Soziokulturelle Zentren als Ort und Akteur in der Stadt

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Alexander Flohé, Schönberger Str. 2, 24148 Kiel, Tel.: 0431-3189884, Email: flohe@stadt-konzepte.de

Alexander Flohé ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bürogemeinschaft ‚stadt-konzept’ Düsseldorf/Kiel und Redakteur der Zeitschrift ‚Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen’.


Die meisten soziokulturellen Zentren sind im Kontext von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in den 70er und 80er Jahren von politischen Initiativen aus dem Umfeld der neuen sozialen Bewegungen und nicht selten in Kooperation mit Bildungs- und Kulturreformbewegungen innerhalb der Sozialdemokratie durchgesetzt worden. Die Verwirklichung eines selbst verwalteten Kulturzentrums basierte auf dem hohen Engagement ihrer Akteure, in dem – wie es der Soziologe Peter Alheit formuliert - der "Partizipations- und Gestaltungswille der Menschen in ihrer Lebenswelt" zum Ausdruck kam (Alheit 1992: 303). Soziokultur bildete in dieser Zeit eine Schnittstelle zwischen Bildungs-, Kultur- und Sozialarbeit. Ihre Zentren waren in fast allen Fällen Produkte aktiver Bürger und Professioneller vor Ort.
Soziokultur, als Teil der "Neuen Kulturpolitik" der 70er Jahre, war von ihrem Selbstverständnis in besonderer Weise auf Stadtentwicklung und auf die Lebensbedingungen in der Stadt bezogen. Hermann Glaser, ehemaliger Kulturdezernent in Nürnberg und einer der wichtigsten Theoretiker der "Neuen Kulturpolitik", stellt dies rückblickend noch einmal heraus: "So wichtig auch ‘Kultur auf dem Lande’ ist, die Wurzel der Soziokultur war das Bemühen, die mentale Verelendung der Stadt aufzuhalten und ins Bessere zu wenden" (Glaser 2000, S.14).
In der Resolution "Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung" des Deutschen Städtetages 1973 folgt nach einem besorgten Blick auf die "ökonomische Stadt", die "ihre menschlichen Züge" und attraktiven "Eigenschaften" zu verlieren drohe, das Postulat: "Die moderne Stadt ist nicht unvereinbar mit einer persönlichen Umwelt, die die soziale, geistige und kulturelle Entfaltung des Menschen ermöglicht" (vgl. Röbke 1993: 117). Um dieses Ziel zu realisieren wird eine Kulturpolitik gefordert, die "Kommunikation" fördert, "Spielräume" als "Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens" schafft und die zur "Reflexion" herausfordert und damit "bloße Anpassung und oberflächliche Ablenkung" überwinden hilft. In der Resolution heißt es weiter: "Eine Kulturpolitik, die diese Ziele verfolgt, muss den kulturellen Bereich gegenüber der Gesellschaft öffnen und ein Kulturverständnis überwinden, das vornehmlich zur Rezeption aufforderte. Eine ihr entsprechende Stadtentwicklung muss dafür sorgen, dass die Schaffung besserer sozialer und kultureller Bedingungen für alle Bürger und die Förderung von Chancengleichheit als wesentliche Entscheidungskriterien in die Gesamtplanung eingehen." (vgl. Röbke 1993: 118).
Für die Entstehungen soziokultureller Zentren ist neben den Bezügen der neuen Kulturpolitik die Phase der "Reurbanisierung" in westdeutschen Städten der 70er und 80er Jahre von Bedeutung. In diese Umbruchphase in der Stadtentwicklung fällt in Teilen noch der Rückzug der industriellen Arbeit aus dem städtischen Raum, womit die entsprechenden Gebäude, alte Fabriken, Lagerhallen, Schlachthöfe etc., für eine Nutzung als Kulturzentrum zur Disposition stehen. Die Stadt bietet der ersten Gruppe der "Zentrumsakteure" Raum und Kommunikationsstrukturen. Die Stadtsoziologen Hartmut Häußermann und Walter Siebel schreiben dazu: "Die sich entleerenden Altbaugebiete der Städte sind zu prädestinierten Orten für diese neuen Lebensformen geworden. Läden, die im Marktwettbewerb nicht mehr standhalten konnten, werden von Angehörigen der Szene übernommen (...). Selbst für alte Fabrikgebäude und Lagerschuppen haben die Alternativen noch Nutzungsideen – als Wohngelegenheit, Kommunikationszentrum oder Kulturraum" (Häußermann/Siebel 1987: 15).


