Was kann Community Organizing leisten?

Inhalt:


Im diesem Referat (in einer Powerpoint- Version auf der Jahrestagung Stadtteilarbeit 2004 vorgetragen) möchte ich nach einer zusammenfassenden Definition vom Community Organizing drei in der Literatur ausgewertete Kampagnen des Community Organizing darstellen, in denen unterschiedliche Arbeitsansätze, Themen und Ergebnisse erkennbar werden.
Im zweiten Teil stelle ich beispielhaft zwei Organisationstypen des Community Organizing mit ihrem unterschiedlichen Bezug zu den Individuen und den bereits bestehenden Organisationen dar.
Danach versuche ich herauszuarbeiten, welche besondere Leistungsfähigkeit Community Organizing entwickeln kann, die über viele bekannte Ansätze der Bürgerbeteiligung hinaus gehen.
Abschließend verweise ich in einem Steckbrief des Community Organizing insbesondere auf weiterführende Quellen und Adressen.


Was ist Community Organizing?

Community Organizing (CO) ist der Aufbau und die Entwicklung von BürgerInnenorganisationen durch die Schaffung von sozialen Beziehungen, die Macht zum Handeln geben. Die BürgerInnenorganisationen haben eine doppelte Zielsetzung: die Veränderung von Machtbeziehungen (Aufbau von BürgerInnenmacht) und die unmittelbare Verbesserung der Lebenslage für die betreffende Gemeinschaft, die Community.
Eine "Bürgerorganisation" kann dabei eine eher informelle Gruppe sein, eine formelle Organisation mit Einzelmitgliedern aus den jeweiligen Communities oder auch eine Organisation von bestehenden Organisationen wie Kirchen, Bürgergruppen, Vereinen, Gewerkschaften, Schulen und Hochschulen..
Organizing bezeichnet den Prozess, in dem Menschen sich im gemeinsamen Handeln formelle oder informelle Organisationen schaffen,

  • um die Machtbalance zu verändern zugunsten derer, die wenig Macht haben, weil sie weder über viel Geld noch über machtvolle Institutionen verfügen,
  • um spürbare und konkrete Verbesserungen für die Menschen zu erreichen,
  • und dabei Beziehungen untereinander und nach außen entwickeln.

Sie erforschen die Probleme, wählen konkrete Themen aus, die sie angehen wollen, entwickeln dafür Strategien und Taktiken, und führen Kampagnen und Aktionen für ihre Ziele durch.
In diesem Prozess entwickeln sie Führungsqualifikationen, verbreitern und vertiefen die Mitgliederbasis, und schaffen "handlungs-mächtige" Beziehungen. So sichern sie sich einen Platz am Verhandlungstisch mit den Inhabern der Macht – auf gleicher Augenhöhe. Dieser Prozess kann in Selbstorganisation der BürgerInnen geschehen, bedarf oft aber auch der Unterstützung durch professionelle Berater und Anleiter, durch "Organizer".
Beim Community Organizing geht es vorrangig um die Nachbarschaft, den Stadtteil, das Dorf, die Stadt, die Gemeinde, die Hochschule, den Betrieb, das "Gemeinwesen", die örtliche Gemeinschaft – all dies nicht nur als räumliche Einheit verstanden, sondern als ein sozialer Raum von Beziehungen.
Für Probleme, die lokal, regional, national und global angepackt werden müssen, wenn Frieden, Menschenrechte und soziale Rechte Wirklichkeit werden sollen, werden auf der Basis der entwickelten handlungsmächtigen Beziehungen Koalitionen zwischen Gruppen und Organisationen gebildet.
Community Organizing hat sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Anlehnung an das Union oder Labour Organizing, den Organisationsprozess in Gewerkschaften, in einer Reihe von Großstädten der USA, insbesondere Chicago, entwickelt und sich dort bis heute am stärksten profiliert und auch differenziert.


Geschichten des Community Organizing

In den letzten Jahren gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen zur Arbeitsweise und Wirksamkeit von CO, als detaillierte "success stories", also "Erfolgsgeschichten", als vergleichende Untersuchungen oder ausgefeilte Evaluationen. Ein Grund für die Veröffentlichungen liegt oft darin, dass man Geldgeber, vorwiegend private, gemeinnützige Stiftungen, aber auch Kirchen, Kommunen und Staaten, davon überzeugen will und muss, dass Community Organizing etwas bewirkt. Dafür bedarf es nicht nur des Innenblicks der Organisationen, die selbstverständlich ihre Erfolge in den Mittelpunkt stellen, sondern auch der Evaluation und des Blicks von außen.
Ich möchte drei Beispiele darstellen; zwei davon sind von Judy Hertz dargestellt, einer Mitarbeiterin des National Training Institute in Chicago (NTIC) (Judy Hertz, 2002: Organizing for Change: Stories of Success, als pdf-Datei: www.nfg.org/publications/Organizing_For_Change.pdf), die dritte stammt von einer Forschungsgruppe zur Evaluation von Ansätzen zur Schulreform (A report in the Indicators Project on Education Organizing series: Strong Neighborhoods, Strong Schools, March 2002 by The Cross City Campaign for Urban School Reform, COMM-ORG Papers 2003, http://comm-org.utoledo.edu/papers.htm).

