Lokale Ökonomie

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Judith Knabe, Cranachstr. 5, 50733 Köln, Tel.: 0221-8008321; eMail: Judith.Knabe@gmx.de

Bei dem hier veröffentlichen Text handelt es sich um das Kapitel 2 der Diplomarbeit der Autorin "Lokale Ökonomie als Ansatz Sozialer Arbeit - dargestellt am Beispiel Kölner Projekte" (eingereicht 07/2002 im Fachbereich Sozialwesen an der Kath. Fachhochschule NW Abt. Köln).
Die komplette Diplomarbeit können Sie hier als pdf-Datei » downloaden (187 Seiten, 1.849 kB), ebenso die dazugehörigen vollständigen Interviews als » Anhang (64 Seiten, 698 kB )


1)  Die Theorie

Wie können Menschen ihre Existenz sichern? Wie können sie langfristig ihre Bedürfnisse befriedigen, auch wenn sie durch Arbeitslosigkeit von wirtschaftlichen Prozessen abgekoppelt sind? Wie können wirtschaftlich unattraktive Gemeinwesen und Krisenregionen wieder eine Zukunftsperspektive erlangen? Im europäischen Raum finden diese Fragen seit langem Beachtung. In Deutschland hat die Diskussion verzögert begonnen und findet auch seit kurzem Niederschlag in der Sozialen Arbeit. 1 
Wer sich mit der Lokalen Ökonomie befasst, wird feststellen, dass es in der Literatur kein allgemein akzeptiertes Verständnis, geschweige denn ein einheitliches Konzept gibt. Zu beobachten ist allerdings, dass sich verschiedene Forschungsprojekte mit diesem Thema beschäftigen. 
Begriffe wie „Soziale Ökonomie“, „solidarische Ökonomie“, „Gemeinwesenökonomie“, „feministische Ökonomie“, „Dritter Sektor“ und Lokale Ökonomie werden in der fachlichen Diskussion nicht genau voneinander abgegrenzt. Zu beobachten sind viele konzeptionelle Gemeinsamkeiten, die eine solche Abgrenzung erschweren. Die verschiedenen Termini sind Ausdruck der unterschiedlichen Denktraditionen der Verfasser. Sie beziehen sich auf unterschiedliche Rahmenbedingungen, Auffassungen von Regionalentwicklung und weisen auf unterschiedliche Trägerkonstellationen und Adressaten hin. Klöck bezeichnet dies etwa als „isolierte Diskurse“, die zu einem Konzept gemacht werden müssten. 2 
Während einige Ansätze der Ökonomie implizit oder ausdrücklich die Dimension des Sozialen bzw. des Solidarischen stärker betonen, akzentuiert die lokale Ökonomie den Ort bzw. den Raum. In dem Raum sollen alle lokal vorhandenen Wirtschaftsformen und Arbeitsansätze integriert, miteinander vernetzt und entwickelt werden. 3 
Der Begriff Lokale Ökonomie ist die Übersetzung des englischen „local economy“ und meint zunächst die Gesamtheit ökonomischen Handelns innerhalb eines geographisch begrenzten Gebiets oder einer Gebietskörperschaft, wie z.B. Städte, Stadtbezirke, Gemeinden. 4 
„Lokal“ (lat. locus = Ort) betont in diesem Zusammenhang die Handlung vor Ort, wobei der Ort als Wirtschaftseinheit, als Reproduktionsmöglichkeit und als Ort der Existenzsicherung gesehen wird. 5 
Das Gemeinwesen, also ein überschaubarer Raum mit historisch gewachsener Struktur und kultureller Identität 6 , wird nicht als beliebiger Standort gesehen. Das Gemeinwesen ist die „Keimzelle“ einer alternativen Wirtschaftsform im Sinne der Lokalen Ökonomie. 7 
Das Gemeinwesen ist nicht statisch, sondern hat den Charakter einer „living and organic strukture“. 8 
Dies geschieht durch die Rückbesinnung auf den Ort als Lebenszusammenhang einer bestimmten Bevölkerung, ihrer Umgebung und einer gewachsenen Kultur. 9 
Lokale Ökonomie versucht eine Verbindung von sozialem und ökonomischem Handeln herzustellen. Sie sucht nach neuen Formen des Wirtschaftens und lokalen Strategien der Selbsthilfe, die eng an die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen vor Ort gekoppelt sind. 10 
Der Begriff Lokale Ökonomie ermöglicht es, das Geflecht verschiedener Wirtschaftsweisen von der Hauswirtschaft bis zur Marktökonomie an einem Ort zu betrachten 11 . Darüber hinaus macht sie sich die Vernetzung und die Förderung kooperativer Handlungsstrategien zur Aufgabe. Mit den unterschiedlichen Wirtschaftsweisen sind zum einen makro-, aber auch mikroökonomische Ansätze gemeint, also privatwirtschaftliche (privatwirtschaftliche Unternehmen), aber auch sozialökonomische Ansätze (soziale Unternehmen) 12 .
Ein weiterer Aspekt ist dabei die Nutzung vorhandener Ressourcen und ihre Vernetzung sowie die Partizipation der Bevölkerung vor Ort 13 .
Wichtig ist es aus der Sicht der Lokalen Ökonomie, die Austauschprozesse zwischen privatwirtschaftlichem,  staatlichem und informellem Sektor zu analysieren und die vor Ort existierenden Ressourcen, Bedarfslagen und Kompetenzen – die sogenannten “endogenen Potentiale“ – für Selbstorganisation und Kooperation zu nutzen 14 . Nur aufgrund einer vorangehenden Analyse dieser Vernetzungsmöglichkeiten ist ein zielgerichtetes Handeln der verschiedenen Akteure vor Ort möglich.
Zusammenfassend kann Lokale Ökonomie eine Strategie sein, „wie die jeweilige Bevölkerung die Überlebensfähigkeit ihres Gemeinwesens an einem bestimmten Ort, an dem und von dem sie lebt, mit den an diesem Ort vorhandenen Mitteln (den endogenen Potentialen), nach dem Grundsatz „Local work for local people using local resources“ 15  sicherstellen kann.
Um eine Abgrenzung der „Lokalen Ökonomie“ von der „Solidarischen Ökonomie“, der „Sozialen Ökonomie“ sowie der „Gemeinwesenökonomie“ vorzunehmen, kann das Modell der Interdisziplinären Forschungsgruppe Lokale Ökonomie der Technischen Universität Berlin herangezogen werden.