Von Spielräumen zur Verhäuslichung

In den ersten soziokulturellen Zentren stand "die Einbeziehung aller bei allem" im Vordergrund, was sich in einer Vielzahl von Hausversammlungen und Nutzergruppenversammlungen konkretisierte. Diese Praxis der Verwirklichung kultur- und gesellschaftspolitischer Zielsetzungen an einem konkreten Ort, entsprach der, in frühen theoretischen Schriften aus soziokulturellem Umfeld formulierten, These der "Gestaltung von Spielräumen" (Glaser/Stahl 1974: 147 ff.). Dieser Ansatz beinhaltete allerdings die Gefahr, dass gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen aus den Augen verloren gingen (Hübner 1981: 41) und "Kultur für alle" lediglich an alle diejenigen adressiert wurde, die bereits über ein entsprechendes kulturelles Kapital verfügten. Unstimmigkeiten im Verhältnis zwischen allgemeinen kulturpolitischen Ansprüchen und konkreter Positionierung der einzelnen Häuser sind ein wiederkehrendes Phänomen in der Geschichte der soziokulturellen Zentren. Bereits auf dem Bundeskongress soziokultureller Zentren 1988 mit dem ironischen Titel ‚Kongress der SiegerInnen’ wird auf das Problem des "Zentrozentrismus" hingewiesen und bereits der Anspruch formuliert: "Die zeitnahe kultur- und gesellschaftstheoretische/ -politische Auseinandersetzung in der freien soziokulturellen Szene ist dringend notwendig. (...) Wir müssen uns die Fähigkeit zur Artikulation von Standortbestimmungen und Zielangaben erarbeiten (...)." (Stüdemann 1989: 16f). Es fand mit der Konzentration auf das eigene Objekt und dessen Nutzung als Veranstaltungsort und Treff eine Art ‚Verhäuslichung’ einer kultur-politischen Bewegung statt. 1990 verweist eine Broschüre der LAG NRW ebenfalls auf die bestehende Gefahr, "sich mit den herrschenden Verhältnissen und damit auch mit dem ausgegrenzten eigenen ‚Freiraum’ (dem Zentrum) abzufinden".
In den 1990er Jahren wurde in vielen Diskussionsbeiträgen die These vertreten, Soziokultur sei am Erfolg gescheitert. Viele der Ziele seien erreicht worden, was sowohl am Zulauf zu den Bildungs- und Kultureinrichtungen als auch der Reurbanisierung der Stadt und der Differenzierung der dort vorfindlichen Lebensstile zu sehen wäre. Viele soziokulturelle Zentren wären nun in erster Linie als Teil des städtischen Kulturangebotes zu betrachten und nicht mehr als "umkämpftes Projekt", das versucht, mit Ziel und Inhalt widerständige Milieus zu schaffen. Hinzu kommt, dass die quantitativ rückläufige Entwicklung der neuen sozialen Bewegungen der Soziokultur auch die Akteure nehmen (Sievers/Wagner 1992: 26 ff).


Professionalisierung

Anders ausgedrückt: In den soziokulturellen Zentren hat zwar die Bedeutung des Veranstaltungsangebotes deutlich zugenommen. Dies ist jedoch nur eine Seite eines Professionalisierungsprozesses. "Denn zugleich wurde in den meisten soziokulturellen Zentren eine intensive Kooperation mit den in der Stadt aktiven Initiativen und Organisationen aufgebaut und ihnen Raum sowohl im Haus, als auch im Veranstaltungsprogramm gegeben. Viele soziokulturelle Zentren tragen über diese Kooperationen mit engagierten Stadtbewohnerinnen aus dem sozialen, ökologischen und kulturellem Bereich sowie mit den Vertretern aus Politik und Verwaltung zugleich zur Vernetzung dieser Aktivitäten in der Stadt bei." (Knopp/Loers 2000: 29).


