, Management- und Verwaltungsstrukturen.

  1. Stabile "Lokale Entwicklungspartnerschaften"
    "Soziale Stadt" wird vor Ort getragen von sektor-, träger- und akteursübergreifenden Entwicklungspartnerschaften (EP) aus Politik/Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft.
    Trägerübergreifende EPs aus Verbänden und gesellschaftlichen Gruppen sowie akteursübergreifende EPs aus Schlüsselakteuren / Multiplikatoren / Milieus und Netzwerken bilden den Motor für den Förderzeitraum überdauernde Strukturen. Hier sind frühzeitig durch verbindliche Vereinbarungen belastbare Arbeitsstrukturen aufzubauen. Das Modell der Partnerschaft verteilt die Verantwortung auf mehrere Schultern und ist weniger krisenanfällig als "eindimensionale" Lösungen.
  2. Kontinuierliche "Ressourcenbündelung"
    "Soziale Stadt" braucht belastbare, stabile und passgenaue lokale Arbeitsstrukturen in der öffentlichen Verwaltung. Die freien Träger und subsidiären Akteure sind dabei in die Lenkungsstrukturen einzubeziehen.
    Im Vordergrund stehen dabei die dauerhafte gebietsbezogene Koordination innerhalb der Kommunalverwaltung durch "Gebietsbeauftragte", die Verankerung der ämterübergreifenden Kooperation und die Bildung von Integrierten Sozialraumbudgets durch zunächst ressortmäßig ungebundene Mittel.
    Als langfristiges Ziel sollte dabei auch über die gemeinsame Ressourcenverantwortung der beteiligten Ressorts im Rahmen eines "Gebietsbudgets" nachgedacht werden.
    Es geht also um neue Wege für eine institutionalisierte Form der Kooperation über projektbezogene Anlässe hinaus.
    Vor Ort "lebt" die Ressourcenbündelung in Form von lokalen Zentren. Benachteiligte Stadtteile brauchen attraktive zentrale Räume, in denen Begegnung, Austausch und Koordination stattfinden kann.
  3. Verlässliches "Quartiermanagement"
    "Soziale Stadt" braucht dauerhaft ein verlässliches quartiersbezogenes Management zur Sicherung und Weiterentwicklung kompetenter Netzwerk-, Kooperations- und Verbundstrukturen. Sie müssen die Einbindung von Schlüsselakteuren aus den freien Trägern, der Zivilgesellschaft und der lokalen Wirtschaft gewährleisten.
    Dafür werden stabile Budgets für Gemeinwesenarbeit/ Quartiermanagement auch über den Förderzeitraum hinaus in einem gewissen Umfang benötigt. Diese sind im Rahmen der Regelförderung anzusiedeln. Vorhanden sein müssen ein Stadtteilbudget, bzw. ein Verfügungsfond, in dessen Rahmen Bewohner/innen und weitere Stadtteilakteure über die Projektvergabe mitbestimmen können, sowie ein eigenes Bürgerbudget (z.B. in Form einer Stiftung), über das Bürger/innen selbst bestimmen können.
    Die Gemeinwesenarbeit als professionelle Kernkompetenz im Quartiermanagement muss dabei sichergestellt werden. Zu ihren Aufgaben gehören die Unterstützung von Empowermentprozessen benachteiligter Gruppen, sowie die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Akteure im Gemeinwesen, insbesondere von Bürgergruppen und sachkundigen Bürger/innen. Mit den Bewohner/innen sind neue nachhaltige und selbsttragende Strukturen der Interessenartikulation, der Kommunikation und Kooperation aufzubauen, bzw. vorhandene zu stärken.

 


Fazit:

Als Schlüsselakteure für die Quartiersentwicklung sind die Bürgerinnen und Bürger, die sozialen Einrichtungen, Träger und Netzwerke, die lokale Wirtschaft, die zuständigen Verwaltungsabteilungen und die Politik sozialraum-kompetent zu stärken, zu qualifizieren und aufzustellen. Die Phase der Sonderförderung durch Programme wie die "Soziale Stadt" ist als eine Chance zu begreifen, dieses durch gezielte Aufmerksamkeit, Förderung und Unterstützung zu leisten. Diese Chance wird vertan, wenn nach der Phase der Sonderförderung keine anschlussfähigen Strukturen für das breiter gewordene Engagement vorhanden sind.