Abbildung 1: Entwicklungsperspektiven im 3. Sektor 16 

In Abbildung 1 wird die Abgrenzung der unterschiedlichen Formen und Auffassungen von Lokaler Ökonomie deutlicher. Sie werden durch die grafische Darstellung innerhalb der im Modell als „Weltökonomie“ bezeichneten Umgebung, des weiteren in einen Zusammenhang gebracht. Deutlich wird, dass Lokale Ökonomie den anderen Konzepten übergeordnet ist und sich von der „Weltökonomie“ abgrenzt.
Die Lokale Ökonomie wird demnach zunächst in die „Soziale Ökonomie“ (beinhaltet soziale Unternehmen und informelle Gemeinwesenunternehmen) und die „Schattenökonomie“ (beinhaltet eine kriminelle Formierung der illegalen Ökonomie 17  und eine solidarische Formierung in Form von Nachbarschafts- und Selbsthilfe und Familienökonomie) unterteilt.
Die „Gemeinwesenökonomie“ siedelt sich zwischen „Schattenökonomie“ und „Sozialer Ökonomie“ an, denn sie umfaßt vor allem Nachbarschafts- und Selbsthilfe, sowie Organisationen der formellen Gemeinwesenökonomie.
Die „Soziale Ökonomie“, wie sie in Abbildung 1 verstanden wird, umfasst vor allem die sogenannten „sozialen Unternehmen“ und die „formellen Gemeinwesenunternehmen“. Unter „sozialen Unternehmen“ sind Unternehmen oder Organisationen zu verstehen, die ein klares soziales Ziel anstreben und eine Form sozialer Dienstleistung anbieten. Sie reinvestieren ihre Überschüsse und kennzeichnen sich durch kooperatives Verhalten 18 . Soziale Unternehmen können auch in Vereinsform marktwirtschaftlich tätig sein. Entgegen dieser Auffassung sind „formelle Gemeinwesenunternehmen“ rein marktwirtschaftlicher Art, richten sich jedoch ausschließlich an das Gemeinwesen wie z.B. eine Fahrradreparaturwerkstatt oder ein Stadtteilladen, der selbstangebautes Gemüse verkauft.
Mit dem Begriff „Gemeinwesenökonomie“ wird nach Elsen eine „menschenorientierte Wirtschaftskultur bezeichnet, die in neuen Formen wirtschaftlicher Organisation die Werte der Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit und der Partizipation von Menschen bei Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, aufnimmt“ und die die „Sicherung der Überlebensfähigkeit menschlicher Gemeinschaften“ zum Ziel hat. Ihre Steuerungsmedien sind „Vertrauen“ und „Solidarität“, ihre Kräfte sind sozialintegrativ und solidaritätskonstituierend.“ 19 
Gemeint ist hier im Sinne von Abbildung 1 eine Wirtschaftsform, die - im Gegensatz zu kapitalistischen Arbeitsstrukturen - die Nachbarschafts- und Selbsthilfestrukturen eines Gebietes fördert und sich auf die Bedürfnisse der Menschen bezieht. Elsens Definition ist verstärkt ausgerichtet auf benachteiligte Sozialräume 20 . „Gemeinwesenökonomie“ fordert in diesem Zusammenhang Partizipationsmöglichkeiten für die Bevölkerung und eine „Sozialplanung von unten“. 21 
„Gemeinwesenökonomie“ entsteht in Kontexten, wo soziale Gruppen, Stadtteile oder Bezirke von den ökonomischen Entwicklungen der Privatwirtschaft abgekoppelt sind und wo Sozialpolitik nicht mehr greift. Es geht also um die konkrete Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns und Zusammenlebens in sozialen Kontexten. Nach Abbildung 1 gehören zu diesem Ansatz zum einen die „formellen Gemeinwesenunternehmen“ und zum anderen „Nachbarschafts- und Selbsthilfestrategien“ als eine „solidarische Formierung“ der sogenannten „Schattenökonomie“. „Gemeinwesenökonomie“ bewegt sich somit im Spektrum „Sozialer Ökonomie“ und „Schattenökonomie“. Sie grenzt sich von der Lokalen Ökonomie vor allem durch die Konzentration auf das Gemeinwesen oder eine bestimmte Gemeinschaft ab, wohingegen lokalökonomische Strukturen stärker vernetzend wirken sollen.
Die „Solidarische Ökonomie“ ist hier der „Sozialen Ökonomie“ gleichzusetzen. 22 
In Bezug auf die „Solidarische Ökonomie“ gibt es unterschiedliche Auffassungen. Klöck grenzt bspw. die „Solidarische Ökonomie“ deutlich von der „Sozialen Ökonomie“ ab, wobei er die „Soziale Ökonomie“ mit dem Dritten Sektor gleichsetzt. 23 
Er bezeichnet als „Solidarische Ökonomie“ z.B. jene Ökonomie, die verstärkt in den sozialen Bewegungen und der Armutsbevölkerung ihre Tradition hat, wo es sowohl um Umverteilung sozialer Risiken geht, als auch um die Erprobung neuer Formen der Existenzsicherung fernab von der klassischen Erwerbsarbeit 24 . Klöck bezeichnet die „Solidarische Ökonomie“ weiterhin als das „Zusammenbringen der ausgegrenzten Menschen mit den vernachlässigten Aufgaben.“ 25  Dies ist allerdings kritisch zu sehen, da Lokale Ökonomie durchaus den Ansatz hat, darüber hinaus tätig zu werden. Nicht nur ausgegrenzte Menschen sollten aus der Not heraus zu diesem Mittel greifen. Projekte der Lokalen Ökonomie machen nur Sinn, wenn auch ein Verständnis für die Notwendigkeit einer veränderten Wirtschaftsweise vorhanden ist 26 .
Für diese Arbeit soll der Ansatz von Birkhölzer und der Interdisziplinären Forschungsgruppe grundgelegt werden, da hier die wenig überzeugende Unterscheidung zwischen „Solidarischer Ökonomie“ und „Sozialer Ökonomie“ nicht vorgenommen wird.
Die Vorstellungen einer „Feministischen Ökonomie“ ordnet die Forschungsgruppe nicht in ihr Modell ein. Hierin ist auch eher ein übergreifendes Konzept zu sehen, welches eine prinzipielle Neuorganisation der Arbeit schlechthin fordert. Unbezahlte und bezahlte Arbeit soll nach der „feministischen Ökonomie“ den gleichen Stellenwert bekommen. In der feministischen Denkweise über Ökonomien, gibt es mindestens vier verschiedene Ansätze. Dazu zählen nach Möller: 27 

  • Ansatz der „Human Economy“ nach Pietilä
  • „Bielefelder Ansatz“ der Subsistenzwirtschaft (auch „moral economy“ genannt) nach Bennholdt-Thomsen, Mies und Werlhof,
  • das Verständnis einer feministischen Ökonomie als „Vorsorgendes Wirtschaften“ (Ansatz einer Arbeitsgruppe in St. Gallen von 1992)
  • sowie der Ansatz der „Sozialen Orte ökonomischen Handelns“ nach Madörin 28 

Obwohl diese Konzepte unterschiedliche Akzente setzen, sind sie sich in ihrem Verständnis von Arbeit einig 29 . Dies wird m. E. in der Definition von „feministischer Ökonomie“ nach Möller deutlich: „Ziel eines bedürfnisorientierten, solidarischen Wirtschaftens ist es, Wirtschaften, Arbeiten, Lernen und Leben wieder zu verbinden mit der Absicht, eine gute und sich möglichst verbessernde Lebensqualität auf der Basis einer lokal orientierten und überörtlich vernetzten Selbstversorgung für alle herzustellen. Es ist ein Wirtschaften und Arbeiten für ein `gemeinsames Eigenes´. Die Reproduktion des Lebens ist das Ergebnis von Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung, in die alle Personen mit gleichen Rechten und gemäß ihren Möglichkeiten einbezogen sind. Eine eigenständige Existenzsicherung resultiert aus bezahlten und unbezahlten Leistungen für gesellschaftlich notwendige und ökologisch sinnvolle Arbeiten.“ 30 
Des weiteren ist die „Schattenökonomie“ im entwicklungsperspektivischen Modell der Interdisziplinären Forschungsgruppe (Abbildung 1) ein weiterer Bestandteil. Sie wird unterteilt in eine „solidarische Formierung“ und eine „kriminelle Formierung“. Die „solidarische Formierung“ zeigt sich in Formen der Nachbarschaftshilfe und in der Selbsthilfe der „Gemeinwesenökonomie“, sowie in der „Familienökonomie“. Zur „kriminellen Formierung“ gehört laut Forschungsgruppe vor allem die „illegale Ökonomie“, worunter, wie bereits angemerkt, vorrangig „Schwarzarbeit“ und „Drogenökonomie“ verstanden wird.
In allen aufgezeigten Begriffen wird von einem umfassenderen Verständnis von Wirtschaft ausgegangen als dies im privatwirtschaftlichen Sektor der Fall ist. Dies wird deutlich an den Ergebnissen eines europäischen Forschungsprojektes, welches sich auf folgende Qualitätsstandards von „Sozialer Ökonomie“ einigte: 31 