Ein besonderer Ort

Heute sehen die Akteure die Zentren als einen "besonderen Ort". Dies ist eine der zentralen Aussagen einer Studie zu soziokulturellen Zentren in NRW aus dem Jahr 2002/2003 (vgl. hierzu: Flohé/Knopp 2003: 93 ff). Nach der Aussage der Experteninterviews sind die Zentren in der Tat von ihrem Selbstverständnis mehr als nur ein Veranstaltungshaus: Sie verstehen sich als "besondere kulturelle Orte". Es wird grundsätzlich eine Bedeutung des Zentrums in der Stadt gesehen - gerade über die Frage, was denn wäre, wenn es das Zentrum in der Stadt nicht (mehr) gebe. Eine "wichtige Infrastruktur" und ein "lebendiger Ort" würden wegfallen. Viele "kleine politische Gruppen" und "alles, was nicht Hochkultur ist" hätten keine Räume mehr, für viele würde gar ein "Stück Heimat" entfallen.
Viele Experten in der Studie (v.a. aus kleinen Städten!) äußerten, die Zentren stellen Räume und Infrastruktur zur Verfügung, gäben aber keine Themen vor; diese würden von den Gruppen und Initiativen gesetzt. Die Zentren sehen sich überwiegend als "der Ort, nicht der Lautsprecher". Man sehe sich als Mittler!
In der Initiativenlandschaft verankert und mit einem festen Platz im lokalen Gefüge können die Zentren ein "Drehpunkt", ein kommunales Handlungsforum, ein Ort "runder Tische" für die Artikulation von Bürgerinteressen und -engagement sein - und dies zusammen am Tisch mit den Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Verbänden.
Drehpunkt sein, heißt zwischen Subkultur und etablierter Kultur, zwischen Initiativen und Institutionen, zwischen Bewegungen und staatlichen Entscheidungsinstanzen zu vermitteln. Aber es heißt auch deutlich Stellung beziehen, Standpunkte einnehmen, Partei ergreifen und engagierte Kräfte unterstützen und fördern.
Es können im Rahmen der Untersuchung drei besondere Ausprägungen als besonderer Ort unterschieden werden (vgl. Flohé/Knopp 2003: 177):

  • Ort kultureller Produktion, künstlerischen Austausches.
    In einigen Zentren finden intensive Probearbeiten und zum Teil auch Produktionen statt. Hier wird das alltägliche Klima wesentlich durch die im Haus agierenden Künstler, durch eine dichte Atmosphäre kulturellen Austausches geprägt.
  • Initiativenhaus, Treffpunkt.
    Das Initiativenhaus zeichnet sich in ähnlicher Weise durch eine Atmosphäre der Kommunikation und des Austausches aus. Diese wird durch die kontinuierliche Anwesenheit von Akteuren in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aktiven Initiativen gestaltet.
  • Das Zentrum als besonderes Element des öffentlichen Raumes.
    Dort, wo Zentren mitten im Wohngebiet liegen, kommt es durch die unterschiedlichen Nutzungen und Nutzergruppen sowie dem Treffpunktcharakter auch zu einer Ausprägung, die am besten mit einem belebten Platz im öffentlichen Raum beschriebenen werden kann. Hierfür steht die Alte Feuerwache in Köln, die in einem innenstadtnahen Wohnquartier liegt und mit ihren zahlreichen Nutzungen einen besonderen öffentlichen Raum bildet.