A) Logan Square in Chicago: Arbeitsplätze und intakte Nachbarschaften erhalten

"Dies ist eine Geschichte einer Bewohnergruppe, entschieden hat: ‚Genug ist genug’", beginnt Judy Hertz.
Der Stadtteil Logan Square in Chicago war früher Industriegebiet, die Beschäftigten wohnten in der Umgebung; es gab stabile Jobs, geprägt war das Viertel von Bewohnern der Arbeiterklasse mit einer Mischung von erschwinglichen Einfamilienhäusern und Wohnungen. In den 80er Jahren wurde gegen die Schließung einer Fabrik gekämpft. Dieser Kampf wurde 1989 verloren . Auf dem Gelände wurde eine "gated community", ein nach außen abgeschlossenes Wohngebiet für Reiche, gebaut. Diese "Gentrifikation", bei der die Menschen mit geringem Einkommen aus der Arbeiterschaft verschoben werden in weniger attraktive Gebiete mit geringeren Mieten, vielleicht weit weg von den Jobs, den Familien und alten Nachbarn, "schwappt langsam von Stadtteil zu Stadtteil und schleicht an den Boulevards von Logan Square entlang".
Die "Logan Square Neighborhood Association" (LSNA) in Chicago, Illinois, begann in den 60er Jahren als Gruppe von örtlichen Kirchen, Geschäftsleitern und Hausbesitzern. Die Nachbarschaften haben sich in Logan Square grundlegend von einer europäischen Arbeiterschaft zu einer lateinamerikanisch  geprägten Zusammensetzung verändert, heute wird die Organisation bestimmt durch einen vom "core comitee" aufgestellten und jährlich revidierten "holistic plan," der neben der Verbesserung der Schulen die Entwicklung von "youth leadership", Erhöhung der Sicherheit in den Nachbarschaften, Sicherung von erschwinglichem Wohnen angesichts von Tendenzen der Gentrifizierung, sowie Revitalisierung der örtlichen Ökonomie zum Ziel hat. Die Mitgliedschaft umfasst Individuen wie auch Repräsentanten von 47 Nachbarschaftsorganisationen. Das sechsköpfige Exekutivkomitee besteht jetzt aus vier Latinas und zwei Anglos.
Seit 1996 ging es vor allem um den Verkauf eines Warenhauses und die Frage, welche Perspektiven das Stadtviertel für Wohnen und Arbeiten entwickeln können.
Im Rahmen der LSNA begannen sowohl Führungspersonen aus der Nachbarschaft, wie z.B. eine Pastorin als auch langjährige Bewohnerinnen des Stadtteils mit wöchentlichen Treffen in der Kirche, um den Plan für den Bau von 500 Wohneinheiten für eine neue Gated Community zu stoppen.
Aufgrund der bitteren Niederlage beim Kampf um die Erhaltung der Fabrik wollten sich viele zunächst nicht beteiligen. Aber nachdem sie sich provoziert fühlten, weil die Planer der neuen Gated Community Bürgervertreter aus ihrem Büro heraus warfen, führte der Ärger zu dem Beschluss der Mitglieder, die bevorstehende Entwicklung auf diesem Gelände zu stoppen.
Der erste Schritt ist die "Erforschung der Machtverhältnisse": Man findet heraus, dass der für den Bezirk zuständige Abgeordnete sein eigenes Haus beim Planer der 500 Wohneinheiten gekauft hatte; daraufhin gehen 75 Leute zu seiner Baustelle gingen und hängen ein Band mit aneinander gereihtem Spielgeld auf. Die Botschaft ist: Die Nachbarschaft verlangt die selbe Art von einem "guten Geschäft", wie es der Abgeordnete gemacht hatte. Hinzu kommt ein Bündnis mit dem Besitzer einer Fleischfabrik, der 500 Arbeiter mit ausreichendem Lohn und guter Kooperation mit den Gewerkschaften beschäftigt. Dieser droht, seine Fabrik abzuziehen, wenn diese Edelwohnungen entstehen würden. Dies veranlasst den Chicagoer Bürgermeister Daley, die Planung für eine Gated Community abzulehnen. Aber: Wenn keine Wohnungen entstehen, würden, was dann?
In einer Versammlung werden Kriterien festgelegt: Es sollen nur Planungen unterstützt werden, bei denen mindestens 500 "living wages jobs", d.h. Jobs mit einem Einkommen, von dem man leben kann entstehen, soziale Leistungen für die Beschäftigten gesichert sind, und ein Training für die vorgesehenen Arbeitsplätze angeboten wird.
Der nächste Schritt ist, "zum Rathaus zu gehen" und sich mit den Verantwortlichen zu treffen.
In der City Hall, dem Zentrum von Politik und Verwaltung der Stadt, verweigert zunächst der Abgeordnete, gegen den sich die Aktion gerichtet hatte, ein Treffen, daraufhin gehen 20 Leute in seine reguläre Sprechstunde; ein Treffen mit dem Planungsamt ergibt nichts, weil das Amt nur reagieren und nicht selbst planen könne. "Offenbar handeln sie nur, wenn es ihnen passt, haben wir daraus gelernt."
Eine Busladung mit Bewohnern fährt zum Rathaus und ist ab jetzt immer wieder im 5. Stock, wo der Bürgermeister residiert. "Wir wurden enge Freunde der Sicherheitswache des 5.Stocks".
"Die konstante Anwesenheit bewirkt eine Änderung: die Leute aus dem Rathaus fangen an zuzuhören- und die Haltung der Nachbarschaft verändert sich…Immer mehr Türen öffneten sich. Das Planungsamt wusste, wann wir auf dem 5. Stock waren. Sie wurden viel aktiver, sie sandten Arbeitsplatzentwickler zu uns. Die Bewohner werden jetzt als organisierte Gruppe angesehen und merken, dass ihre Meinungen wert geschätzt werden."
Dies ist die Voraussetzung für den nächsten Schritt, für konkrete Verhandlungen. Das Ergebnis ist schließlich ein Kompromiss, bei dem Arbeitsplätze mit einem angemessenen Lohn entstehen, aber nicht so viele, wie von der Organisation gefordert waren. Dafür sollen über die Bürgerorganisation Leute aus der Nachbarschaft eingestellt werden.
Materiell liegt der Erfolg darin, dass zugleich das Wohnviertel bewahrt ist und neue Arbeitsplätze entstanden sind. Und für die Bürger bedeutet dies gleichzeitig, dass Vertrauen geschaffen ist in die Bürgerorganisation und in die eigene Kraft.
Das Resümee einer Leaderin: "Du musst beharrlich weiter machen. Du erlebst viele Enttäuschungen. Leute sagen, dass sie zu einem Treffen kommen und tun es nicht. ... Dann kannst Du etwas Erfolg sehen. …Ich fühle, dass die Menschen in der Community die Verantwortung für ihre eigene Community übernommen haben. Und die Leute aus den Ämtern usw. können nicht einfach in unsere Community kommen und machen, was sie wollen, ohne sich mit uns zu beraten".

(B) "Private" Probleme zu öffentlichen Themen machen: Gegen das "Räuberische Verleihen"

Das National Training and Information Center (NTIC) erfuhr, dass bei Leuten, die zum ersten Mal ein Haus besaßen, in den letzten Jahren massenhaft Hypotheken für verfallen erklärt wurden, weil die laufenden Zinsen nicht bezahlt werden. Für diesen Fall aber stehen unbezahlbar hohe Verzugszinsen im Vertrag; und wenn diese nicht bezahlt werden, verlieren die Eigentümer ihre Häuser. Die Bewohner sehen die leeren Häuser in der Nachbarschaft: "Ich sah in einem Gebiet 37 mit Brettern zugenagelte Häuser. Ich merkte, dass das schlimmer ist, als diese Zahl ausdrückt; denn zugenagelte Häuser bedeuten Probleme mit der Sicherheit, Leute ziehen aus, Instabilität in der Nachbarschaft. Es war ein Thema für die Community. Etwas musste getan werden."
Dabei erscheint der Verfall der Kredite den Betroffenen zunächst als Privatproblem: "’Ich hab’s verdient, ich war blöde.’
Aber: "Kommt man auf eine tiefere Schicht, merkt man: sie waren nicht blöde, sie waren verzweifelt: Der Ofen funktionierte nicht, der Winter kam und sie brauchten ein Darlehen um ihn zu reparieren."
NTIC veranstaltet Versammlungen mit Hausbesitzern, die vor dem Verlust ihrer Häuser stehen und benennt das Verhalten der Kreditgeber: "PREDATORY LENDING", räuberisches Verleihen.
"Dabei wird die Regel des Organizing befolgt: Nachdem die Leute die Chance hatten ihren Ärger auszudrücken, muss ein Weg sein für da sie, in Aktion zu gehen um eine Änderung durchführen: ‚Wollt ihr was dagegen tun, dass andere davon betroffen werden?’"
So bilden sie eine Task Force, laden Repräsentanten der Staatlichen Aufsicht ein und wollen mit den Gesetzgebern des Staates reden. Von diesem gemeinsamen Anfangspunkt aus gehen die verschiedenen Organisationen des Community Organizing, die in Chicago bestehen, durchaus unterschiedliche Wege:

Das South West Organizing Project (SWOP) hält eine "Posada" ab

SWOP ist eine Organisation von Gemeinden, Kirchen, Synagogen und Moscheen, Krankenhäusern, Schulen und anderen lokalen Institutionen und zählt damit zum "Broad Based Commmunity Organizing" , einer Organisation von Organisationen.
Da SWOP eine zum Community Organizing auf der Basis der Religion ist, haben die SWOP- Mitglieder, so der Bericht, das Gefühl, dass wütende Versammlungen nicht wirklich ihr Stil sind. SWOP rückt deshalb Aktionsformen in den Vordergrund, die die unterschiedlichen Kulturen in den Stadtteilen repräsentieren und organisiert unter anderem eine "Posada".; Eine Posada ist ursprünglich eine Art Schauspiel, bei dem die Menschen durch die Straßen ziehen und wie Josef und Maria mit dem ungeborenen Jesus von Tür zu Tür nach einer Unterkunft suchen, weggeschickt werden und schließlich im Stall ankommen.
Ein gemeinsames Gebet vor den Toren einer Finanzgesellschaft, die des Predatory Lending beschuldigt wird, wird Teil des Umzugs. So gelingt es, auch die Ordensschwestern, die sich nie in Politik eingemischt haben, einzubeziehen. Das wiederum ermutigt andere mitzumachen.

Die Association of Community Organizations für Reform Now (ACORN) greift Finanzorganisationen an

ACORN arbeitet anders. ACORN wirbt in sehr einkommensschwachen Nachbarschaften Mitglieder durch Tür-zu-Tür Arbeit. Predatory Lending gehört zu den Themen, zu denen ACORN in vielen Staaten der USA Kampagnen durchführt. "Predatory Lending" sieht ACORN als ein Mittel von auswärtigen Interessenten an, Geld aus den armen Communities heraus zu saugen.
"Unsere Leute sind eine leichte Beute; sie haben immer die Angst, von den Banken abgewiesen zu werden. Die Verleiher kommen zu den Leuten, nehmen persönlichen Kontakt auf und beuten so die Leute aus."
ACORN unternimmt direkte und zum Teil spektakuläre Aktionen, wie Demonstrationen oder Besetzungen von Büros der angegriffenen Finanzinstitutionen, verhandelt dann und schließt dann Vereinbarungen mit Finanzinstitutionen für neue Finanzierungsangebote ab. Eine leitende ACORN- Organizerin:
"Es muss Ergebnisse direkt für unsere Mitglieder geben. Wir müssen Produkte schaffen, die gangbare Alternativen sind zu dem, was die Leute von den Räubern angeboten bekommen".

Erfolge und ihre Ambivalenz

Schließlich bilden verschiedene Community Organisationen eine Koalition, um ein Gesetz zum Schutz der Hausbesitzer mit niedrigem Einkommen durchzusetzen. Sie erreichen eine Verordnung in der Stadt Chicago und auch im Bundesstaat Illinois; das Ergebnis allerdings ist umstritten, denn:
"Regulierungen sind nur so gut, wie ihre Durchsetzung und so muss noch viel getan werden, bevor Hausbesitzer sicher sind vor Praktiken des Predatory Lending".
Die gesetzlichen Regelungen werden ambivalent eingeschätzt, als eindeutiger Erfolg aber erscheint mir, dass es gelungen ist, dem Verhalten der Finanzeinrichtungen einen Namen zu geben, der die Betroffenen ermutigt, sich gegen diese Praktiken zu wehren. Und dieser "Frame" setzt sich bis in Veröffentlichungen des Weißen Hauses durch.

(C) Schulreform durch Community Organizing

In der genannten Evaluationsstudie zur Schulreform wird die Situation der Schulen in den benachteiligten Stadtteilen der USA so beschrieben: "Überfüllung, schlechter werdende Einrichtungen, unangemessene Finanzen,  hohe Wechselrate der Mitarbeiter, fehlende aktuelle Schulbücher, und Kinder mit geringem Leistungslevel. Schüler die diese Schulen besuchen, sind allzu häufig ausgeschlossen von hoch qualifizierten Programmen, entmutigt zum College zu gehend und in ihren Arbeitsplatzmöglichkeiten benachteiligt."
Der Arbeit der Oakland Community Organizations (OCO’s) zur Schulreform in Oakland (Kalifornien) wird von den Autoren exemplarisch  dargestellt: Die OCO’s sind in Oakland seit über 30 Jahren aktiv und gehören zum PICO Netzwerk (s.u.). Ursprünglich gehörten zu den OCO`s individuelle Mitglieder aus ärmeren Nachbarschaften, die Organsation hat sich dann aber verändert zu einem "faith based, institutional organzing model", der im Jahr 2000 35 Gemeinden als Mitglieder angehören, überwiegend in den ärmeren und "low moderate" Nachbarschaften. Neben einer Mehrzahl von Latinos und Afroamerikanern sich auch einige asiatische Gruppen und Kaukasier dabei. Berufliche Mitarbeitern sind Exekutivdirektor und vier Organizer. Die Organisation arbeitet an verschiedenen Themen: günstiges Wohnen,  Kriminalitätsprävention, Drogenprävention und Erziehung.
In Oakland ging es darum, Bauland für neue kleinere Schulen zu bekommen, um die Missstände im Schulwesen zu beheben.
1986 war ein Warenhaus geschlossen worden; 1993 haben Führungspersonen, "leader", aus den OCO`s von den Sorgen der Bewohner über das verlassene Warenhaus, das zu einem Schandfleck wurde, erfahren; es war voll gemalt mit Graffitis, die Fenster waren zerbrochen, Leute aus der Umgebung berichteten von nächtlichen Schießereien. Gleichzeitig nahmen sie die Sorgen der Eltern über die Überfüllung der Schule wahr. Deshalb entschied sich der OCO- Vorstand, die Überfüllung zu einem Schwerpunkt für die gesamte Organisation zu machen.
Man erforschte das Thema, fanden eine Kluft der Schülerleistungen zwischen den großen und überfüllten Schulen in diesen Nachbarschaften und kleineren Schulen in reicheren Gebieten heraus und begann eine nach einigen Jahren erfolgreiche Kampagne für eine veränderte Schulpolitik des Bezirks, die auf kleine Schulen ausgerichtet war. Bei der Suche nach Bauland dafür kam man auf das Warenhaus. Aufgrund eines Prozesses der Gentrifizierung, einer Entwicklung, bei der die Bewohnerschaft Zug um Zug durch Reichere ersetzt wird und damit Gebäude und Bauland immer wertvoller werden, war der Abriss der Reste des Warenhauses, der die Voraussetzung für den Bau neuer Schulen war, ein kontroverses Thema. Mit einer Vielzahl von Taktiken wie z.B. großen öffentlichen Versammlungen mit Offiziellen, Petitionen, Verhandlungen und  demonstrativen Aktionen, bis hin zu Gerichtsprozessen wurde schließlich 2001, also nach acht Jahren, das Warenhaus abgerissen und es entstanden zunächst provisorische Schulräume. Die kleinen Schulen werden in Oakland nun mit finanzieller Unterstützung der Stiftung von Bill Gates und seiner Frau aufgebaut.
Ein Leader wird zitiert: "All diese Treffen und Aktionen …wurden ein echter Lernraum für die Führungspersonen… Bewaffnet mit den Fakten, bereit zu handeln und im eigenen Namen Zeugnis abzulegen, und gestärkt durch das Wissen, dass niemand von uns alleine steht,  durch unsere organisierten Anstrengungen, wussten wir: wir können viele Siege erringen".
Durch die aktive Rolle der Bewohner und ihrer Führungspersonen konnte man ein Gegenbild zum "Diskurs des Defizits" setzen, der die meisten Programme zur Schulreform beherrscht:
"Die Familien in den armen Communities werden nach wie vor charakterisiert als solche, denen es an Fähigkeiten und Werten mangelt, die Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Es ist der Diskurs des Defizits…. Wenn sich aber die Kollegien der Schule, die Eltern und die Community in einem demokratischen Entscheidungsprozess engagieren, entwickeln sie ein Gespür für den gemeinsamen "Besitz" an der örtlichen Schule" und lösen damit diesen "Diskurs des Defizits" auf.
Das Forschungsprojekt macht deutlich, wie Community Organizing mehr zur langfristigen Verbesserung der Situation beiträgt als eine Fülle von in den Zielsetzungen vergleichbaren Ansätzen:

  • Schulreform ist ein Langzeitunternehmen. Community Organizing Gruppen tragen zur Nachhaltigkeit bei, weil sie eine starke Basis unter den Bewohnern aufbauen, die den Prozess kontinuierlich beobachten und mit gestalten.
  • Diese starke und zum Kämpfen bereite Basis ist notwendig, damit ein dauerhaftes Gegengewicht gegen Bürokratie und konkurrierende politische und ökonomische Interessen vorhanden ist.
  • Gegenüber diffusen Verantwortlichkeiten baut Community Organizing ein überbrückendes "soziales Kapital" und Vertrauensbeziehungen zwischen Bewohnern, Lehrern und Verwaltungen auf. Öffentliche Diskussionen schaffen den politischen Willen, der die Bürokratien zum Handeln bewegt..
  • Und so können letztlich auch die Leistungen der Schülerinnen und Schüler verbessert werden, weil Schule und Community aneinander rücken, die Themen behandelt werden, die sonst nicht vorkommen und es so etwas wie eine gemeinsame "Eigentümerschaft" an der Schule und ihrer Reform gibt.

Die Vielfalt des Organizing

Weil zum Community Organizing sowohl sehr kleine Gruppen, die sich selbst organisieren, wie auch Großorganisationen wie ACORN mit über 120.000 Mitgliedern gehören werden, ist der Umfang der am Community Organizing beteiligten Menschen in Amerika kaum zu fixieren. Im Bereich des "Faith Based Community Organizing (FBCO)", also des Community Organizing, das vor allem von religiösen Gruppen getragen wird, werden nach einer Untersuchung landesweit 130 Organisationen gezählt, die den Grundsätzen des Community Organizing entsprechen und hauptberufliche Organizer beschäftigen. Als aktive Basis werden dort 100.000 Menschen, die zumindest an einer öffentlichen Aktion innerhalb von 18 Monaten teilgenommen haben, gezählt, also fast ebenso viele, wie ACORN als zahlende Mitglieder angibt. Vielleicht sind also 200.000 bis 300.000 Menschen aktiv am Community Organizing beteiligt. Das "Progressive Technology Project" startet derzeit ein Forschungsprojekt um zu untersuchen, wie viele Menschen an CO beteiligt sind und in welcher Richtung sich die Zahl der involvierten Menschen entwickelt (Mark Sherman in einer Mail in der e-mail-Diskussion von comm-org.utoledo.edu, 15.2.2005).
Die Organisationen kann man unterscheiden in:

  1. Direkte und vorwiegend auf individueller Mitgliedschaft basierende Gruppen; die meisten davon sind klein, basieren auf einer geographischen Einheit und organisieren einzelne Leute mit niedrigem und mäßigem Einkommen. Die LSNA aus Chicago, die wir kennen gelernt haben, gehört in Bezug auf den geographischen Bezug dazu, organisiert neben Individuen aber auch Organisationen des Stadtteils.
  2. Eine Großorganisation mit individueller Mitgliedschaft und vielen örtlichen Zweigen ist ACORN, http://www.acorn.org/, die wir schon beim "Predatory Lending" kennen gelernt haben, und die noch etwas umfassender dargestellt werden soll.
  3. Auf Themen bezogene Koalitionen mobilisieren öffentliche Interessengruppen, Gewerkschaften oder andere, die Politik zu beeinflussen. Beispiele dafür haben wir bei den Aktionen zum "Predatory Lending" kennen gelernt.
  4. Zum Organizing auf der Basis von Institutionen, Gemeinden oder Religionen, die in den lokalen religiösen Institutionen wurzeln und oft mit anderen Institutionen zusammen in der Community arbeiten gehört z.B. die genannte SWOP.
  5. Die SWOP wiederum ist in ein Netzwerke des Community Organizing eingebunden, das Pacific Institute for Community Organization (PICO) http://www.piconetwork.org/. Andere Netzwerke, die z.T. auf Regionen bezogen sind, sind die Gamaliel Foundation http://www.gamaliel.org/, das Direct Action and Research Training Center (DART) , http://www.thedartcenter.org/, das Center for Community Change www.communitychange.org/about/, und die jüdische Organisation Gather The People, http://www.gatherthepeople.org/. Als ein auch über die Grenzen der USA bedeutendes Beispiel wird im folgenden die Industrial Areas Foundation, http://www.industrialareasfoudation.org/ skizziert.
  6. Ähnlich wie diese Netzwerke bieten Trainingsinstitute Schulung von Führungspersonen und Beratung bei der Entwicklung von Strategien an; solche Trainingsinstitute sind z.B. die Midwest Academy http://www.midwestacademy.com/ und das National Training and Information Center, http://www.ntic-us.org/, das eine wichtige Rolle beim Beispiel des Predatory Lending gespielt hat.

Keiner dieser Ansätze existiert in "reiner" Form, und es gibt auch jeweils keine festen Regeln für alle Organisationen. Anpassungen an sich verändernde soziale Bedingungen sind eher die Regel als die Ausnahme.