  • Kooperation statt Konkurrenz
    Menschen, die in der Sozialen Ökonomie tätig sind, arbeiten zum gegenseitigen Nutzen zusammen, denn Kooperation erzeugt für die Zusammenarbeit förderliche Synergieeffekte.
  • Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bevölkerung als Mittelpunkt der ökonomischen Betätigung
    Die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen sind die zentrale Aufgabe der Organisationen der Sozialen Ökonomie und nicht eine profitorientierte Ausrichtung. Das Kapital soll direkt den Menschen dienen. Die Bedürfnisse sind Ausgangspunkt der ökonomischen Tätigkeiten. 32 
  • Demokratie im wirtschaftlichen und politischen Sinne
    Ein Recht auf aktive Beteiligung an Entscheidungsprozessen und Ressourcen muss ebenso gewährleistet sein, wie die Befähigung zur Partizipation.
    Es gilt das Prinzip ein Mensch – eine Stimme. 33 
  • Gemeinnützigkeit im wirtschaftlichen Sinne
    Eine Wertschöpfung erfolgt mit dem Ziel kollektiver Verfügung über die wirtschaftlichen Ergebnisse, d.h. es wird für das Gemeinwohl gewirtschaftet und nicht für individuelle Gewinne.
  • Dezentrale Organisation
    Entscheidungen werden auf der jeweils möglichen untersten Ebene gefällt im Sinne der Subsidiarität. Geeignet sind kleinräumige überschaubare Strukturen, die sich an den lokalen Bedingungen orientieren.
  • Erhalt der Reproduktionsfähigkeit von Mensch, Natur und Kultur (Sustainable development) 34 
    Ziel ist eine dauerhaft tragfähige Entwicklung, die versucht, die Ökonomie mit sozialem Zusammenhalt und dem Respekt vor Kultur und Natur zu vereinigen.
  • Ganzheitliche Herangehensweise
    Es geht um die Verbesserung der Lebensqualität auf allen Ebenen, der sozialen, wie wirtschaftlichen, der individuellen wie kollektiven Ebene.
  • Ausgleich von Benachteiligungen
    Ablehnung von Diskriminierung jeder Art durch die Eingliederung von allen Menschen in sozialökonomische Prozesse.
  • Gute Arbeitsbedingungen
    Sozial nützliche Arbeit steht an oberster Stelle. Gute Arbeitsbedingungen, hoher Sicherheitsstandard und soziale Absicherung sind notwendig. Die Arbeit muss an die Fähigkeiten und Ressourcen der Menschen vor Ort angepasst sein. 35 
  • Erhalt und Wiederherstellung natürlicher, sozialer und kultureller Vielfalt - Pluralität

Diese Qualitätsstandards der „Sozialen Ökonomie“ stellen ein Gegenkonzept zur neoliberalen Wirtschaftsweise dar. 36 
Lokale Ökonomie akzentuiert in Abgrenzung zu den Begriffen „Solidarische Ökonomie“ und „Soziale Ökonomie“ die Verknüpfung verschiedener Lebensbereiche im Gemeinwesen. Somit geht es nicht nur um soziale Belange jeder Art, sondern in demselben Umfang um Wirtschaftlichkeit. Der Begriff Wirtschaftlichkeit ist in diesem Fall nicht im Sinne von Profitabilität, sondern von „ökonomisch tragfähig“ bzw. von „über-lebensfähig“ verwendet. 37 
Abschließend ist festzustellen, dass die Theorie der Lokalen Ökonomie aufgrund der Betonung verschiedener Lebensbereiche umfassender als die Ansätze der „Gemeinwesenökonomie“, „Sozialen Ökonomie“ oder „Solidarischen Ökonomie“ ist.
Für den Zweck dieser Diplomarbeit wurde das Konzept der Lokalen Ökonomie gewählt. Das Konzept der Gemeinwesenökonomie, welches der Sozialen Arbeit aufgrund der Traditionslinien der Gemeinwesenarbeit eigentlich näher steht, wurde bewusst nicht verwendet. Denn der Vorteil der Lokalen Ökonomie besteht in der Vernetzung der wirtschaftlichen, öffentlichen und sozialen Dimension eines Gemeinwesens. In der „Gemeinwesenökonomie“ wird die wirtschaftliche Dimension hingegen eher vernachlässigt.
Um im folgenden Verlauf der Ausführungen lokalökonomische Strukturen mit Ansätzen aus der traditionellen Sozialen Arbeit vergleichen zu können, subsumiere ich die folgenden Prinzipien zu einer eigenen Definition der Lokalen Ökonomie, welche ich aus den vorangegangenen Definitionen ableite. Die Strukturen der Lokalen Ökonomie beinhalten die Prinzipien der Bedürfnisorientierung, der Integration, der Ressourcenorientierung, der Gemeinwesenorientierung sowie der Vernetzung der Ressourcen an einem bestimmten Ort wirtschaftlichen Handelns. Des weiteren geht es um Partizipation der Menschen vor Ort, an einer anderen Art zu wirtschaften. Im weiteren Verlauf werden diese Prinzipien auf eine Übereinstimmung mit den Theorien der Sozialen Arbeit geprüft.


1.1)  Abgrenzung der Lokalen Ökonomie zum „Dritten Sektor“

Lokale Ökonomie befasst sich, wie bereits in Kapitel 1 definiert, mit dem Ort als Wirtschaftseinheit, d.h. der Gesamtheit aller auf einen Ort bezogenen wirtschaftlichen Aktivitäten, wobei hier von einem umfassenderen Verständnis der Ökonomie ausgegangen wird. Wählt man keine räumliche Herangehensweise wie der Ansatz der Lokalen Ökonomie, sondern geht dem Anliegen nach, Organisationen und Institutionen nach bestimmten Kriterien in ein übergeordnetes Konzept einzuordnen, ist die Einteilung in Sektoren geeignet. Das Forschungsinteresse der „Dritter-Sektor-Forschung“ ist dabei ein anderes als das der Lokalen Ökonomie. Die „Dritter-Sektor-Forschung“ nimmt eine Einteilung in Sektoren vor, wobei neben dem privaten (ersten) und dem öffentlichen (zweiten) Sektor ein dritter Sektor definiert ist, der zwar privatwirtschaftlich arbeitet, aber sozial ausgerichtet ist, wie etwa die bereits genannten Sozialen Untenehmen (siehe Abbildung 2). Damit soll zum einen die Stellung der Organisationen dieses Sektors gestärkt werden und zum anderen soll die Definition eines Dritten Sektors Äußerungen über das Wachstum, den Charakter und das Beschäftigungspotential der zugehörigen Organisationen möglich machen. 38 

