Szenen des Community Organizing in Nord-Amerika - ein Streifzug durchs Internet

Inhalt:


1995 haben wir mit dem "Forum für Community Organizing" (FOCO) in Chicago Projekte und Institutionen im Umfeld des Community Organizing (CO) kennengelernt. Eine besondere Bedeutung hatte der Besuch bei der Industrial Areas Foundation (IAF), und der Satz von deren Direktor Ed Chambers, dem "Nachfolger" von Saul Alinsky: "Der IAF- das ist der Mercedes des Organizing".

Natürlich haben wir die verschiedenen Formen des CO wahrgenommen 2, aber eines schien für uns fest zu stehen: Das ganz richtige Community Organizing- das ist die Art, wie IAF es macht: Einzelgespräche mit potenziellen Sponsoren, die über viele Mitglieder, Einfluss oder Geld verfügen, Bildung eines Komitees, Sammeln eines Anfangskapitals von Hunderttausenden Euro, und immer wieder Einzelgespräche mit potentiellen Leadern. Ein spannender Prozess, in dem ein Netz von öffentlichen Beziehungen geknüpft wird und aus dem in ein paar Jahren die ganz große, ganz einflussreiche Organisation der Bürger entstehen soll, die an den Verhandlungstischen der Mächtigen gleichberechtigt Platz nimmt. In der Vision, die wir einmal bei einer Tagung von FOCO gespielt haben, rief die Regierung bei uns an - nicht umgekehrt.
Ganz so ist es in Deutschland in den letzten 6 Jahren nicht gekommen: die ernsthaften Versuche, Organizing "im Stile des IAF" aufzubauen, sind in der Mühsal der Ebenen versandet; wo es derzeit in Berlin - Oberschöneweide einen konkreten Ansatz dazu gibt 3, besteht nur eine lose Beziehung zu FOCO.
Und zugleich ist doch viel geschehen: ein erfolgreiches und nachgefragtes Training "Wir bringen unseren Stadtteil auf Trab" ist entwickelt worden. Gemeinwesenarbeit ist mancherorts stärker mit Prinzipien des Community Organizing verbunden worden; es gibt Verbindungen zu Ansätzen der Bürgerdemokratie, CO ist regelmäßiger Gegenstand an Fachhochschulen der Sozialen Arbeit und von Tagungen geworden, Beratung für Bürgergruppen hat sich aus den Ideen des CO gespeist, FOCO arbeitet am Selbstverständnis der GWA in der Deutschen Gesellschaft für Sozialarbeit ebenso mit wie im Bundesnetzwerk Soziale Stadt und GWA.

Vielleicht hatten wir es ja vergessen: Mercedes ist ein schönes Auto; aber vielen von uns ist es zu teuer, zu schwer oder zu bieder, und manchen ist es sowieso lieber, sich mit Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen.

Mir scheint deshalb ein neuer Blick nach Nordamerika als sinnvoll, in die USA und mit einem kleinen Ausflug zu seinem Nachbarn Canada, mit der Frage, welche Szenen des Community Organizing zu finden sind. Dabei beschränke ich mich zunächst auf eine virtuelle Reise, Blicke in einige der unüberschaubar vielen Web-Seiten des CO und in e-mails, die ich erhalte. Nach einer sehr vorläufigen Definition des CO in Amerika möchte ich einige Szenen skizzieren:

  • Eine Online- Konferenz zu Community Organizing und Development der Universität Toledo, die meine zentrale Informationsquelle gewesen ist, bildet eine Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis.

  • Community Organisation als Selbstorganisation der BürgerInnen, die zunächst ohne Professionelle arbeiten: Ein on-line-Handbuch für Bürger (Citizens Handbook), das in Vancouver/ Canada entwickelt wird, gibt eine Fülle von Anregungen, CO "do-it-yourself" zu betreiben.

  • Die Industrial Areas Foundation (IAF) wird aufgrund des hervorragenden vorliegenden Artikels von Marion Mohrlok 4 hier nur mit einem Seitenblick gestreift.

  • Das auf Religionen basierte (Faith-based) professionell angeleiteten Community Organizing (FBCO), zu dem auch das Netzwerk des IAF gehört, ist jüngst in einer Studie untersucht, die vorgestellt werden soll.

  • Die Association of Community Organizations for Reform Now (ACORN) ist die größte staatenübergreifende Bürgerorganisation mit über 120.000 Mitgliedsfamilien mit geringem oder mäßigem Einkommen.