Industrial Areas Foundation (IAF)

Die Industrial Areas Foundation (IAF) wurde 1940 vom Chicagoer Bischof Shiel, dem Warenhausbesitzer Marshall Field, der Tochter des Gewerkschaftsführers John Lewis, Kathryn Lewis und Saul Alinsky gegründet. Diese Wurzeln haben bis heute eine Bedeutung für das Selbstverständnis der IAF als "broad-based" Organisation und unterscheiden IAF auch von anderen Faith Based Communinty Organiziations. IAF entwickelte sich in den 70er Jahren zur "modernen IAF" und hat heute 55 angegliederte Organisationen in 21 Staaten der USA, sowie Organisationen in Kanada, Großbritannien und Deutschland (http://www.industrialareasfoundation.org/.
IAF ist keine eigene Community Organisation, sondern ein Netzwerk für Community Organisationen, die vertraglich mit IAF verbunden sind und für einen Geldbeitrag als Gegenleistungen insbesondere Beratung und Training der Organizer und der führenden Leader erhalten. Der Name IAF erscheint also bei den Aktionen der Organisationen in der Regel nicht (ganz anders als bei ACORN).
In einer Selbstdarstellung von IAF (http://www.iafnw.com/, IAF in der Nordwest-Region) wird die Praxis so zusammen gefasst:

  1. Das Herz unserer Arbeit ist das individual meeting. Dies ist ein zielgerichtetes Gespräch mit einer anderen Person, das in das Zentrum der Geschichte und des Interesses beider Personen geht. Aus den individuellen Treffen erwachsen Meetings in den Häusern und Wohnblocks..
  2. Aktionen zur Erforschung von Themen, research actions, entwickeln sich zu Verhandlungen oder Aktionen.
  3. Wir reflektieren die Aktionen gründlich, um möglichst viel zu lernen.
  4. Professionelle Organizer sind vor allem Lehrer, die der Gemeinschaft der Führungspersonen helfen, effektive Strategien zu entwickeln.
  5. Führungspersonen und Organizer gehen durch einen Trainingsprozess von lokalen, regionalen und nationalen Stufen.

IAF, so heißt es auf der Website, entwickelt Organisationen, die Macht –organisierte Menschen und organisiertes Geld– in effektiver Weise benutzen. Das Geheimnis des Erfolges von IAF liege in seinem Engagement, Führungspersonen zu finden, zu werben, zu trainieren und zu entwickeln in jeder Ecke von jeder Community wo IAF wirkt. IAF sei in der Tat eine radikale Organisation in einem spezifischen Sinn: IAF habe den radikalen Glauben an das Potenzial der großen Mehrheit der Leute zu wachsen und sich als Führungspersonen zu entwickeln. Und IAF nutze in der Tat eine radikale Taktik: das Gespräch von Angesicht zu Angesicht, das Treffen von einer Person mit einem Individuum, das den Zweck hat, eine öffentliche Beziehung zu initiieren und das zerfranste soziale Gewebe wieder zu zusammen zu fügen (http://www.industrialareasfoundation.org/iafabout/about.htm).

Association of Community Organizations for Reform Now (ACORN)

 Eine deutlich andere politische Kultur als das broad-based Organizing bildet das auf Einzelmitgliedschaften basierte Organizing des Community Organizing.
ACORN ist vor 35 Jahren in Arcansas als Basisorganisation gegründet; damals arbeitet beispielsweise Bill Clinton mit. ACORN sieht sich als größte Organisation des Community Organizing von Familien mit kleinem und geringem Einkommen mit mehr als 120.000 Mitgliedsfamilien, die in 600 Nachbarschaftsabteilungen in 45 Städten quer durchs Land organisiert sind.
Fast immer zeigen die Berichte von http://www.acorn.org/ Fotos von besonderen Aktionen, so z.B. auf der März 2002-Titelseite zu einer Aktion am 5. März, wo 500 ACORN -Mitglieder an einer Versammlung vor dem Gesundheitsministerium teilgenommen hätten, um sich gegen einen Plan von Bush zu wenden. Einen Tag später, so heißt es dabei, habe Bush Verbesserungen im Plan angekündigt.

Die Darstellung von Erfolgen ist für ACORN notwendig, denn ACORN existiert wesentlich von den Mitgliedsbeiträgen der einzelnen Familien.

Wir glauben, dass die soziale Veränderung von unten nach oben kommt. Unsere Organizer sind jeden Tag auf den Straßen, klopfen an die Tür und gewinnen neue Mitglieder.

Als besondere Aktionen werden beispielsweise im Monatsbericht November 2004 herausgehoben:

  • die Kampagne von ACORN, um Wähler dazu zu bewegen, sich für die Wahlen registrieren zu lassen. Dabei ging es neben der Wahl des Präsidenten und von Senats- und Kongressmitgliedern um viele lokale Wahlen und Abstimmungen. Eine besondere Kampagne in mehreren Bundesstaaten galt einem Volksbegehren zur Erhöhung des Mindestlohns. ACORN berichtet von fast 1 Millionen Unterschriften dafür;
  • die Teilnahme von New York ACORN an einer Allianz für "Inclusionary Zoning": durch entsprechende Regelungen sollen Investoren gezwungen werden in Neubaugebieten auch 15.000 für Menschen mit niedrigerem Einkommen bezahlbare Wohneinheiten einzuplanen. Dies ist eine Gegenstrategie gegen ungezügelte Gentrifikation und Entwicklung von abgeschotteten Nachbarschaften von Wohlhabenden;
  • der Protest von Hunderten von aus Chicago gegen einen Plan zur Privatisierung von Schulen, nach dem 60 öffentliche Schulen in "Charter Schools" umgewandelt werden, bei denen es keine Gewerkschaften und örtlichen Schulbeiräte gäbe. Charter Schools werden von ihren Befürwortern akademische Alternative zu öffentlichen Schulen propagiert;(http://www.uscharterschools.org/pub/uscs_docs/scs/full.htm?page=2#start);
  • in Louisville wird ein Kampf für eine Senkung der Abwassergebühren gewonnen;
  • im Staat Illinois wird ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Akten von nicht gewalttätigen ehemaligen Straffälligen unter Verschluss gehalten werden, die wegen geringem Drogenbesitz oder Prostitution verurteilt wurden, so dass sie bessere Chancen haben, eine Beschäftigung zu bekommen;
  • In Delaware zahlen Mitglieder von ACORN ihre Gasrechnungen in 100.000 Centstücken, um gegen die Erhöhung der Gaspreise zu protestieren;
  • in Toronto – ACORN hat sich also bis nach Kanada ausgeweitet– wird ein Kakerlaken-Derby abgehalten, um das Problem der Schädlinge in den Häusern hervorzuheben.