Abbildung 2 39 

Die „Dritter-Sektor-Forschung“ stellt zu diesem Zweck Kriterien auf, die sich an formalen Strukturen bzw. der Rechtsform der Institutionen ausrichtet. Zu der Frage, welche Kriterien hier benannt werden müssen, um eine möglichst genaue Zuordnung und Erfassung der Organisationen zu ermöglichen, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich orientiere mich an der Definition der vielbeachteten Studie der Johns Hopkins University, die erstmals internationale Vergleichstudien des Dritten Sektors durchführte. Dort versteht man unter Drittem Sektor
„jenen sozio-ökonomischen Bereich, der durch ein Neben- und Miteinander von privatwirtschaftlicher Allokation und politisch-öffentlicher Staatstätigkeit gekennzeichnet ist, in dem jedoch keiner der beiden Steuerungsmechanismen eindeutig vorherrscht.“ 40 
Die zuweilen verwirrende Vielfalt der Einrichtungen, die mit diesem Begriff bezeichnet werden - wie Krankenhäuser, Universitäten, Vereine, Genossenschaften, Standesorganisationen, Kindergärten, Umweltgruppen, Sportclubs etc. haben gemäß Salomon und Anheier folgende gemeinsame Kriterien. 41 
Sie sind

  • Organisationen, d.h. sie haben einen institutionellen Aufbau und treten in der Öffentlichkeit auf;
  • privat, d.h. sie sind institutionell vom Staat getrennt;
  • autonom, d.h. sie üben selbst die Kontrolle über ihre Geschäft aus;
  • nicht gewinnorientiert (non-profit), d.h. sie schütten keine Gewinne an ihre leitenden Angestellten oder Eigner aus;
  • freiwillig, d.h. es besteht keine Zwangsmitgliedschaft,
  • und sie stützen sich zumindest teilweise auf ehrenamtliches (freiwilliges) Engagement oder Spenden.

Diese Merkmale treffen nur zum Teil auf die Lokale Ökonomie zu. Nachbarschafts- und Selbsthilfe haben bspw. keinen institutionellen Aufbau und die Familienökonomie tritt nicht in der Öffentlichkeit auf. In der Regel sind die Organisationen der Lokalen Ökonomie in Deutschland nach dieser Definition jedoch dem Dritten Sektor, wie er vom Johns Hopkins Projekt definiert wird, zugehörig.
Der Ansatz der Lokalen Ökonomie wählt nichts desto trotz eine andere Herangehensweise, auch wenn sie das gleiche Phänomen wie die „Dritter-Sektor-Forschung“ beschreibt. Er stellt andere Kriterien auf, die unabhängig von Rechtsformen und formalen Kriterien sind. Die Form des solidarischen Wirtschaftens, wie sie in Projekten der Lokalen Ökonomie in den Vordergrund gestellt wird, ist hier das ausschlaggebende Kriterium. Bei einer solchen Herangehensweise wird deutlich, dass sich dieses Kriterium nicht nur in Organisationen und Institutionen des Dritten Sektors zeigt, sondern auch auf dem ersten oder zweiten Sektor zu finden ist, wie z.B. im Technologie-Bereich bei der Nutzung alternativer Energien oder im ökologischen Agrarbereich. 42 
Birkhölzer und die Interdisziplinäre Forschungsgruppe Lokale Ökonomie erweiterte ihr entwicklungsperspektivisches Modell des Dritten Sektors (siehe Abbildung 3) 43  um ein Modell, in dem die Sektoren der Ökonomie im Verhältnis zueinander dargestellt werden und das neben den Organisationen und
Unternehmen des Dritten Sektors auch die Lokale Ökonomie als Ganzes betrachtet. Diese Modell ist m.E. für eine Abgrenzung Lokaler Ökonomie zum Dritten Sektor geeignet.

Abbildung 3: Sektoren der Ökonomie 44 

Die Definition Birkhölzers zeigt deutlich einen anderen Schwerpunkt als die Merkmalbeschreibung des Forschungsprojektes der Johns Hopkins University.
Wie Abbildung 3 zeigt, wird Lokale Ökonomie als Schnittmenge zwischen den drei Sektoren gesehen oder auch als „Gemeinsames zwischen den Sektoren“ 45 . Das Gemeinsame des ersten, zweiten und dritten Sektors wird in der Lokalen Ökonomie miteinander vernetzt. Sie überwindet durch ein anderes Wirtschaftsverständnis nicht nur den Gegensatz von Wirtschaft und Sozialem, sondern durch die Selbstorganisation der Bürger auf kollektiver Basis (z.B. durch die Verwendung der erwirtschafteten Überschüsse zu gemeinnützigen Zwecken), sondern auch den Gegensatz zwischen privatem und öffentlichem Sektor. 46 
Bestrebungen lokalökonomischer Strukturen sollten also zur Vernetzung der drei Sektoren führen, um durch Kooperation das Gemeinwesen zu stärken und die vorhandenen Ressourcen nutzen zu können. Die bereits in Kapitel 1 beschriebene Zuordnung und Abgrenzung von „Gemeinwesenökonomie“, „Sozialer Ökonomie“ und „Schattenökonomie“ bleibt in diesem Modell bestehen. Die sogenannte „Schattenökonomie“ beinhaltet Nachbarschafts- und Selbsthilfe, die „Familienökonomie“ und alle Formen der illegalen Ökonomie. Birkhölzer bezeichnet dies als „informelles Drittes System“ (oder „Viertes System“), welches Ausgangspunkt für die Entstehung der „Gemeinwesenökonomie“ und der „Sozialen Ökonomie“, also dem in Abbildung 3 sogenannten „formalen Sektor“ ist.
Wie in Abbildung 3 zu sehen, befinden sich „Schattenökonomie“, „Gemeinwesenökonomie“ und „Soziale Ökonomie“ innerhalb des Dritten Sektors und sind ihm zugehörig.
Trotz der oben dargestellten unterschiedlichen Auffassungen von Birkhölzer und Salomon / Anheier besteht kein Zweifel daran, dass der „Dritte Sektor“ – vor allem auch in Krisenregionen – einen erheblichen gesamtwirtschaftlichen Beitrag leistet und international vergleichenden Studien 47  zufolge einen erheblichen Beschäftigungszuwachs zu verzeichnen hat. 48 
Bauer bestätigt dies. In seiner Studie zum „Dritten Sektor“ in Deutschland untersucht er Nonprofit-Organisationen (NPO) 49  im intermediären Bereich zwischen Staat, Markt und Lebenswelt und welchen tatsächlichen und welchen potentiellen Beitrag NPOs zur gesellschaftlichen Integration und insbesondere zur Schaffung neuer Erwerbsarbeitsplätze leisten und künftig zu leisten in der Lage sind. 50 
Bauer stellt fest, dass der deutsche Dritte Sektor stark in den Wohlfahrtsstaat eingebunden ist, obwohl er aus sozialen Bewegungen historisch entstanden ist. Dies zeige, wie sehr der Staat an einer Kontrolle dieser Organisationen interessiert ist, denn die überwiegenden finanziellen Mittel sind aus staatlicher Hand.
Bauer geht so weit, dass er den gemeinnützigen Bereich und ihre Akteure aus diesem Grund als systemerhaltend und staatsorientiert sieht, und zwar ohne dass es diesen bewusst sei.
Der Dritte Sektor wurde zu einem wichtigen Betätigungsfeld auf dem Arbeitsmarkt mit ca. zwei Millionen Erwerbsarbeitsplätzen. Doch seit 1995 stagnieren die Zahlen. Hinzu kommt eine starke Flexibilisierung der Arbeitsplätze und der hohe Anteil an Beschäftigungsfördermaßnahmen.
Trotz einer wenig positiven Gesamtbilanz Bauers, sieht er neue Beschäftigungschancen u.a. im Dienstleistungssektor im Sport-, Kultur-, Freizeit- und Verbraucherschutzsektor, wenn entsprechende rechtliche und förderungspolitische Reformen zu Gunsten der Organisationen des Dritten Sektors zukünftig angestrebt werden 51 
Das Interdisziplinäre Forschungsprojekt Lokale Ökonomie an der Technischen Universität Berlin, das in den Jahren 1990-1994 lokale Strategien ökonomischer Selbsthilfe vor allem in westeuropäischen Krisenregionen empirisch untersucht und vergleichend evaluiert hat, stellt fest, dass es sich beim Dritten Sektor um eine wachsende internationale Bewegung handelt. Diese sei zwar aus regional völlig unterschiedlichen historischen und kulturellen Zusammenhängen erwachsen, bewege sich aber in ihren theoretischen Konzepten und praktischen Ansätzen aufeinander zu.
Abschließend ist festzustellen, dass es sich beim Dritten Sektor nicht mehr um einzelne Projekte handelt, und er auch keine Aktivität einer Randgruppe mehr darstellt. 52 
Birkhölzers These sieht des weiteren in den verschiedenen lokalen Strategien ökonomischer Selbsthilfe in den europäischen Krisenregionen die Entwicklung von „Umrissen eines neuen oder dritten Wirtschaftssektors“ 53 . Er sieht die Wirkung dieses Wirtschaftssektors positiv und schreibt ihm Modellcharakter in Bezug auf arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Aufgaben zu. 54 
Er schreibt dem Dritten Sektor eine Schlüsselrolle in der Wiederherstellung von Krisenregionen zu. Erster und zweiter Sektor ziehen sich zunehmend zurück und nehmen in Bezug auf ihre sozialen Aufgaben immer weniger Raum ein, so dass die Notwendigkeit für die Entwicklung eines Dritten Sektors zunimmt.
„Diese „Wirtschaft im Schatten“ kann sowohl zum Nährboden für Kriminalität und Gewalttätigkeit werden, als auch zum Ausgangspunkt für die Wiederherstellung von Gemeinsinn, Identität und für den Aufbau neuer Formen einer solidarischen Ökonomie. Sie müsste dazu allerdings aus dem Schatten ans Licht und ins Zentrum lokaler Wirtschafts- und Sozialpolitik gestellt werden, mit dem Ziel, einen eigenständigen gemeinnützigen Sektor der Ökonomie zu schaffen.“ 55
Zusammenfassend wird deutlich, dass es sich beim Ansatz Lokaler Ökonomie und der Definition des Dritten Sektors grundsätzlich um eine Auseinandersetzung mit dem gleichen Phänomen handelt. Obwohl es dabei zu inhaltlichen Überschneidungen kommt, werden unterschiedliche Herangehensweisen gewählt.
Im folgenden soll das Verständnis der Lokalen Ökonomie von einem „Dritten Sektor“ verwendet werden.


