Zur Methodenpräsentation Community Organizing (CO): Umgang mit Macht, Strategie und Taktik

Power = Macht

Einer der Schlüsselbegriffe im amerikanischen CO ist "power", was mit dem deutschen Wort "Macht" zu übersetzen ist.
Drei Zitate von Saul D. Alinsky 1) verdeutlichen, was im CO unter Macht verstanden wird.

  • Macht ist die körperliche, geistige und moralische (sittliche) Fähigkeit zu Handeln.
  • Taktik ist: Das tun, was man will, mit dem, was man hat.
  • Der einzige Zweck einer Organisation ist Macht.

Es geht um die gemeinsame Handlungsfähigkeit von organisierten Menschen in demokratischen Prozessen. Sie entwickeln dabei kommunikative und relationale Macht, auch Beziehungsmacht genannt.
Im krassen Widerspruch dazu steht eine in Deutschland weit verbreitete, aus geschichtlicher Erfahrung verständliche, Ohnmachtsromantik, die im Sponti-Spruch "Keine Macht für niemand" gipfelt.
Leo Josef Penta 2) definiert daher: "Die Erzeugung von kommunikativer Macht als tätige Antwort auf die herrschaftliche und administrative Macht der Umwelt, die sich in Gewalt potenziert, kann als das Ziel von »Community Organizing« und ähnlichen Ansätzen dienen."


Rollenspiel: Die Erfahrung von Macht

In den CO-Trainings taucht immer wieder ein Rollenspiel auf, das Alinsky im Wortlaut bei Thucydides 3) entnommen hatte:
Melos ist in einer hoffnungslosen Situation: Athen hat die Insel mit 38 Schiffen umzingelt, die attischen Militärführer fordern den Rat (der verhandelt, ohne die Einwohnerschaft zu beteiligen) zur Übergabe auf. Kernsätze des von Thucydides  wörtlich überlieferten Dialoges sind:

Athen: 
Ist jemand schwach, muss er Zugeständnisse machen.
Melos:
Und unser Nachgeben sollte von beiderseitigem Nutzen sein?
Athen:
Unterwerfung ist doch besser als das Äußerste zu erleiden und wir hätten den Vorteil, euch nicht vernichten zu müssen.
Melos:
Wir bieten Neutralität an.
Athen:
Nicht auf der Unterwerfung zu bestehen würde angesichts der Kräfteverhältnisse als Zeichen unserer Schwäche interpretiert.
Melos:
Wenn das so ist wären wir ja arg feige, wenn wir nicht für unsere Freiheit das Äußerste einsetzten.
Athen:
Überlegt doch vernünftig: Es geht nicht um Tapferkeit, Schimpf oder Schande. Es geht um eure Existenz!
Melos:
Es wird schwer werden, aber wir vertrauen auf den Beistand der Götter im Kampf gegen Unrecht. Auch werden unsere Stammesverwandte aus Sparta uns beistehen.
Athen:
Auch wir handeln im Einklang mit dem Göttlichen: Es ist das natürliche und notwendige Gesetz der Natur dort zu regieren, wo es möglich ist. Dieses Gesetz haben nicht wir gemacht und es wird auch nach uns gelten. Wärt ihr in unserer Position, würdet ihr genauso handeln.
Melos:
Wir bleiben bei unserer Entscheidung. Wir geben das, was wir haben, für nichts in der Welt auf. Wir bitten Sparta und unsere Götter um Hilfe und appellieren an eure Ehre und Moral. Darüber hinaus bieten wir Freundschaft und Neutralität an.
Athen:
Ihr zieht die Hoffnung dem Augenschein, also den Tod dem Leben vor. Das erscheint uns eine merkwürdige, ja eine dumme Position zu sein."

Damit endete die Debatte. Thucydides berichtet auch vom Ausgang:
"Sparta kam nie zur Hilfe und Melos musste sich, da auch Verrat aus der eigenen Mitte hinzukam, ergeben. Die Insel wurde von den Soldaten Athens besetzt und total zerstört. Alle erwachsenen Männer wurden getötet, alle Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft."
Dieser Bericht macht betroffen. Dies gilt auch für die Ergebnisse der Rollenspiele, denn es gelingt auch dort nur selten, eine Verhandlungslösung zu finden, in der die Bevölkerung überlebt. Den Mitspielenden und den Zuschauern wird deutlich: Insbesondere der Mächtige hat die Verantwortung, den Ohnmächtigen nicht in Situationen zu treiben, in dem er den einzigen Ausweg im Kampf (und sei er noch so aussichtslos) sieht. Doch auch der Ohnmächtige kann in Kommunikation mit Mächtigen kommen, wenn er sich an seinen eigenen Interessen orientiert und sich ein realistisches Bild vom Selbstinteresse des Gegners macht.