Themen und Arbeitsansätze

Im Community Organizing geht es in der Regel immer um mehrere Themen, die grundsätzlich aus den Gesprächen mit den Menschen heraus entwickelt werden; deshalb können sie sich von Ort zu Ort unterscheiden. Dennoch haben sich bestimmte Kernthemen entwickelt, die oft nicht nur vor Ort entschieden werden können, sondern auch Einfluss auf die Politik der Staaten und der Bundesregierung ebenso wie auf die großer Konzerne erfordern.
Dabei geht es um Probleme, die die Lebenslage insbesondere der Menschen mit niedrigem Einkommen prägen: Arbeitsplätze mit einem Einkommen, von dem man leben kann, Schulprogramme, bei denen auch die Schwächeren gefördert werden, Sicherung einer Gesundheitsfürsorge für alle, bezahlbare Wohnungen, Erhalt und Verbesserung von herunter gekommenen Wohngebieten, Rechte von Immigranten, öffentliche Sicherheit im öffentlichen Transport usw..
Hierbei ziehen die verschiedenen Gruppen des Organizing häufig an einem Strang, sowohl vor Ort als auch in überregionalen Kampagnen.
Deutliche Unterschiede bestehen beispielsweise zwischen ACORN und den zum Netzwerk von IAF gehörenden Organisationen in den Strategien und Taktiken: IAF arbeitet mehr mit intensiven Einzelgesprächen, bei denen es wesentlich um die Entwicklung der Kompetenzen von Führungspersonen geht, bei ACORN steht die schnelle Mobilisierung von Bewohnern und die Werbung von neuen Mitgliedern in Haustürgesprächen im Vordergrund. Dies hat natürlich auch damit zu tun, dass IAF- Organisationen "broad based Organisationen" sind, bei denen die Kosten von den Mitgliedsgruppen - Kirchengemeinden, Bürgergruppen usw. - getragen werden, während ACORN sich zu einem wesentlichen Anteil aus Einzelmitgliedsbeiträgen finanziert.
ACORN richtet sich stärker an die Bewohnergruppen, die ein geringes Einkommen haben, während die IAF Organisationen auch von der sozialen Schichtung breiter angelegt ist und auch die Ressourcen der Etablierteren, und das heißt u.a. auch der wohlhabenderen Gemeinden, nutzt.
Der Stil von ACORN ist eher aktionsorientiert, der Stil von IAF stärker dialogorientiert. Dieses korrespondiert auch mit unterschiedlichen Typ von "Leadern" die sich jeweils herausentwickeln; auf unsere Verhältnisse übertragen könnte man die IAF- Leader vielleicht mit sozial engagierten Kirchenvorstandsmitgliedern vergleichen, bei ACORN eher mit aktiven Betriebsräten und in Stadtteilprojekten aktiven Frauen.
Organizer von ACORN werden schnell geworben, kurz antrainiert und dann direkt in den Kontakt zu den Bewohnern geschickt, sie stehen unter hohem Erfolgsdruck und werden relativ schlecht bezahlt; für die Organizer von IAF gibt es ein ausgefeiltes Trainingsprogramm; es gibt jeweils sehr wenige, dafür aber gut bezahlte Organizer, die möglichst langfristig arbeiten sollen. Dies hängt damit zusammen, dass die einzelnen Kampagnen bei IAF von den Mitgliedsorganisationen getragen werden, während ACORN die Menschen direkt mobilisiert.
Sind beide Organisationen deutlich von sozialem Engagement geprägt, so betont IAF doch stärker die politische Neutralität, während sich ACORN direkt in Wahlen und Abstimmungen engagiert und auch eigene Kandidaten ins Rennen schickt. ACORN hat eine "People’s Platform" (http://www.acorn.org/index.php?id=2706), die politisches Programm und nicht nur eine Vision ist und sich durchaus wie ein Parteiprogramm liest.


MEA RES AGITUR- die Bedeutung des Community Organizing für den deutschen Kontext

Es gibt in Deutschland eine erfreuliche und wachsende Anerkennung der Notwendigkeit von Bürgerbeteiligung und eine sich vielfältig entwickelnde Praxis. Wie beispielsweise die Evaluation der Programme Soziale Stadt zeigt, schaffen die verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung nur sehr begrenzt nachhaltige Involvierung der BürgerInnen. Die Themen und der Rahmen sind in der Regel vorgegeben, es werden keine selbst tragenden Bürgerinnen- Organisationen aufgebaut und die BürgerInnen sitzen nicht dauerhaft gleichberechtigt am Verhandlungstisch, wenn es um die Umsetzung von Vorhaben geht.
Hier kann Community Organizing besonderes leisten:

1. Mit Community Organizing können die Bürgerinnen selbst die Themen definieren.

In der öffentlichen und politischen Auseinandersetzung geht es häufig nur zweitrangig um die Diskussion von möglichen Lösungen, sondern zunächst um die Definition von Problemen und damit die Bestimmung der politischen Agenda. Die Medien ebenso wie die Politik haben "Agenda Setting" oder auch das Framing als den Schlüssel erkannt, mit dem Entwicklungsrichtungen politischen Handelns entschieden werden; die Kehrseite ist, dass immer mehr Menschen den Eindruck haben, dass es nicht mehr um das geht, was sie wirklich bewegt und sich aus jeglicher Diskussion ausklinken.
Community Organizing setzt mit persönlichem Austausch, Treffen in der Nachbarschaft, öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Versammlungen an der Schnittstelle von Privatem und Öffentlichem an, bringt die Probleme, die die Menschen unmittelbar berühren, wirksam in die öffentliche Sphäre ein und gibt ihnen einen Bezugsrahmen, so z.B., wenn die direkten Erfahrungen mit der Beseitigung öffentlicher Dienstleistungen dem Mainstream der angeblich notwendigen Steuerreduzierung entgegen gestellt wird.

2. Mit Community Organizing werden Veränderungen nachhaltig gesichert.

Veränderungen, die wirkliche Verbesserungen bedeuten, brauchen Zeit um zu wirken. Die meisten Formen der Bürgerbeteiligung beziehen sich auf einzelne Entscheidungen und Planungen, bei denen die BürgerInnen kurzfristig einbezogen werden und das Heft des Handelns zurück gegeben wird an die Behörden, Unternehmen und Politiker. Nur wenn eine starke Basis der Bewohner aufgebaut wird, sind sie ein mächtiger Gegenpart, der sie selbst ebenso wie die Gegenseite in der Verantwortung hält. Nur so kann verhindert werden, dass die starken Gegenkräfte der Bürokratie und konkurrierender politischer und ökonomischer Interessen die Veränderungen entgleisen lassen. In der Auseinandersetzung auf "gleicher Augenhöhe" entwickelt sich "überbrückendes" soziales Kapital auf mit Vertrauensbeziehungen zwischen Mitgliedern der Community und Verantwortlichen. Und zugleich wissen sich die Bürgerinnen und ihre Organisationen für das, was sie selbst errungen haben, auch verantwortlich.

3. Mit Community Organizing entwickeln die Menschen handlungsmächtige soziale Beziehungen

Es enstehen Netzwerke wechselseitiger Verpflichtung und wechselseitigen Vertrauens, sowohl zwischen den Personen als auch den Gruppen…Manche Gruppen nennen dies "relational power", andere…Bildung von "politischem Kapital"… Community Organizing- Gruppen bringen Leute zusammen, die sich sonst kaum verbinden, aufgrund kultureller und sprachlicher Barrieren( in den USA z.B. Latinos, Afroamerikaner, Asiaamerikaner) oder wegen ihrer verschiedenen Rollen und Positionen, wie Lehrer, Schulvorsteher und Eltern", heißt es in der bereits angeführten Untersuchung zur Schulreform.
Ein zentrales Instrument ist das direkte Zweiergespräch, wie es vor allem von den religionsbasierten Organisationen gepflegt wird: Was bewegt uns in unserem Kern? Wofür sind wir bereit, uns einzusetzen? Welche Ressourcen können wir einbringen?