1.2)  Abgrenzung der Lokalen Ökonomie zur „èconomie sociale“

Seit Mitte der 80er Jahre hat sich, ausgehend von Frankreich, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft der Ausdruck „èconomie sociale“ 56  als Fachterminus für den nicht sehr klar abgegrenzten Bereich zwischen `kapitalistischer` Privatwirtschaft und öffentlicher Wirtschaft verbreitet 57 . Zwischen diesem Konzept, dem des „Dritten Sektors“ und der Lokalen Ökonomie ist keine trennscharfe Abgrenzung möglich, vor allem, da sich die Festlegung der Begrifflichkeiten noch in der Entwicklung befinden. Die aufgestellten Kriterien der „èconomie sociale“ stellen eine andere Herangehensweise dar, als dies bei der Definition des Dritten Sektors nach Anheier und Salomon der Fall ist.
Eine Definition des Statistischen Amtes der Europäischen Gemeinschaften lautet: „Der Terminus der Economie sociale steht für die Gesamtheit der relevanten, komplexen und verschiedenartigen wirtschaftlichen Tätigkeiten, die weder unter den herkömmlichen privaten noch unter den öffentlichen Bereich im strengen Sinne fallen. Damit werden die wirtschaftlichen Aktivitäten von Genossenschaften, Gegenseitigkeitsgesellschaften und gemeinnützigen Vereinen in einem dritten Sektor neben Staat und Unternehmen (Markt) zusammengefasst.“ 58 
Das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaft hat Grundkriterien für die Einordnung sozialwirtschaftlicher Unternehmen in das Konzept der „èconomie sociale“ benannt. Demnach handelt es sich im wesentlichen um Organisationen, die wirtschaftlich tätig sind und dabei ein soziales Ziel verfolgen (z.B. bei der Produktauswahl) sowie eine soziale Betriebsführung und -organisation nach innen wie außen vertreten. Hier steht die soziale Zielsetzung also im Vordergrund 59 . Des weiteren wurden folgende Ziele in den Kriterienkatalog aufgenommen, welche die Organisationen erfüllen müssen: 60 

  • die Möglichkeit des freien Zusammenschlusses (freier Eintritt und Austritt)
  • die Anwendung demokratischer Entscheidungsprozesse (im Idealfall: 1 Mann/Frau – 1 Stimme)
  • die administrative Unabhängigkeit von öffentlichen Behörden (Unabhängigkeit vom Staat, die es ermöglicht, für die „èconomie sociale“ einzutreten, unabhängig davon, ob die jeweilige Regierung dieser Bewegung positiv gegenüber steht oder nicht) und
  • die Prioritäten, die bei der Verteilung der Gewinne den Personen und den Arbeitern eingeräumt werden.

In Deutschland wären danach darunter folgende Organisationstypen zu erfassen: 61 

  • Genossenschaften (e.G.) in ihren verschiedenen Ausrichtungen
  • Vereinigungen auf Gegenseitigkeit (V.a.G.): dazu gehören die Versicherungen auf Gegenseitigkeit sowie die Sparkassen und Sparvereine
  • Vereine und Verbände: dazu gehören die eingetragenen Vereine (e.V.) einschließlich der gemeinnützigen Vereine (e.V. /gn.), die alle möglichen Interessengruppen zusammenbringen sowie die Wohlfahrtsorganisationen und ihre Verbände
  • Stiftungen als philantropische Gründungen von vermögenden Personen oder Organisationen, die einen Teil ihres Vermögens in soziale Zwecke investieren. Eine neuere Entwicklung sind hierbei die „Bürgerstiftungen“, in denen Bürger sich mit ihren Spenden zu einer Stiftung und einem bestimmten Zweck zusammenschließen.

