Interkulturelle Begegnungs- und Beratungsstätte für Senioren

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Kontakt:

Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Hannover Stadt e.V., Beratungszentrum für Integrations- und Migrationsfragen, Interkulturelle Seniorenarbeit, Deisterstr. 85A, 30449 Hannover, Tel.: 0511-21978-143, Fax: 0511-21978-150, email: fatma.taspunar@awo-hannover.de 
oder: Interkulturelle Begegnungs- und Beratungsstätte für Senioren, Heisenstr. 6b, 30167 Hannover, Tel.: 0511-702765.

Der Aufgabenbereich "Interkulturelle Seniorenbereich existiert als Projekt "Alte Migranten" bei der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Hannover Stadt e.V. seit 1994. Der Aufgabenbereich ist in den Fachbereich Migration der Arbeiterwohlfahrt eingebunden.


Ausgangslage

Der Grund für die Einrichtung eines eigenständigen Fachbereiches war, dass allen Schätzungen zu Folge in absehbarer Zeit ein rascher und deutlicher Anstieg der Zahl der älteren Migranten und Migrantinnen zu erwarten ist. (So wird erwartet, dass im Jahr 2010 1,3 Mio. Migranten und Migrantinnen über 60 Jahren im Bundesgebiet leben werden.)
Wie sieht es mit dieser Prognose in Hannover aus?
Nach dem Sozialbericht des Landeshauptstadt Hannover befanden sich am 01.01.2001 7.687 Migranten im Alter über 60 Jahre in Hannover. Dieses entsprach einem Anteil von 6,1% an den älteren Menschen.
Im Jahr 1995 betrug der Anteil noch 3,8%, was absolut betrachtet 4.625 Menschen ausmachte. Dieses entsprach einen Zuwachs von 66,2%.
Auf die veränderte Lebensplanung der Migranten und Migrantinnen, die nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben in Deutschland dauerhaft leben werden, sind weder sie noch die deutsche Gesellschaft hinreichend vorbereitet. Dem zufolge gibt es weder ausreichende noch adäquate Angebote der Regeldienste für diese Zielgruppe.
Durch die stärkere Angleichung der Lebensentwürfe der Migranten und Migrantinnen der zweiten und dritten Generation an deutsche Lebensformen stellen sich neue Anforderungen an die sozialen Netzwerke. Eine innerfamiliäre Betreuung im Alter kann nicht mehr ohne weiteres vorausgesetzt werden.

Zielgruppe:

Zielgruppe der Arbeit sind:

  • Ältere Migranten und Migrantinnen, vor allem aus den ehemaligen Anwerbeländern, die in jungen Jahren eingereist und in Deutschland alt geworden sind und
  • Ältere Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen
  • Ältere Kontingentflüchtlinge, die den größten Teil ihres Lebens im Herkunftsland (GUS-Staaten..) verbracht und erst im fortgeschrittenem Altert eingewandert sind.

Bedarf der Zielgruppe

Aus der oben beschriebenen Entwicklung ergibt sich der Bedarf an Hilfeleistungen im Bereich

  • Informationen über seniorenspezifische Angebote
  • Alltagsbewältigung
  • Vorbeugung und Überwindung von Isolation, da das Ausscheiden aus dem Berufsleben meist zu Kontaktverlust, bis hin zur vollkommenen Isolation führt.
  • Freizeitgestaltung

Hinzu kommen weitere tiefgehende Problematiken, die sich in unterschiedlichsten latenten oder offenen Krankheitsbildern manifestieren. Sie sind Folge der Arbeitslosigkeit im fortgeschrittenen Alter, körperliche Folgen eines harten Arbeitslebens oder Auswirkung des Migrationsprozesses. Aufgrund dessen ist ein erheblicher Teil der älteren Migranten und Migrantinnen früher und stärker als die deutschen Senioren auf Hilfe- und Versorgungsleistungen angewiesen.
Deshalb greifen die Angebote für Senioren für dieses Zielgruppe auch in einem viel früherem Lebensalter ein. Das Alter der Teilnehmer, die sich auch als Senioren definieren fängt schon bei 50 an. Während das durchschnittliche Alter der Teilnehmer bei einheimischen Seniorenclubs ab 75 liegt.
Sie verfügen häufig über niedrige Renten, was auf ein geringeres Einkommen aus Arbeitsverhältnissen in Niedrig-Lohngruppen zurückzuführen ist.
Des weiteren führt die Einwanderung im fortgeschrittenen Alter, wie z.B. bei nachgezogenen Ehepartnern und Ehepartnerinnen, Spätaussiedler und Spätaussiedlerinnen und Kontingentflüchtlingen, die sich relativ spät zur Aussiedlung entschieden haben, zur kürzeren rentenrelevanten Versicherungszeiten.