Eine nicht unbedeutende Randbemerkung: Die hier zitierte Studie liest sich als Erfolgsgeschichte. Sowohl die Daten, etwa zur Entwicklung der Veranstaltungszahlen, der Besucherstruktur und der Eigenwirtschaftlichkeit, als auch die Ergebnisse der qualitativen Studie und die Darstellung der vielfältigen Good-Practice-Beispiele dokumentieren die wichtige Position, die diese Einrichtungen in der (städtischen) Kulturlandschaft einnehmen. In einem Punkt wirft der qualitative Teil der Studie allerdings Fragen auf, deren Diskussion für Fortbestand und Weiterentwicklung dieser Kulturzentren nicht unterschätzt werden sollte: Eine eigenständige Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen ist nur in bescheidenem Umfang festzustellen, zumeist finden entsprechende Veranstaltungen nur aufgrund von Initiativen von außen (eben: als Ort!) statt – und dies, obwohl alle in die Befragung einbezogenen Akteure ein grundsätzliches Festhalten an einem gesellschaftspolitischen Verständnis ihrer Kulturarbeit unterstreichen.


Ort und Akteur – oder: Von Innen nach Außen

Peter Alheit schrieb 1999 der Soziokultur ins Stammbuch: "Ich bin allerdings relativ sicher, dass wir heute das Außen, also das Umfeld der Zentren, wieder sehr viel ernster nehmen müssen. Das heißt vielleicht auch, dass wir Soziokultur wieder politischer sehen sollten. Ich habe längere Zeit in Dänemark gelebt, in Kopenhagen. Dort ist die Bereitschaft, einen Raum nicht nur als ‚Innenraum’ zu betrachten, sondern sozusagen als ‚soziales Feld’, sehr ausgeprägt. Soziokultur ist hier noch Bewegungskultur, eng vernetzt mit sozialen Initiativen, Künstlergruppen, fortschrittlichen Parteien und Gewerkschaften - eine vitale Mischkultur, wenn Sie so wollen. Kulturzentren sind wirkliche Öffentlichkeiten, Foren einer ‚deliberativen Politik’ (Habermas), auf denen Lebensfragen kontrovers diskutiert und praktisch gelöst werden. Hier finden ‚Kongresse’ statt zu Fragen wie Geschlechtergleichheit oder Arbeitslosigkeit, und dazu werden die politisch Verantwortlichen eingeladen, kommen auch tatsächlich und diskutieren mit den Betroffenen. Aber vielleicht wäre es heute schon ein Politikum, wenn man kontroverse Milieus und Szenen ins Gespräch brächte, neue kulturelle Kooperation inszenierte und die soziokulturellen Zentren wenigstens von Zeit zu Zeit in soziale ‚Zukunftswerkstätten’ verwandelte." (vgl. Alheit 1999)
1998, aber immer noch von herausragender Aktualität, ist es Roland Roth, der auf dem Bremer Bundeskongress der soziokulturellen Zentren in seinem Eingangsstatement mit dem Titel "Soziokultur – ein Ladenhüter?" die Zentren auffordert (vgl. Roth 1999) u.a. für die

  • Zurückgewinnung einer ‚alternativen’ Öffentlichkeit aktiv zu werden.
    "Mit dem Konzept 'Bürgergesellschaft' drohen auch die Beschränkungen bestätigt zu werden, die für die 'bürgerliche Öffentlichkeit' konstitutiv sind. Dies heißt zunächst, gegen das Prinzip 'Die im Schatten sieht man nicht' anzugehen. Wenn sich soziokulturelle Zentren als öffentliche Foren für eine Zukunftsdebatte verstehen, sollten sie den sozial Ausgegrenzten (...) ebenso einen Platz reservieren wie den radikaleren politischen Gruppierungen (...), die auf den bürgerlichen Tischen üblicherweise kein Namensschild haben. Wie selbstverständlich werden solchen Gruppen im Diskurs über 'Bürgergesellschaft' gar nicht erwähnt, und genau deshalb wird sich Soziokultur daran zu bewähren haben, ob sie gerade für sie ein Forum anbieten und ihren Stimmen Gehör verschaffen." (Roth 1999: 18)
  • Profilierung als Orte für politisch provozierende soziokulturelle Experimente.
  • Demokratie wagen, "demokratisches Empowerment" betreiben.
  • Interventionen in die lokale Politik zu starten.
    "Gerade weil Soziokultur vielerorts zu einem honorigen Subventionstatbestand geworden ist, kommt es darauf an, die sozial bewegten Ursprünge nicht zu vergessen. Auf Gegenmachtbildung und politische Gestaltungsansprüche darf nicht verzichtet werden, gerade wenn radikalere Versionen der Bürgergesellschaft ein plausibles Leitbild darstellen. Unter gegebenen Bedingungen bedeutet dies auch das Risiko und der gelegentliche Verzicht auf staatliche bzw. kommunale 'Anerkennung und Förderung." (Roth 1999: 18)