Die Vorstellung eines „Dritten Sektors“, der im wesentlichen Genossenschaften, Versicherungen auf Gegenseitigkeit, Stiftungen und Vereine umfassen soll, ist jedoch keineswegs unumstritten.
Der Versuch, mit der „èconomie sociale“ ein einheitliches Konzept für Europa zu schaffen, begegnet dem Problem differenzierender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Die einzelnen Rechtsformen in den Mitgliedsländern der EU stellen diesbezüglich ein großes Problem dar, da sie zu stark variieren, um sie zu einem Begriff zusammenzufassen. 62 
Dies zeigt auch die Diskussion um den Sonderstatus der deutschen Wohlfahrtsverbände, der aufgrund des in der EU geltenden Freizügigkeitsrechtes und der damit entstehenden wirtschaftlichen Konkurrenz auf dem Binnenmarkt der EU gefährdet ist. Denn durch den steuerrechtlichen Status der Gemeinnützigkeit ist die Tätigkeit der Wohlfahrtsverbände zur Zeit steuerfrei. Bei einer Zuordnung der Wohlfahrtsverbände und der Realisierung des Konzeptes wären sie dem fortschreitenden Prozeß der Europäisierung und damit dem rein marktwirtschaftlich definierten europäischen Binnenmarkt ausgesetzt 63 . Deshalb besteht Klärungsbedarf, z.B. ob und wie nationale Subventionierungen und steuerrechtliche Privilegien erhalten werden können, und ob die Stellung der Wohlfahrtsverbände in dieser Form aufrechterhalten werden kann. Wichtig ist auch die Frage, ob das Konzept der „èconomie sociale“ den Rückzug der marktorientierten Wohlfahrtsverbände aus weniger gewinnversprechenden Bereichen der Sozialen Arbeit zur Folge hat 64 . Befürchtet wird von einigen Vertretern eine Vernachlässigung unrentabler sozialer Bereiche, wie etwa der Wohnungslosenhilfe, und damit die Einleitung einer „Zwei-Klassen-Sozialarbeit“, in der die Zahlungsfähigkeit des Klienten über die Qualität der Leistung entscheidet. 65 
In der Fachdiskussion herrscht die Einschätzung vor, dass das bundesrepublikanische Wohlfahrtsmodell in der derzeitigen Form nicht weiter bestehen kann. Die vom Staat eingeräumte Monopolstellung wird z.B. durch eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechtes europäisch nicht zu halten sein. Stattdessen vermutet man das Zunehmen der Zusammenschlüsse von Verbänden auf europäischer Ebene 66 . Weitere Argumente gegen eine einheitliche Bestimmung des solidarwirtschaftlichen Handelns in der EU sind aus deutscher Sicht die „Unvereinbarkeit“ mit Rechts- und Sozialstaat. 67 
Diese vielfach geäußerten Bedenken zeigen, dass selbstorganisierte Betriebe und Organisationen mit dem Ziel einer sozialen und wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland vor allem durch den Verdacht der Nähe zum Sozialismus als ein in jeder Hinsicht systemgefährdendes Konzept gesehen wird. 68 
Weitgehend positiv wird das Konzept der „èconomie sociale“ demgegenüber von Elsen bewertet, die sich durch eine Vereinheitlichung die Stärkung eines solidarwirtschaftlichen Sektors und seiner Organisationen verspricht. 69 
Durch einen Rückzug von Markt und Staat und der Bestimmung eines neuen Sektors vertritt auch Nowy die These, dass die Entstehung von Selbsthilfe begünstigt wird. 70 
Die Lokale Ökonomie orientiert sich wie bereits dargestellt, nicht an formellen Strukturen oder Rechtsformen, sondern an der Anwendung eines solidarischen Wirtschaftsverständnisses. Dieses Ziel gilt auch für die Organisationen der „économie sociale“, weshalb die Lokale Ökonomie auch als Teil des europäischen Konzepts gesehen werden kann. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass die Lokale Ökonomie im Gegensatz zur „èconomie sociale“ auch den nicht-monetären Bereich wie Haus- und Eigenarbeit in ihre Überlegungen einbezieht. 71 
Deutlich wird abschließend, dass die Diskussionen um ein einheitliches Konzept für die Mitgliedsländer der europäischen Union und die damit verbundene Förderung der ökonomischen Selbstorganisation noch nicht zu einem Endergebnis gekommen sind. 72 