Diese Empfehlungen waren Grundlage der BAG-Tagung "Zukunft der ‚Sozialen Stadt' - Modelle der Verstetigung sozialer Stadtentwicklung am 15.-16. März 2007 in Berlin und wurden nach weiterführender Diskussion auf der Mitgliederversammlung der BAG Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit e.V. am 30.10.2007 in Gelnhausen verabschiedet.

Zentrale Nachhaltigkeitsgaranten sind:

Für die bei Verstetigungsszenarien auftretenden Fragen kann es nur standortspezifische Lösungen geben. Dieser Prozess kann nicht verordnet, aber durch Erfahrungsaustausch und Entwicklung fachlicher Standards befördert werden:

Auf gesamtstädtischer Ebene sind übergreifende Integrierte Stadtentwicklungskonzepte abzustimmen. Integrierte Entwicklungskonzepte sind für alle benachteiligten Quartiere auch außerhalb bestehender Förderkulissen aufzustellen. Dabei gelten fachpolitische Standards für eine ganzheitliche Sozialraumbeobachtung, -planung und ein angemessenes Monitoring; für Indikatoren der Gebietsabgrenzung, Standortauswahl und die Transparenz bei der Standortpriorisierung. Zur standortspezifischen Konzeptentwicklung und Vorgehensweise gehört eine mittelfristige Finanzplanung und -sicherheit, ein prozessbegleitendes Monitoring und eine Evaluierung und die frühzeitige Entwicklung von Nachhaltigkeitsszenarien.

Dies ist der Kern der aktuellen Fachdebatte um "Verstetigung":

Gelingen muss die Implementierung der von Sonderförderprogrammen wie "Soziale Stadt" angeschobenen und beförderten Prozesse in Regelstrukturen, d.h. die Sozialraumorientierung im Handeln von allen relevanten Akteuren. Um dies zu gewährleisten, braucht "Soziale Stadt" kontinuierlich verlässliche Rahmenbedingungen und verbindliche fachliche Standards.

Die "Verstetigung im engeren Sinne", d.h. die Frage der Verankerung der Schlüsselprojekte für die weitere Stadtteilentwicklung in der Regelförderung und die "Verstetigung im weiteren Sinne", d.h. die Verbreitung des Handlungsansatzes bei allen Akteuren, bedingen sich dabei gegenseitig.


In den als "sozial benachteiligt" oder mit "besonderem Entwicklungsbedarf" bezeichneten Stadtgebieten bündeln sich die zu lösenden Zukunftsaufgaben dieser Gesellschaft. In diesen Sozialräumen leben die Bevölkerungsgruppen mit den größten Zugangsschwierigkeiten zu Bildung, Arbeitsmarkt, politischer Teilhabe und Versorgung mit sozialen Dienstleistungen. Hier potenzieren sich für Kinder und Jugendliche durch die räumliche Konzentration diese Probleme in besonderer Weise. In und für diese Gebiete leisten engagierte Bewohner/innen und Professionelle eine für die Entwicklung der Gesamtstadt und der Gesellschaft entscheidende Arbeit der Integration.

Diese Stabilisierung und Entwicklung sozial benachteiligter Stadtteile ist auf absehbare Zeiträume eine andauernde Aufgabe. In spezifischen Sozialräumen konzentrieren sich dauerhaft die Folgen von sozialer Benachteiligung, der demografischen Entwicklung sowie der Zuwanderung. Die Integration der gesellschaftlich und räumlich an den Rand gedrängten Bevölkerungsteile bleibt daher über den Zeithorizont spezieller Förderprogramme bestehen. Die betroffenen Stadtteile und ihre Bewohnerschaft haben dabei aufwendige Integrationsleistungen zu bringen, und sie müssen dazu dauerhaft in die Lage versetzt werden (infrastrukturell, materiell und ideell).