Allgemeiner formuliert findet sich diese Erwartungshaltung auch in der kulturpolitischen Diskussion, denn – so wird des weiteren festgestellt – es gehöre doch "zur Identität der Soziokultur, Konfliktfelder in der Gesellschaft zu thematisieren und öffentlich und vor allem im gegenseitigem Respekt auszutragen" (vgl. Nida-Rümelin 2001).
Der Frage, welche Funktionen Soziokulturelle Zentren bei der Gestaltung der Gemeinwesen, bei einer Stadterneuerung und Regionalentwicklung von unten haben, geht Joachim Schulze nach und benennt folgende Funktionen:

  • als basisnahe Interventionsagentur,
  • als Frühwarnsystem für Problemlagen im Stadtteil,
  • als Unterstützung und Beratung von marginalisierten und benachteiligten Subkulturen,
  • als Plattform für eine Initiativenpolitik und
  • als eine Förderung von Selbsthilfegruppen und selbst organisierten Projekten (vgl. Schulze 2000: 110).

Aus Sicht der Nutzer benennt er eine mögliche Modellfunktion für selbst organisierte Projekte, eine Kristallisationsfunktion für die Sammlung von neu entstehenden Interessensgruppen und Subkulturen, eine Freiraumfunktion für diskriminierte Minderheiten, eine Ressourcenfunktion für Selbsthilfegruppen und Bürgerinitiativen, die nicht über eigene Räume oder erforderliche technische Möglichkeiten verfügen, eine Starthilfefunktion für Projekte, die nach ihrer Festigung dann in eigene Räume nach draußen gehen, eine Vernetzungsfunktion für regionale Projekte- und Initiativenszenen sowie eine Sprachrohr- oder Lobbyfunktion bei der Einbringung von gemeinsamen Interessen aus der Initiativenszene. Joachim Schulze kommt zu dem Fazit: "Soziokulturelle Zentren und örtliche Initiativenszenen oder Bewegungsmilieus (soweit sie heute noch existent sind) sind über verschiedene Scharniere miteinander verbunden, was sie als Ort für zivilgesellschaftliche Entwicklungsstrategien in überschaubaren Räumen besonders qualifiziert: durch die geteilten, gemeinsame biographischen Vorerfahrungen, Wertvorstellungen und Orientierungen der jeweiligen Akteure, durch die Beteiligung von Initiativen an den Entstehungsprozessen, durch die Identität der Organisationsprinzipien; durch die Bereitstellung bzw. Nutzung der Infrastruktur in den Zentren." (Schulze 2000: 109)
Viele soziokulturelle Zentren tragen über Kooperationen mit engagierten Stadtbewohnerinnen aus dem sozialen, ökologischen und kulturellem Bereich sowie mit den Vertretern aus Politik und Verwaltung zugleich zur Vernetzung der Aktivitäten in der Stadt bei. Dies geschieht u.a. durch die Integration der Gruppen, Initiativen und "Offiziellen" in die Projektarbeit der soziokulturellen Zentren. In Projekten werden inhaltliche Fragen und Anliegen mit Beiträgen aus unterschiedlichen Genres der Kulturarbeit, wie z.B. Musik, Theater, Ausstellung, Diskussion, Film, öffentlich gemacht und zur Diskussion gestellt. Einige Beispiele dazu sind solche Themen wie Umwelt, Geld (Lagerhalle Osnabrück), Freizeitparks, Fußballfans (Schlachthof Bremen), Stadt und Sicherheit (Pavillon Hannover), Kinder in der Stadt, Arm/Reich (zakk Düsseldorf), Eine Welt-Kultur, Europäische Sozialpolitik (Bahnhof Langendreer) (vgl. Knopp/Loers 2000: 29f).