2)  Geschichte der Lokalen Ökonomie

Im geschichtlichen Rückblick zeigt sich an einigen ausgewählten Beispielen, dass Lokale Ökonomie kein neues Phänomen ist, sondern es in unterschiedlichen Formen immer wieder gegeben hat. Ihre Entstehung ist oft im Zusammenhang mit Notsituationen zu sehen, die es zu überwinden galt, „als Antwort auf Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung“. 73 
Die Genossenschaftsgeschichte lässt sich beispielsweise bis ins Mittelalter verfolgen. Hier sollte man unterscheiden zwischen der historischen Form als Urform kooperativer Selbsthilfe und den industriezeitlichen Genossenschaften, die im 19. Jahrhundert entstanden. Die ersten Genossenschaftsgründungen konnten auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen und gründeten sich auf den Ideengerüsten der „frühen“ oder auch „utopischen Sozialisten“. Aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber der Sozial- und Wirtschaftsordnung konzipierten sie kollektive Lebensgemeinschaften, Genossenschaften und selbstverwaltete Betriebe. 74 
Vertreter dieser Bewegung waren die Sozialisten Robert Owen (1771-1858), Charles Fourier (1772-1837) und Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865, deren Theorien im Zeichen der Aufklärung zu sehen sind.
Geplant waren „Gemeinschaftsdörfer“ und sogenannte „Phalange“, eine Siedlungsform für ca. 1500 Menschen, die als Produktiv- Wohnungs- und Konsumgenossenschaft bezeichnet werden kann. 75 
Die „Rochdaler Pioniere“ (ab 1814) gehörten nach Elsen zu den Gründern der modernen Genossenschaftsbewegung, da sie die Theorie erfolgreich umsetzten. Ihre Prinzipien sind bis heute in den Leitlinien des internationalen Genossenschaftsbundes (Gründung 1885) enthalten. Sie gründeten auf der Grundlage des atheistisch-sozialistischen Leitbildes von Charles Howarth eine Wohnungs- sowie eine Konsumgenossenschaft. 76 
Aufgrund einer starken Arbeiterbewegung zum Zeitpunkt der Reichsgründung 1871 verfügte Deutschland bereits über einen sehr großen Sektor der „Sozialen Ökonomie“. 77 
Bedeutend für die Entwicklung der Theorie und der Praxis der „Settlementbewegung“ in den USA, ist das Beispiel des „Hull-House“ in Chicago, welches 1889 gegründet wurde. Eine der Mitbegründerinnen war die Friedensnobelpreisträgerin Jane Addams (1860-1935), die sich bereits sehr früh mit Armut und Ausgrenzung und ihren Lösungsoptionen beschäftigte. Sie gründete gemeinsam mit anderen ein selbstverwaltetes Nachbarschaftszentrum im Armenviertel von Chicago. Aus dieser Initiative entstanden 13 weitere selbstverwaltete Häuser, in denen Bildung, Gemeinschaft und politische Veranstaltungen zur Unterstützung der Gewerkschaften stattfanden. Des weiteren wurden Jugendclubs und Kindergärten, Arbeiterclubs und Nachbarschaftstreffen zu unterschiedlichen Themen organisiert, sowie Konsum- und Wohnungsgenossenschaften gegründet. Aus der Stiftungsurkunde des Hauses geht hervor, dass es das ausdrückliche Ziel war, „den Mittelpunkt für ein höheres kommunales und soziales Leben zu bilden; erzieherische und philantropische Einrichtungen zu schaffen und zu fördern, und die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung Chicagos zu untersuchen und zu verbessern.“ 78 
Addams sah in der Settlement-Bewegung eine „Methode, um der sozialen Frage beizukommen.“ 79  Der Unterschied zur damaligen Tradition der Armenpflege und -fürsorge in der Sozialen Arbeit bestand in Partizipation und Selbstverwaltung der Arbeiter und ihrer Betriebe. Daran wird deutlich, wie stark die Ähnlichkeit der Bewegung des Hull-Houses mit den heutigen Projekten und Ansätzen der Lokalen Ökonomie ist. Zusätzlich war es Addams wichtig, neben einer Weiterentwicklung praktischer Lösungen, die Theorie nicht zu vernachlässigen, sondern diese in die Praxis zu integrieren. 80 
In Deutschland hatten die traditionellen Organisationen „Sozialer Ökonomie“ vor allem auch der Sondertypus der „Gemeinwirtschaft“ (Unternehmen der Gewerkschaften, teils unter Miteigentümerschaft der Kommunen wie z.B. die Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“, die Konsumgenossenschaft „Coop“, der Verlag „Büchergilde Gutenberg“ und die „Bank für Gemeinwirtschaft) eine große Bedeutung und sind trotz Verbot während des Nationalsozialismus, nach der Gründung der Bundesrepublik und der DDR, neu gegründet worden. Diese Einrichtungen haben bis Mitte der 70er Jahren sehr starken Zuspruch erlebt. Die Zahl der Genossenschaftsgründungen stagnierten hingegen.
Im Zuge der „antiautoritären Studentenrevolte“ in den 60er Jahren gerieten die traditionellen Organisationen der Sozialen Ökonomie (wie z.B. der „Raiffeisen- oder Schulze-Delitzsch-Verband“ und die Sparkassen) aufgrund ihrer Monopolstellung und der fehlenden Bedürfnisorientierung in die Kritik. Die Konsumgenossenschaften sind ausnahmslos privatisiert worden und bei den Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit ist der soziale Charakter, wie ihn die Lokale Ökonomie versteht, kaum mehr sichtbar. 81 
Die Produktionsgenossenschaften der DDR sind heute großenteils zu Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt und damit privatwirtschaftlich. Überlebt haben die „Produktionsgenossenschaften des Handwerks“ (PGHs) und die „Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften“ (AWGs). Nach der Wende war es möglich, einen Verband der Produktivgenossenschaften zu gründen („Verband deutscher Produktivgenossenschaften und Partnerschaftsbetriebe/VdP“). 82 
Eine der ältesten lokalökonomischen Bewegungen in Großbritannien ist das 1965 entstandene „Highlands and Islands Development Board“, die erste regionale Entwicklungsgesellschaft. Ihre Aufgabe war die materielle und finanzielle Unterstützung der BewohnerInnen bei der Wiederherstellung der durch anhaltende Entvölkerung brachliegenden Region. Bis heute haben die Auswirkungen in Form eines Netzes von „community enterprises“ (gemeinnützige Unternehmen in allen Produktions- und Dienstleistungsbereichen, im Eigentum und unter Kontrolle der BewohnerInnen) dazu beigetragen, dass die Region aufblüht. 83 
Sogenannte „neue soziale Bewegungen“ entwickelten sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung in Westdeutschland. Sie entfalteten sich allerdings erst im Anschluss an die Studentenproteste.
Zur ihnen zählten nicht nur die in den 80er Jahren entstandene Friedensbewegung in Westeuropa, sondern auch die Frauen- und Ökologie-Bewegung. Dazu gehören lokale Alternativprojekte wie „Kinderläden“ oder „Öko-Läden“, Projekte, die aus Hausbesetzungen hervorgingen, Selbsthilfegruppen und Stadtteilinitiativen, die heute vielfach zu anerkannten und etablierten Bürgerzentren 84  oder sozialen Organisationen der Lokalen Ökonomie geworden sind. 85
Die „Sozialistische Selbsthilfe Köln“ (SSK) ist ein solches Beispiel, auf das ich näher eingehen möchte, da es bis heute erfolgreich besteht. Die „Sozialistische Selbsthilfe Köln“ ist 1969 in der Folge der Studentenbewegung gegründet worden, aus der sich später u.a. die „Sozialistische Selbsthilfe Mülheim“ entwickelte 86 . In den ersten Jahren organisierte sie die Hilfe für Fürsorgezöglinge, die aus den staatlichen und kirchlichen Heimen weggelaufen waren und unterstützte diese beim Kampf um ihr Recht auf Erziehung und auf eine „menschenwürdige Existenz“. Zeitweise bekam die „SSK“ dabei öffentliche Unterstützung. Nachdem die zunächst kleine Gruppe aber auf eine Bewegung von über tausend Jugendlichen und Betreuern angewachsen war, wurde die Arbeit des „SSK“ Anfang 1974 verboten und seine Häuser geschlossen. Öffentliche Proteste und eine breite Unterstützung durch bekannte Persönlichkeiten, wie Heinrich Böll, verhinderten die Illegalisierung. In dieser Situation gründete die „SSK“ eine eigene Firma und finanzierte den Lebensunterhalt seiner Mitglieder durch Umzüge, Entrümpelungen und Gebrauchtwarenhandel. Ein Kohlenhandel, eine Baufirma und Landwirtschaft kamen zeitweise hinzu. Der selbstverwaltete Betrieb wurde zur Basis nicht nur für die Existenz der Gruppe selbst, sondern darüber hinaus für alle politischen und gesellschaftlichen Aktivitäten, die die „SSK/SSM“ im Laufe der Jahre entfaltete. Hier ist vor allem die Kampagne gegen Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie zu nennen und der Kampf für die Erhaltung von preiswertem Wohnraum. Dabei entstand eine Form des Wirtschaftens, in der das erarbeitet wird, was die Gemeinschaft für sich als nützlich erkennt und dessen Verwirklichung sie demokratisch beschließt. 87 
Die Geschichte der lokalökonomischen Projekte zeigt vor allem die immer wiederkehrende Selbsthilfefunktion. Doch es wird auch deutlich, dass alte Strukturen nur bedingt auf die heutigen Bedingungen übertragbar sind. Heute gibt es vor allem andere organisatorische Anforderungen, die eine Entwicklung eines lokalökonomischen Sektors bedingen.