  • Asset Based Community Develeopment (ABCD), von Kretzmann und Mc Knight entwickelt, eine Organisation im Grenzbereich zwischen Community Organizing und Community Development, wird knapp angesprochen. 5

Abschließend stelle ich Ansätze vor, wie die Differenzierungen des CO in den USA diskutiert werden.


Definition und Umfang des CO

CO ist auch in den USA kein weithin verwendeter Begriff und es gibt keine breit akzeptierte Definition.

Wenn jemand sagt "Ich bin ein C.O." ist es oft schwierig zu bestimmen, was er meint. 6

Die Online-Konferenz COMM-ORG sieht als Hauptelemente des CO:

  • Menschen ohne Macht bekommen Macht, als Individuen wie als Community.

  • Beziehungen werden gebildet, und manchmal ist dies das primäre Ziel.

  • Begonnen wird im lokalen Gebiet, oft so klein wie eine Nachbarschaft.

  • Aufgebaut wird auf gemeinsamer Erfahrung, verwurzelt in einem Ort oder einer kulturellen Identität.

  • Oft führt Community Organizing zu Aktivitäten des Community Developments oder größeren sozialen Bewegungen 7.

Emphatischer sind die Zitate von Linthicum und Miller, die ein Handbuch für Sponsoren (Toolbox) 8 an den Beginn der Beschreibung setzt:

CO ist der Prozess, in dem die Menschen sich selbst organisieren, um ihre Situation in die eigene Hand zu nehmen und so einen Sinn dafür entwickeln, zusammen eine Community zu sein. CO ist vor allem ein effektives Werkzeug für die Armen und Machtlosen, weil sie für sich selbst die Aktionen bestimmen, mit denen umgehen, die ihre Community zerstören und ihre Machtlosigkeit verursachen (Robert Linthicum).
Organizing baut eine permanente Basis für die Macht der Leute auf, so dass die dominierende finanzielle und institutionelle Macht herausgefordert und verantwortlich gehalten werden kann für die Werte der größeren sozialen, umweltbezogenen und ökonomischen Gerechtigkeit. Und, es transformiert Individuen und Communities, indem sie sich wechselseitig mehr zu Mitgestaltern des öffentlichen Lebens als zu passiven Objekten von Entscheidungen anderer machen (Mike Miller).

Stoecker grenzt CO gegenüber den verwandten Ansätzen des Advocacy, des Community Develöeopment und des Service Delivery ab, wobei er aber auch anerkennt, dass es viele Überschneidungen und Entwicklungen von einer zur anderen Form gibt 9:

     

    Wer entscheidet?

    Welche Ziele?

    Mit oder für?

    Konflikt oder Kooperation?

    Anwaltschaft

    Professionelle

    Regeln verändern

    Für

    Konflikt

    Dienstleistung

    Professionelle

    Leiden verringern

    Für

    Kooperation

    Entwicklung (Development)

    Professionelle und die Leute

    Raum verändern

    Weder-noch oder beides

    Kooperation

    Organizing

    Die Leute

    Macht bilden

    Mit

    Konflikt

Zu nennen wären aus dem Umfeld des CO auch das Community Self-Management 10, die sich nach wie vor sich entwickelnden Settlement-Houses und die Social Movements. Kingsley, Mc Neely und Gibson sehen im Community Building einen komplexen Arbeitsansatz, in dem die verschiedenen Richtungen konvergieren können. 12

CO, das können (lt. Toolbox) sein:

  • Gruppen vor Ort, die sich in ihrer Nachbarschaft organisieren und lokale Themen anpacken

  • Lokale Organisationen von Gemeinden, Arbeitnehmergruppen usw.

  • Lokale Netzwerke und Koalitionen

  • Regionale und US-weite oder auch übernationale Organisationen und Netzwerke.

Da unter CO sowohl sehr kleine Gruppen, die sich selbst organisieren, wie auch Großorganisationen wie ACORN mit über 120.000 Mitgliedern gefasst werden können, ist eine Zahl der CO`s in Amerika nicht zu fixieren.