Eine Doppelfunktion: Ort und Akteur

Soziokulturelle Zentren können einen Beitrag zu der Entwicklung eines solchen Diskurses leisten und dies quasi "von unten" her. Dies ist möglich, weil ihnen bezogen auf die Stadt eine Doppelfunktion zukommt:

  1. Mit ihrem Kulturveranstaltungs- und Raumangebot sind sie Teil der kulturellen und sozialen Infrastruktur einer Stadt. "Bezogen auf den Kontext von soziokulturellen Zentren und Stadt sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: Zum einen sind soziokulturelle Zentren unmittelbare Ansprechpartnerinnen für die lokale Kulturszene und erbringen, über die Schaffung von Auftrittsmöglichkeiten hinaus, vielfach auch Beratung, sowie technische und organisatorische Unterstützung. Damit fördern die Zentren die Existenz und Entwicklung einer kulturellen Szene, die nicht zuletzt auch den großstadttypischen Charme ausmacht. Zum anderen sind sie für viele Initiativen und soziale Bewegungen ein wichtiger Kooperationspartner, da sie diesen vielfach Raum und Unterstützung bei der Organisierung von Veranstaltungen und zur Mobilisierung für deren Ziele bieten. Damit kommt ihnen eine Vernetzungs- und Drehpunktfunktion zu (Flohé/Knopp 1999), die eine wichtige Voraussetzung für die Schaffung stadtpolitischer Diskurse ist." (Knopp/Loers 2000: 33f)
  2. Soziokulturelle Zentren können von sich aus Themen besetzen, die für die weitere Entwicklung der Lebensbedingungen in ihrer Stadt von Bedeutung sind, wobei ihre relative Unabhängigkeit von Verwaltungshierachien hierbei von Nutzen ist. Dies ist ihnen möglich mit den vielfältigen Mitteln der Kulturarbeit, so kann z.B. die Entwicklung eines polarisierenden Verhältnisses von Arm und Reich mit Theaterstücken, Lesungen, Benefizkonzerten etc. thematisiert werden (Knopp 1997).

Zugleich können sie ihre Funktion dahingehend ausfüllen, als sie Auseinandersetzungen zu Themen der Stadtpolitik in Form von besonderen Veranstaltungen, z.B. runden Tischen, Foren, Tagungen etc. zusätzlich vertiefen. Dabei können sie, über die eigene Positionierung hinaus, eine vermittelnde Funktion wahrnehmen, da es ihnen relativ leicht fällt, Verantwortliche und Entscheidungsbefugte aus der Stadtpolitik und -verwaltung mit der freien Kulturszene oder Gruppen sozialer Bewegungen an einen Tisch zu bringen. Gerade in einer ‚Kultur eines neuen Kapitalismus’ kommt den soziokulturellen Zentren eine besondere Bedeutung zu, da sie aus ihrer Ideengeschichte und ihrer Praxis heraus dafür stehen, die Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse zu ermöglichen und Prozesse solidarischen Handelns zu unterstützen bzw. Raum dafür zu bieten (Flohé/Knopp 2003). Ihnen kommt eine besondere Rolle als Handlungsräume der Bürgergesellschaft zu (vgl. Flohé 1999, Flohé 2003). In den Diskursen zwischen allen Gruppen der Stadt-Gesellschaft als Form der Auseinandersetzung können sich die Zentren verorten: Sie können Netze spannen und Räume für solche Verständigungsprozesse öffnen, sie können mit ihren kommunikativen Netzwerken eine wichtigen Beitrag zu einer Neufassung des Sozialen und Politischen leisten. Die Zentren stehen für eine wichtigen Bereich der Gesellschaft: Sie sind - so nochmal Peter Alheit - der "Lernort für zivile Gesellschaften - kontrovers, kreativ, spannend."