3)  Lokale Ökonomie und Weltwirtschaft

Wenn das Konzept der Lokalen Ökonomie als Gegenkonzept zu einer neoliberalen Wirtschaftsordnung definiert wird, ist es notwendig, das Verhältnis dieser beiden Formen der Ökonomie zu klären. Es zeigt sich, dass in annähernd jeder Veröffentlichung über Projekte oder Ansätze Lokaler Ökonomie eine kritische Betrachtung der derzeitigen Wirtschaftsweise im internationalen Raum Inhalt ist. 88 
Diese Sichtweise wird in vielen Fällen als Zustandsanalyse der Gemeinwesen vor Ort vorausgeschickt und zeigt die Notwendigkeit von Veränderung. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder der Begriff der „Globalisierung“ als Ursache der Zustände in marginalen Räumen. 89 
Was mit dem Begriff Globalisierung gemeint ist, kann aufgrund der Fülle der Ausführungen verschiedener Autoren hier nicht erschöpfend erörtert werden, doch ein Umriß ist notwendig.
Nach der Definition der OECD (der "Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung") ist „Globalisierung ein Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr von einander abhängig werden -dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegungen von Kapital und Technologie“ 90 . Globalisierung ist demzufolge eine Bezeichnung für die Entstehung weltweiter Märkte und für die zunehmende Internationalisierung des Handels. Dies geschieht vor allem durch die Entwicklung neuer Technologien (v.a. im Medien- und Kommunikationsbereich) sowie durch neu entwickelte Organisationsformen betrieblicher Produktionsprozesse. 91 
Nach Giddens handelt es sich bei der Globalisierung „nicht um einen Prozeß, sondern um eine komplexe Reihe von Prozessen“. 92 
Globalisierung hat nicht nur die Vernetzung ökonomischer Aktivitäten zur Folge, sondern auch die sozialer, kultureller, politischer und vieler anderer Bereiche. Die Auswirkungen sind also vielfältiger Art und betreffen ebenso den Alltag im Gemeinwesen, sowie die Umstrukturierung des Lebens in einem außerordentlichen Umfang 93 . Der Prozess ist inzwischen so dominant, dass er die Lebensbedingungen annähernd jedes Individuums beeinflusst.
Je nach Sichtweise und politischer Auslegung werden von öffentlichen Personen mehr die positiven Folgen bzw. die negativen Folgen in den Fordergrund gestellt.
Bezüglich der Entstehung und dem Beginn der Globalisierung lassen sich in der Literatur verschiedene Interpretationen finden.
Eine weit verbreitete Auffassung besagt, dass Globalisierung mit der Mondlandung Neil Armstrongs 1969 begonnen hat, als man auf den Fernsehbildschirmen zum ersten Mal das Ausmaß der Globalität unseres Himmelskörpers sehen konnte. 94 
Der Historiker Herold James datiert den Beginn der Globalisierung mit dem ersten Weltwirtschaftsgipfel am 15. November 1975 in Rambouillet, bei dem auf Initiative von Bundeskanzler Helmut Schmidt und des französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d`Estaing zum ersten Mal mit sechs Ministerpräsidenten über globalökonomische Zusammenhänge und internationale Abkommen diskutiert wurde. 95 
Die sogenannten Globalisierungsskeptiker 96  behaupten in der einschlägigen Literatur, dass es das Phänomen der Globalisierung nicht gäbe und der Einfluß der Weltwirtschaft nicht das proklamierte Ausmaß habe. Sie betrachten Globalisierung als eine Ideologie, deren Vertreter die freie Marktwirtschaft und den Abbau der Wohlfahrtssysteme ideologisch vorantreiben. 97 
Ebenso zeigt sich in der Globalisierungsdebatte eine Richtung, die Butterwegge als „Sachzwangthese“ analysiert 98 . Bei Vertretern dieser These herrscht die Annahme vor, dass Globalisierung einer Naturkatastrophe gleich kommt und der Weltmarkt nicht steuerbar sei. Martin und Schumann halten dem entgegen, dass dieser Prozess „von den Regierungen der großen Industrieländer selbst heraufbeschworen wurde. Im Namen der Heilslehre vom freien, grenzenlosen Markt haben sie seit Beginn der siebziger Jahre systematisch alle Schranken niedergerissen, die ehedem den grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehr regierbar und damit beherrschbar machten.“ 99 


3.1)  Auswirkungen auf das Lokale

Die politisch vorangetriebene Internationalisierung erlaubt es den Unternehmen, die für sie günstigsten Produktions- und Lieferstandorte auszuwählen. In immer stärkerem Maße werden dadurch Angebot und Nachfrage aus der ganzen Welt zusammengefasst und die Preisbildung vereinheitlicht. Es kommt zu einer Ablösung der Arbeit, Produktion, Produkte, Dienstleistungen von Medien und Wissenschaft von ihren bisherigen Standorten. 100 
Vertreter der Lokalen Ökonomie sprechen bei der Ablösung von Arbeit und Produktion aus dem lokalen Sektor nach Polanyi auch von der „Entbettung der Ökonomie aus dem Sozialen“ 101 . Arbeitslosigkeit und Armut sind die Folgen, wenn Unternehmen an jenen Standort wechseln, an dem die Löhne am niedrigsten sind und die „harten“ (z.B. Infrastruktur, Verfügbarkeit von Arbeitskräften, niedrige Lohnnebenkosten) und „weichen“ Standortfaktoren (z.B. Kontakte zu anderen Unternehmen, kulturelles Umfeld) für sie am günstigsten sind. 102 
Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit in den Industrienationen Europas zeigt eine Ausweitung der Krisen in einzelnen Industriezweigen und Branchen zu Krisen ganzer Regionen, welche oft durch Monostrukturen verursacht sind. Dies hat wiederum eine tiefgreifende strukturelle Krise der Volkswirtschaften zur Folge, welche sich in der Verstärkung regionaler ungleicher Entwicklungen auswirkt. Bestätigt wird die These einer „Herausbildung gespaltener Ökonomien“, wie es die Interdisziplinäre Forschungsgruppe Lokale Ökonomie feststellt. 103 
Andere negative Folgen dieser Prozesse sind die Vermehrung prekärer Arbeitsverhältnisse, eine größere Kluft zwischen arm und reich innerhalb der Gesellschaft sowie zwischen den Gesellschaften (soziale Polarisierung) 104  und zunehmende Migrationsbewegungen (Armut und Kriege vertreiben die Menschen aus ihrer Heimat) 105 . Zu beobachten ist laut Butterwegge ebenfalls eine Entdemokratisierung und Entpolitisierung, die durch die Privatisierung vieler öffentlicher Bereiche, vorangetrieben wird 106 . Diejenigen, die nicht über genügend Geldmittel verfügen, haben nur noch sehr bedingt Einfluss auf die Nutzung von privatisierten Bereichen. Es gibt dort nur begrenzte Möglichkeiten der Partizipation, da der Eigentümer bzw. die Aktiengesellschaft die Entscheidungsmacht gekauft hat; es wird ein Mangel an lokaler Kontrolle aufgrund zentralistischer Entscheidungen auf die lokalen Gemeinwesen festgestellt. 107 
Der „Weltbürger“ wird dargestellt als „homo oeconomicus“, als Individuum, das frei von räumlicher und zeitlicher Begrenzung seine Arbeitskraft verkauft bzw. sein Kapital investiert, immer da, wo der größte Ertrag zu erzielen ist. Völlig losgelöst von sozialer Bindung und lokaler Identität sowie konkreten Produktionszusammenhängen. 108 
Aaronovitch beschreibt die Auswirkungen auf Ortschaften und Regionen als erheblich und in vielen Fällen sogar als verheerend: „Sie blühen auf oder sterben ab, aufgrund von Entscheidungen, die anderswo getroffen wurden.“ 109  In Bezug auf die Großstädte ist die Rede von einer „gespaltenen Gesellschaft“, d.h. von einer wachsenden sozialräumlichen und sozioökonomischen Polarisierung. Innerstädtische Räume werden architektonisch, kulturell und infrastrukturell aufgewertet und von Bevölkerungsgruppen aufgesucht, die einkommensstark sind und sich Mieten und Preise der Waren und Dienstleistungen leisten können, während andere Gebiete vernachlässigt werden, in denen hauptsächlich einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu finden sind. 110 
Auch in Bezug auf den öffentlichen Raum sind vermehrt Privatisierungen beobachtbar, die es möglich machen, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus diesen Räumen auszuschließen. Ein Beispiel dafür sind die Vertreibungstendenzen von Wohnungslosen und Randgruppen aus den modernisierten Bahnhöfen der Großstädte 111 . Sie werden als Störungen im Einkaufs-, Freizeit- und Kulturerlebnis empfunden. 112 
In diesem Zusammenhang gerät die Politik der internationale Organisationen, wie der UNO und der Welthandelsorganisation (WTO) zunehmend ins Kreuzfeuer. 113  Die entstandene neue „Antiglobalisierungsbewegung“, wie z.B. die internationale Gruppe „Attac“ kritisieren die laufenden Prozesse und fordern eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes, durch die Besteuerung finanzieller Transaktionen zum Nutzen der Bürger. 114  Die Antwort auf die immer stärker werdenden Abhängigkeiten sollte also eine stärkere Kontrolle der multinationalen Konzerne sein, fordern Kritiker einer neoliberalen Politik, wie sie besonders während der GATT- 115  und der MAI-Verhandlungen