Dem zufolge ergeben sich folgende Ziele für die Arbeit:

  • Förderung des Selbsthilfepotenzials und Stärkung der Ressourcen
  • Stärkung des Gemeinschaftsgefühles
  • Aufbau neuer Seniorengruppen in verschiedenen Stadtteilen
  • Interkulturelle Öffnung der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen
  • Entwicklung von neuen Wohnmodellen für älterer Migranten und Migrantinnen
  • Qualifizierung von Ehrenamtlichen, sowie deren Beratung und Unterstützung bei der eigenständigen Gruppenleitung
  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Problematik "Alte Migranten"
  • Initiierung des interkulturellen Dialogs

Um die genannten Ziele zu verwirklichen, sind im Aufgabenbereich vier Arbeitsfelder zu berücksichtigen.

1. Gremienarbeit/Öffentlichkeitsarbeit, z.B.

  • Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe
  • Runder Tisch Alter und Migration
  • Stadtteilrunden
  • Vorträge über Alter und Migration

2. Interkulturelle Fachberatung intern wie extern sowie von Hauptamtlichen in der interkulturellen Seniorenarbeit in anderen Stadtteilen, z.B.

  • 2 Russische Seniorengruppen in Hannover-Sahlkamp
  • Einrichtung eines Pflegenottelefons

3. Angebote für Senioren initiieren, z.B.

  • Interkulturelle Begegnungs-und Beratungsstätte, Heisenstr. 6b, 30167 Hannover
    • Treffen von internationalen Seniorengruppen an 7 Tagen der Woche
    • Aquise und Betreuung von ehrenamtlichen Gruppenleitern
    • Interkulturelle Feste
    • Thematische Infoveranstaltungen

4. Entwicklung von neuen Projekten, z.B.

  • Partnerbesuchsdienst
  • Spuren in Hannover
  • Alternative Wohnformen

Um die Aufgabe "Angebote für Seniorinnen und Senioren aus unterschiedlichen Herkunftsländern initiieren" erfüllen zu können stand bis 1999 keine eigene Räumlichkeiten zur Verfügung. In Absprache mit der offenen Seniorenarbeit des Kreisverbandes der AWO wurde eine Begegnungsstätte, die nur noch einmal in der Woche von einer deutschen Gruppe besucht wurde, angeschaut.
Die Begegnungsstätte befindet sich in einem Stadtteil mit einem hohen Migrantenanteil. Sie war in einem stark renovierungsbedürftigem Zustand. Erst mit der gründlichen Renovierung Anfang 2000 konnte vielen Migrantengruppen der Zugang zum Treffpunkt ermöglicht werden.
Dieses wurde möglich nicht zuletzt auch durch die finanzielle Unterstützung des Bezirksrates Nord und durch diverse Spendengelder wie von Bahlsen AG und Sparkasse.
Jetzt nach 2 Jahren ist die Begegnungsstätte an jedem Tag der Woche belegt.

Die formalen Rahmenbedingungen:

  • Die Gruppen werden durchweg von ehrenamtlichen Gruppenleitern und -leiterinnen geleitet, die auch die gleiche Sprache sprechen.
  • Die Gruppen sind für ihre inhaltliche Gestaltung und Finanzierung (außer Aufwandsentschädigung der Gruppenleiter/innen) selbst verantwortlich. Das fördert die Eigeninitiative und fordert die vorhandenen Selbsthilfepotenziale heraus.

Damit die Besucher und Besucherinnen der Begegnungsstätte sich auch mit dem Haus identifizieren können, wurden Instrumente der Mitsprache und Teilhabe geschaffen.