Literatur

  • Alheit Peter 1992: Kultur und Gesellschaft. Plädoyers für eine kulturelle Neomoderne., Bremen.
  • Alheit, Peter 1999: Soziokultur ist politisch, ob sie will oder nicht. In: Flohé, Alexander/Knopp, Reinhold (Hg.): Drehpunkte. Perspektiven und Kontexte soziokultureller Praxis, Essen.
  • Flohé, Alexander/Knopp, Reinhold (Hg.): Drehpunkte. Perspektiven und Kontexte soziokultureller Praxis, Essen.
  • Flohé, Alexander 1999: Kommunale Handlungsräume. Soziokulturelle Zentren als Foren und Orte einer deliberierenden Bürgergesellschaft. In: Zukünfte. Zeitschrift für Zukunftsgestaltung & vernetztes Denken, Nr. 27, 8. Jg., Frühjahr 1999.
  • Flohé, Alexander 2003: Intervention, Kooperation, Provokation. Soziokultur und städtische Zivilgesellschaft. In: Informationsdienst Soziokultur, Nr. 52, Heft 2.
  • Flohé, Alexander/Knopp, Reinhold 2003: Konstitutive Elemente für die Praxis soziokultureller Zentren. Eine qualitative Studie. In: Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft: Soziokulturelle Zentren in Nordrhein-Westfalen, Genese – Profile – Perspektiven, Bonn/Essen.
  • Glaser, Hermann/Stahl, Karl Heinz 1974: Die Wiedergewinnung des Ästhetischen. Perspektiven und Modelle einer neuen Soziokultur, München.
  • Glaser, Hermann 2000: Statement. In: Landesarbeitsgemeinschaft Soziokultur Sachsen e.V.: Paradigma Soziokultur? Prozesse und Produkte in Theorie und Praxis, Dresden.
  • Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter 1987: Neue Urbanität, Frankfurt am Main
  • Hübner, Irene 1981: Kulturzentren, Weinheim/Basel.
  • Knopp, Reinhold/Loers, Annette 2000: Soziokulturelle Zentren und die Auseinandersetzung um die Zukunft der Stadt. In: Knopp, Reinhold/Loers, Annette (Hg.): Ortsgespräche. Die Zukunft der Stadt in der Diskussion, Essen.
  • Knopp, Reinhold 1997: Die Stadt als Orientierungspunkt in: Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 77, II/77.
  • Nida-Rümelin; Julian 2001: Das Unbequeme fördern. Interview mit Julian Nida-Rümelin. In: Informationsdienst Soziokultur, Nr. 43, 1/2001.
  • Roth, Roland 1999: Soziokultur – ein Ladenhüter? In: Informationsdienst Soziokultur, Nr. 40/41, 1/1999.
  • Röpke, Thomas 1993: Zwanzig Jahre Neue Kulturpolitik, Erklärungen und Dokumente 1972-1992, Essen.
  • Sauberzweig, Dieter 1974: Kulturpolitik und Stadtentwicklung. In: Hoffmann, Hilmar (Hg.), Perspektiven kommunaler Kulturpolitik. Beschreibungen und Entwürfe, Frankfurt.
  • Schulze, Joachim 2000: Relais am "Dritten Weg". In: Bundesvereinigung sozio-kultureller Zentren e.V. (Hg.): www.soziokultur.de/20, Essen.
  • Sievers, Norbert/Wagner, Bernd 1992: Soziokultur und Kulturpolitik. In: Sievers, Norbert/Wagner, Bernd 1992 (Hg.): Bestandsaufnahme Soziokultur, Stuttgart/Berlin/Köln.
  • Stüdemann, Jörg 1989: Der Status der Soziokultur angesichts kultureller und kulturpolitischer Trends. Ein Gesprächsprotokoll. In: LAG Soziokultureller Zentren NRW (Hg.): Kongreß der SiegerInnen – Auf zu anderen Ufern, Essen.