4. Mit Community Organizing entwickeln sich demokratische Führungspersonen"

Als Führungspersönlichkeiten (Leader) werden im Community Organizing nicht die angesehen, die herrschen und anderen ihren Willen aufzwingen, sondern die "mover and shaker", die etwas bewegen und andere Menschen aufrütteln. Man wird nicht als Führungsperson geboren, sondern dies ist Ergebnis von Sozialisation, Entwicklung und Bildung; deshalb geht es um das Finden und Erkennen von potentiellen Führungspersonen, um deren Förderung, Bildung und auch persönliches Wachstum.
Es ist wichtig, diese Mover and Shaker zu identifizieren, denn sonst treffen die häufig die die Professionellen die Entscheidungen.
In Deutschland sprechen wir kaum von Führungspersonen, geschweige denn von Führern und Führerinnen. Wir wollen zu Recht keine Machtzusammenballung, aber ohne die Identifikation von "Leadern" geschieht oft genug Konzentration der Entscheidungen in den Händen einiger weniger oder öfters noch bei den Professionellen. Nur der gezielte Aufbau von "Leadership" führt dazu, dass die BürgerInnen nicht nur "beteiligt" werden, sondern wirklich die Richtung bestimmen.

5. Beim Community Organizing geht es um die Macht.

Ein solcher Satz geht uns schwer über die Lippen, weil wir lieber sagen würden, es ginge um "Überzeugung", um "das Recht" oder um die "Moral". Aber es geht eben auch um Macht. Macht in einem doppelten und spannungsreichen Verständnis: Um Macht, seinen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen - das Machtverständnis der Tradition von Max Weber - und Macht als die Fähigkeit, sich mit anderen zusammenzuschließen, und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln - so die Position von Hannah Arendt.
Macht "meint, dass Bewohner von ärmeren Nachbarschaften Einfluss bekommen um Ressourcen und Veränderungen der Politik zu gewinnen, die notwendig sind um ihre Schulen und Nachbarschaften zu verbessern. Community Power entsteht, wenn Gruppen strategisch und kollektiv arbeiten" (ebda.).
Ein Instrument des Community Organizing ist die Machtanalyse: Welche Menschen können uns das geben, was wir wollen? Wie können wir sie wirksam beeinflussen?
Ein zweites das direkte Gespräch, mit dem öffentliche Beziehungen aufgebaut werden.
Das dritte Instrument ist die direkte Aktion, die öffentlich die Kraft und die Macht der Organisation zeigt: Wie bringen wir die, die über Macht verfügen, dazu, Rede und Antwort zu stehen und sich ihrer Verantwortung zu stellen? Das kann eine spektakuläre Aktion sein, gezielte Medienarbeit oder auch das bewusste Arrangement einer Versammlung.

6. Mit Community Organizing können Erfolge strategisch organisiert werden.

Gerade in Bürgergruppen vor Ort haben wir Vorstellungen, was wir wollen oder auch verhindern wollen, wir haben viele Ideen, was man machen könnte. Das, was uns oft fehlt, ist die Strategie, in der Aktionen und Ziele miteinander verbunden sind. Erfolge erscheinen so letztlich als zufällig und schon gar nicht planbar.
Community Organizing macht deutlich, dass die Chancen für Erfolge bewusst erhöht werden können: durch die überlegte Auswahl von Themen, durch eine fundierte Macht- und Ressourcenanalyse, durch gezielten Aufbau von Leadership, die systematische Mobilisierung von Menschen und die sorgfältige Vorbereitung und Gestaltung von Aktionen.

7. Community Organizing ist lernbar und lehrbar

Keine Frage, die "ideale OrganizerIn" oder der "ideale Leader" ist nicht das Produkt eines sorgfältig ausgefeilten Curriculums, sei es eines Trainings oder eines Studiengangs an einer Hochschule. Aber die notwendigen Qualifikationen sind auch keine Eigenschaften, die angeboren sind oder vom Himmel fallen. Leadership und Organizing mag auch eine Begabung sein, aber es ist auch etwas, wo man sich bewusst und gezielt weiter entwickeln kann. Dabei ist Lernen immer die Verknüpfung von Wissen und konkreten praktischen Erfahrungen.
Community Organizing, der Aufbau von Bürgerorganisationen, erscheint als ein Ansatz, der die Menschen als Gestalter ihrer eigenen Lebensverhältnisse in Wert setzt und ihnen die Erfahrung ihrer eigenen Macht ermöglicht; Community Organizing könnte ein Instrument für reale Demokratie und soziale Gerechtigkeit sein und sich über die bisherigen Begrenzungen hinaus ausbreiten.


Steckbrief des Community Organizing

von Michael Rothschuh, 2005

Was ist Community Organizing?

Community Organizing

  • bildet Bürgerorganisationen
  • strebt konkrete Veränderungen für die BewohnerInnen an
  • stärkt die sozialen Beziehungen
  • baut Macht für die Organisationen auf
  • entwickelt Leadership
  • führt Kampagnen durch
  • setzt phantasievoll unterschiedliche Aktionsformen ein

Themen

Themen ergeben sich sowohl aus dem jeweiligen örtlichen Zusammenhang, wie aus der generellen Lebenslage von Menschen mit niedrigem Einkommen, insb.:

  • Arbeitsmöglichkeiten (jobs)
  • Einkommen, von dem man leben kann (living wage)
  • Stadtentwicklung, die die Bewohner nicht verdrängt (gegen Gentrifikation)
  • Mieterrechte und Schaffung von akzeptablem Wohnraum
  • Hausbesitz auch für ärmere Schichten
  • Verbesserung der Schulsituation
  • Schutz vor "räuberischen Kreditbedingungen" (predatory lending)
  • Gegen Privatisierung und eine Politik der Steuersenkung
  • Sicherheit und Schutz vor Kriminalität auch in benachteiligten Stadtteilen
  • Öffentlicher Nahverkehr, Straßenverkehr

Wirkungsfelder

  1. Entwicklung von Quartieren und Nachbarschaften
  2. Sozialarbeit
  3. Politische Arbeit

Community und Union/ Labour Organizing/

Community

Ausgangspunkt ist die örtliche Community als Nachbarschaft, Stadtteil oder Quartier. Community kann auch die Hochschule, der Betrieb oder die Schule, sowie stadtweite und regionale Zusammenschlüsse.
Zum Begriff Community gehört neben dem räumlichen Zusammenhang die soziale Interaktion sowie das Gefühl von Identität.
Es geht vorwiegend um "low- and moderate income communities" (~ benachteiligte Stadtteile)

Organizing als Tätigkeit

  • Machtanalyse
  • Aufbau von Beziehungen
  • Entwicklung einer Leadership
  • Entwicklung einer Strategie
  • Durchführung von Kampagnen
  • Entwicklung von Aktionsformen
  • Evaluation