Strategie und Taktik 4)

Vorgestellt wurde auch, wie Alinsky diesen kommunikativen Gebrauch von Macht in die Praxis übersetzte. Die Übertragbarkeit auf Stadtteilarbeit wurde in der Diskussion deutlich.
"Taktik bedeutet, das zu tun, was man kann, mit dem, was man hat. Taktik nennt man die bewussten und freiwilligen Handlungen, die es den Menschen ermöglichen, miteinander zu leben und mit der übrigen Welt fertig zu werden. In unserer Welt des Gebens und Nehmens ist die Taktik die Kunst des richtigen Gebens und Nehmens. Wir wollen uns hier mit der Taktik des Nehmens beschäftigen, nämlich wie sich die Besitzlosen Macht von den Besitzenden nehmen können.
Denk immer an die 15 Regeln der Machtstrategie:

  1. Macht ist nicht nur das, was man hat, sondern das, von dem der Gegner glaubt, dass man es habe.
  2. Verlass niemals den Erfahrungsbereich der eigenen Leute.
  3. Wo immer möglich, verlass den Erfahrungsbereich des Gegners.
  4. Zwinge den Gegner, nach seinen eigenen Gesetzen zu leben. Denn der Gegner kann seinen eigenen Gesetzen ebenso wenig folgen wie die Christen den ihren.
  5. Spott ist die mächtigste Waffe des Menschen.
  6. Eine gute Taktik ist die, die den Mitgliedern Spaß macht.
  7. Eine Taktik, die sich zu lange hinzieht, wird langweilig.
  8. Der Druck darf niemals nachlassen.
  9. Die Drohung hat in der Regel mehr abschreckende Wirkung als die Sache selbst.
  10. Die wichtigste Voraussetzung für jede Taktik ist das Entwickeln einer Strategie, die permanenten Druck auf den Gegner ausübt.
  11. Wenn man etwas Negatives lange und hart genug behandelt, zeigt sich das Positive von ganz alleine.
  12. Suche dir eine Zielscheibe, personalisiere sie und schieße dich auf sie ein.
  13. Die eigentliche Aktion besteht in der Reaktion des Gegners.
  14. Ein sorgfältig gereizter und angestachelter Gegner wird durch seine Reaktion zur größten Stärke.
  15. Taktik, ebenso wie Organisation, ja wie das Leben selbst, erfordert, dass man sich mit der Aktion mitbewegt."

Vertiefende Informationen zum CO?

  1. Ein gutes Internetportal zu CO (in USA und in Deutschland) ist http://www.fo-co.info/. Dort ist unter dem Tab Training das weit gefächerte Angebot von foco e.V. zu finden.
  2. Siehe auch den Artikel "Power durch Community Organizing" von Walter Häcker in: Astrid Ley, Ludwig Weitz (Hrsg.), Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch, Arbeitshilfen für Selbsthilfe und Bürgerbeteiligung Nr. 30, Verlag Stiftung MITARBEIT Bonn 2003, für EUR 10,- zu beziehen bei www.mitarbeit.de/publikationen/arbeitshilfen/pub_arb30.html

Fußnoten:

1) Bild: Saul David Alinsky (1909 - 1972) is generally considered the father of community organizing. ...
weiteres siehe: http://en.wikipedia.org/wiki/Saul_Alinsky. Siehe auch Saul D. Alinsky, Anleitung zum Mächtigsein, Ausgewählte Schriften, Lamuv 1999, EUR 9,40.
2) Quelle: Misereor (Hrsg.) Zukunft - Gemeinsame anders handeln, Horlemann Verlag, Unkel 2000
3) Der peloponesische Krieg (431 - 404 AC), Buch Fünf, Kapitel 7: (V 85-113) "Sechzehn Jahre Krieg: Die Schlacht um Melos"
4) Zusammenfassender Auszug aus Kapitel 7, Saul D. Alinsky, Rules for Radicals, Random House 1971
Neuauflage bei Vintage Books USA 1989, hier zitiert nach: Die Stunde der Radikalen, Burkhardthaus-Verlag, Christophorus-Verlag, Laetare-Verlag, 1974 (vergriffen)