Instrumente der Mitsprache und Teilhabe

  1. Regelmäßige zweimonatliche Gruppenleitungstreffen.
    Durch die Treffen ist ein erstes gemeinsames Forum aller Beteiligten geschaffen. Hierbei kommen alle Gruppenleiter und -leiterinnen zusammen, um weitere Aktivitäten zu planen. Den Gruppenleiter und -leiterinnen fällt dabei eine besondere Bedeutung zu – sie sind Bindeglieder zu ihren Gruppenmitgliedern und vermitteln dort gemeinsame Absprachen und "Regeln" (i.S. einer Hausordnung) im Treffpunkt. Gleichzeitig bringen sie Wünsche der Besucher und Besucherinnen ein.
    Das Leitungstreffen wird protokolliert; somit erhalten gemeinsam getroffene Absprachen eine Eindeutigkeit und Verbindlichkeit. Thematische Schwerpunkte der Treffen sind "Berichte aus den einzelnen Gruppen", "Vereinbarungen zum Betrieb des Treffpunktes", "neue Projekte" und "gemeinsame Aktivitäten".
     
  2. Gruppenleiterfortbildungen
    Die Gruppenleiter und –leiterinnen bekommen Fortbildungen zu verschiedenen Themen wie Gewaltprävention bei Senioren, und Gruppendynamik , in dem Themen wie "Wie gehe ich mit schwierigen Teilnehmern und Teilnehmerinnen um?" "Wie definiere ich meine Rolle als Leiter/in?" usw. ; wo sie auch in ihrer Position als Leiter/innen gestärkt werden indem sie "Handwerkszeug" für ihr Tun bekommen.
     
  3. Vertrauensvorschuss
    Die Gruppen erhalten zur Gestaltung ihrer Aktivitäten einen Vertrauensvorschuss, in dem sie die "Schlüsselgewalt" haben. Nach Absprache über Nutzungszeiten und Modalitäten erhält jeder Gruppenleiter, jede Gruppenleiterin einen eigenen Schlüssel zum Zugang in die Räume. Hierdurch werden selbstorganisierte und –verwaltete Aktivitäten erst möglich. Somit können außerdem Nutzungszeiten ausgedehnt werden (z.B. Wochenenden und Abendstunden), ohne, wie sehr häufig in Begegnungsstätten für ältere Einheimische, abhängig zu sein von "Empfangsdamen" und "Küchenpersonal".
     
  4. Die Interessen der Besucher und Besucherinnen akzeptieren
    Des weiteren ist es unbedingte Voraussetzung, bei der Umsetzung interkultureller Angebote und Initiativen sensibel mit den Interessen der Besucher und Besucherinnen umzugehen. Integrative Bestrebungen brauchen eine längere Vorlaufzeit. Zu Ausflügen und zu Festen, also nur zu besonderen Ereignissen, mischen sich dann die unterschiedlichen Nationalitätengruppen miteinander.
    Bei dem Projekt "Internationale Kochgruppe" sind türkische, russische und tunesische SeniorInnen zusammengekommen, um gemeinsam zu kochen, Rezepte auszutauschen, und ein gemeinsames Kochbuch herauszubringen.
    Dieses Projekt konnte realisiert werden, da eine Jahrespraktikantin dieses in Angriff genommen und sich auf jedes Treffen vorbereitet hatte. Leider konnte die Gruppe nach dem Ausscheiden der Jahrespraktikantin nicht weitergeführt werden, da niemand aus der Gruppe die Leitung übernehmen wollte.
    Wichtig für das Zusammenhalt und Näherkommen der Gruppen untereinander sind auch die regelmäßigen Veranstaltungen wie das Jahresabschlussfest, das schon seit 3 Jahren gefeiert wird. 2003 wurde mit einem Tag der Offenen Tür das drei jährige Bestehen des Hauses gefeiert. Ab 2004 wird auch ein Sommerfest etabliert.
     