Organizing als Beruf

Organizer werden vor allem von größeren Organisationen und von Netzwerken eingestellt.
Dabei wird auf Erfahrung mehr Wert als auf akademische Ausbildung gelegt. Berufsorganisation NOA (National Organzier Alliance), http://www.noacentral.org/
Zu den Aufgaben gehören neben dem eigentlichen Organizing (s.o.) auch Geldbeschaffung, innere Organisation, Öffentlichkeitsarbeit

Organisationsformen

  1. selbstorganisierte Bürgerorganisationen
    Die ungezählten Gruppen sind organisatorisch, thematisch und methodisch sehr divergierend.
  2. individuelle Mitgliedschaft
    Personen und Familien in benachteiligten Stadtteilen werden als Mitglieder geworben und zahlen Mitgliedsbeiträge. Dafür werden sie in der Durchsetzung ihrer Interessen unterstützt und profitieren von Erfolgen, die zum Teil auch die Mitglieder gegenüber anderen Bewohnern bevorzugen. ACORN ist die größte Organisation mit persönlicher Mitgliedschaft in den USA mit 120.000 Mitgliedern.
  3. institutionelle Mitgliedschaft
    Mitglieder sind Kirchengemeinden unterschiedlicher Glaubensrichtungen, jüdische und (selten) islamische Gemeinschaften, örtliche Gewerkschaften und Bürgergruppen. Die Organisationen sind zum Teil mehrstufig gegliedert, durch städtische, regionale oder landesweite Zusammenschlüsse. Dominierend sind Glaubensgemeinschaften, so dass "broad-based-organizing" meistens auch "faith-based-organizing" ist.
  4. Netzwerke
    Industrial Areas Foundation (IAF, von Alinsky mit gegründet)), http://www.industrialareasfoundation.org/
    Pacific Institute for Community Organization (PICO), http://www.piconetwork.org/
    Gamaliel Foundation, http://www.gamaliel.org/
    Gather The People, http://www.gatherthepeople.org%20/

Ausbildung

Trainingsinstitute :

An den universitären Schulen für Sozialarbeit gehört Community Organizing regelmäßig zum Lehrplan, daneben gibt es einzelne Studienschwerpunkte in Studiengängen der Theologie, Kriminologie, Politikwissenschaft und Stadtplanung.

Finanzierung

weit verbreitet: Stiftungen, Sponsoren,
organisationsabhängig: Kirchen, Catholic Campaign oder individuelle Mitgliedsbeiträge
umstritten: Staatliche Gelder

CO in Deutschland

Quellen

Informationen/ Links

 

Ziele und Arbeitsweise
Ziel von foco e.V. ist es, Prinzipien und Methoden des Community Organizing (CO) in Deutschland zu verwurzeln und weiter zu entwickeln. Dies geschieht durch:

  • die Förderung von Organisationen und ihrer Vernetzung
  • Trainings und Ausbildung
  • Öffentlichkeitsarbeit
  • die Verbindung von Forschung und Lehre, insbesondere in der Gemeinwesenarbeit und Sozialen Arbeit
  • die Kooperation mit gesellschaftlichen Organisationen

CO ist den Prinzipien von Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet. Im Kräftespiegel gegenüber der scheinbaren Allmacht von Staat und Wirtschaft setzt CO auf die demokratische Macht der BürgerInnen, die sich organisieren und so handlungs- und durchsetzungsfähig werden. CO ist politische Bildung und politisches Handeln zugleich.
Community Organizing ist professionelle Aktivierungs- und Organisierungsarbeit.
Es geht um praktikable Wege zu dem Ziel, dass insbesondere gesellschaftlich benachteiligte Bürgerinnen und Bürger sich gemeinschaftlich für die Verbesserung ihrer Lebensumstände einsetzen, über den Aufbau von eigenen demokratischen Organisationen (Gegen-) Macht erlangen, Ohnmacht überwinden und auf benachteiligende Strukturen einwirken können.
Community Organizing ist politische Bildung und politisches Handeln zugleich. Dabei setzt es an den unmittelbaren Eigeninteressen und der Problemsicht der beteiligten Menschen an.
CO zeichnet sich aus durch:

  • den Aufbau einer Kultur von tragfähiger öffentlicher Beziehungen
  • das Herausfinden von Eigeninteressen als Triebfeder für jedes Handeln, 
  • das Aushandeln gemeinsamer Interessen und 
  • das Organisieren von gemeinschaftlichem und strategischem Handeln
  • das Aufgreifen sowie das öffentliche und produktive Austragen von Konflikten
  • den professionellen Aufbau von lebendigen, machtvollen Organisationen und Koalitionen auf breiter Basis
  • das Vertrauen in die Fähigkeit der Menschen, ihre Lebensbedingungen selbst zu gestalten

Geschichte:
Wie meistens im Community Organizing fing es an mit Ärger und mit Lust; mit dem Ärger von vier Studierenden über die Ausbildung in der Gemeinwesenarbeit und mit der Lust, etwas zu verändern. Sie nahmen sich vor, Geschichte, Theorie, Praxis und Ausbildung von Gemeinwesenarbeit und dem amerikanischen Community Organizing zu vergleichen und machten sich dafür auf den Weg nach Chicago. Nach viermonatigen Gesprächen, Beobachtungen und Forschungen schrieben sie ihre Diplomarbeit, aus der schnell ein Buch wurde: "Let´s organize!" von Marion Mohrlok, Rainer und Michaela Neubauer und Walter Schönfelder (1993). Bei Tagungen wie der Werkstatt Gemeinwesenarbeit im Burkhardhaus machten sie andere neugierig; nächste Schritte waren Trainings zum Community Organizing, für die Ed Shurna aus Chicago und Don Elmer aus San Francisco anreisten und eine Gruppenreise im Oktober 1995, aus der wiederum ein Buch entstand: "Forward to the Roots" (1996). Die Gruppe bildete sich so zunächst informell und dann am 8.5.1995 als eingetragener und gemeinnütziger Verein, als foco e.V. , das Forum Community Organizing. Der Rundbrief erschien, Trainingsangebote wurden entwickelt, Tagungen durchgeführt. Nachdem Birgitta Kammann und Peter Szynka lange Zeit Vorsitzende waren, gehören jetzt dem Vorstand Hille Richers als Vorsitzende, Lothar Stock als Verantwortlicher für Finanzen und Michael Rothschuh, vorwiegend als Webmaster für http://www.fo-co.info/ an. Nach wie vor aber arbeitet foco e.V.  kollegial, die Aufgaben werden nach Interessen und Bereitschaften der Mitglieder verteilt, oft in Rotation.
Seit dem Sommer 2004 ist Rev. Paul Cromwell in Deutschland und arbeitet mit foco zusammen an einer Stärkung des Community Organizing-Ansatzes in Deutschland. Er besucht die Mitglieder an ihren Orten, geht dort zusammen mit ihnen zu Personen und Organisationen, die am Community Organizing interessiert sind und bietet Informationen und Kurzzeit- Trainings an.
foco will sich weiter entwickeln zu einer Organisation, die kontinuierlich und systematisch Gruppen in Deutschland, die Instrumente des Community Organizing anwenden, durch Training und Beratung unterstützt.