  5. Die Selbsthilfepotenziale älterer Migranten und Migrantinnen einbinden
    Die Einbindung von Selbsthilfepotenzialen älterer Migranten und Migrantinnen schafft Beteiligung bei allen Aktivitäten. Insbesondere werden die Selbsthilfepotenziale durch die einzelnen Gruppenleitungen (Programmgestaltung für Gruppen, aktive Mitarbeit im Treffpunkt) abgerufen, aber auch das Anregen informeller Kontakte in den Gruppen (Abrufen von Beratungsleistungen) und gegenseitige solidarische Unterstützung (Besuche in den Krankenhäusern..) fördern das Miteinander. Sichtbar wird dies auch an dem neuen Projekt "Partnerbesuchsdienst für Migranten"


Partnerbesuchsdienst für Migranten

Ausschlaggebend für die Idee für das Projekt "Partnerbesuchsdienst für Migranten" war zum einen die Bereitschaft der Gruppenmitglieder, sich ehrenamtlich betätigen zu wollen, und zum anderen die Aussagen von pflegenden Angehörigen und einigen Klienten im Beratungszentrum für Migrations- und Integrationsfragen, dass sie mit Menschen zu tun haben, die nicht mehr alleine die Wohnung verlassen können und von der Isolation bedroht sind.
Da die Menschen im Alter sich wieder verstärkt auf ihren Wurzeln besinnen, möchten sie auch jemanden haben, die ihre Sprache spricht und auch die gleichen "Wurzeln" hat wie sie selbst.

Ziel:
Menschen die alleine leben und nicht mehr beweglich sind um an den evtl. Gruppenaktivitäten teilzunehmen mit Menschen zusammenbringen, die die gleiche Sprache sprechen und die gleichen Interessen haben wie sie selbst.

Durchführung:
Damit die Besucher und Besucherinnen und Gastgeber und Gastgeberinnen auch von ihrer Interessen her zusammenpassen, wurde ein Fragenkatalog entwickelt.
Jede potenzielle Besucher und Besucherin und jede potenzielle Gastgeber und Gastgeberin wird interviewt, wobei der Fragenkatalog als Leitfaden dient.
Nach Auswertung der Interviews werden die jeweiligen Gemeinsamkeiten nach Sprache, Interessen, Hobbys, Wunsch der Besuchstage usw. herausgefunden.
Zum ersten Treffen wird der Besucher, die Besucherin zum Gastgeber, zur Gastgeberin begleitet.
Die Besucher, die Besucherinnen und die Gastgeber, Gastgeberinnen, werden regelmäßig zu Treffen eingeladen, um zum einen evtl. entstehende Unstimmigkeiten vorzeitig vorzubeugen und zum anderen um das Gefühl zu vermitteln, dass sie ernst genommen werden und nicht allein sind.
Das erste Treffen der Besucherinnen hat am 2.10.2003 stattgefunden.


Personelle Rahmenbedingungen:

In dem Arbeitsbereich Interkulturelle Seniorenarbeit sind tätig:

  • 1 Leitung mit 25 St. in der Woche
  • 1 Mitarbeiter mit 9,25 St. in der Woche
  • 1 Mitarbeiter mit 8 Stunden in der Woche (Sozialberater aus der Beratungsstelle mit Schwerpunkt Senioren)
  • 16 Ehrenamtliche Gruppen- bzw. Neigungsgruppenleiter und –leiterinnen.


Übertragbarkeit der Einrichtung auf andere Stadtteile:

Inhaltlichen und formalen Voraussetzungen:

  • Eigene Räumlichkeiten
  • Zeitkapazitäten für die einzelnen Gruppen
  • Von Anfang an sich nicht auf eine Nationalitätengruppe konzentrieren: Das Haus sollte nicht die "Handschrift" einer dominanten Gruppe tragen.
  • Ehrenamtliche Gruppenleiter/innen, die die gleiche Sprache sprechen
  • Die Gruppen sind für die inhaltliche Gestaltung selbst verantwortlich
  • Instrumente der Mitsprache und Teilhabe schaffen:
    • Regelmäßige Gruppenleitertreffen
    • Vertrauensvorschuss
    • Die Interessen der Besucher/innen akzeptieren und in die Angebotsplanung mit einnehmen.
    • Die Selbsthilfepotenziale älterer Migranten/innen einbinden

Ich möchte noch zum Schluss anmerken, dass die Arbeit der Einrichtung im Rahmen des EU-Projektes "Entwicklung innovativer Konzepte zur sozialen Integration älterer Migranten/innen" des BaS-Bundesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros unter der Koordination des ISAB-Institut für sozialwissenschaftliche Analysen und Beratung im Jahr 2002 europaweit "als eines von 18 Projekten als besonders vorbildliches und vielversprechendes Beispiel ausgewählt" wurde.