Die Toolbox schreibt dazu:

    Es gibt wohl 6000 CO´s in den USA mit irgendeiner Form des CO. Die meisten sind in den letzten 25 Jahren gebildet. Eine viel kleinere, aber schnell wachsende Zahl von Gruppen, nicht mehr als einige Hundert, kann wirklich als CO Gruppe mit allen Bestandteilen kategorisiert werden.. Außerdem gibt es etwa zwei Dutzend oder mehr intermediäre Gruppen auf regionalem und nationalem Level, die eine wichtige Rolle im Training von Community Organizern und Community Leadern spielen, und die technische Assistenz und andere Dienste bereitstellen, um CO zu stärken.

Eine Annäherung an mögliche Größenordnungen findet man, wenn man auf die Mitgliedschaft der National Organizers Alliance (NOA) 13 sieht: Organizer haben eine Berufsorganisation, die 1000 zahlende Mitglieder hat; ihr angegliedert sind 5000 Personen aus dem Feld des CO, die über 2000 Organisationen repräsentieren.
Eine recht präzise Untersuchung gibt es über das Faith-Based-Community Organizing 14. Dort werden landesweit 130 Organisationen gezählt, die zum Zeitpunkt der Untersuchung aktiv sind, den Grundsätzen des CO entsprechen und hauptamtliche Organizer beschäftigt haben. FBCO hat als aktive Basis ungefähr 100.000 Menschen, die zumindest an einer öffentlichen Aktion innerhalb von 18 Monaten teilgenommen haben 15, fast ebenso viele, wie ACORN als Mitglieder angibt.
Sicherlich ist es vermessen, wenn ich von diesen Zahlen hochrechne, aber vielleicht ist es ja doch eine Annäherung, wenn ich von 100.000 Menschen ausgehe, die über FBCO in CO aktiv involviert sind, einer ähnlichen Anzahl bei ACORN und vielleicht noch einmal einer gleich großen Menge außerhalb dieser beiden Blöcke. Das wären dann 300.000 Menschen in den USA.

Sehr unterschiedlich ist CO in den regionalen Kulturen der USA verankert, es unterscheidet sich von Ort zu Ort, von Bundesstaat zu Bundesstaat, von Land zu Land. Angie Newsome, eine achtundzwanzigjährige arbeitslose Organizerin, lebt in North Carolina.

Ich war vor kurzem in Chicago und da gab es eine Wand zum Organizing in der Öffentlichen Bücherei. Ich war platt: Organizing ist dort öffentlich, nicht etwas, was im Hinterzimmer oder im Untergrund passiert. Es war toll zu wissen, dass es nicht überall so ist wie in North Carolina. ...Unsere Communties haben keine positive Erinnerung oder Kultur des Organizing. 16

Die Untersuchung zum FBCO kommt zu dem Ergebnis, dass in sechs Staaten der USA die Hälfte aller FBCO´s zu finden ist.
Noch deutlicher werden die Unterschiede zwischen den verschiedenen Staaten, wie etwa Canada und den USA, die zwar ihre Vergangenheit als britische Kolonien teilen, aber aufgrund der amerikanischen Revolution ein ganz unterschiedliches Verhältnis zwischen BürgerInnen und Staat aufweisen 17.


COMM-ORG: Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis 18

COMM-ORG ist eine Online- Konferenz zu Community Organizing und Development, zu der jeder Mensch Zugang hat. Auch in die damit verbundene e-mail- Liste ist die Einschreibung ohne Begründung möglich.
COMM-ORG ist 1994 als Online- Seminar in Chicago entstanden und wird jetzt von Randy Stoecker, einem Soziologie-Professor an der Universität Toledo in der Nähe von Detroit geleitet.
Die Konferenz will Leute aus der Praxis und Wissenschaft zusammenbringen, die sich für Community Organizing interessieren und beruht auf dem Glauben, dass das Internet ein Platz für offene und kostenfreie Kommunikation bleiben soll.
Die technische Basis beruht ebenfalls auf frei zugänglicher, kostenloser Software und ist bewusst einfach gehalten, ohne bunte Farben, Bilder, Animationen, auf den Text orientiert und mit möglichst geringen Ressourcen erreichbar.

  • COMM-ORG umfasst eine Sammlung von zum Teil umfangreichen Original- Papieren und schwer zu findenden Reprints. Die Themen sind ebenso vielfältig wie die Autoren, wobei Männer überwiegen und ebenso Leute aus der Wissenschaft.

  • Einen zweiten Block bilden Skripte für Vorlesungen und Seminare zu CO, die ausgesprochen sorgfältig und ausführlich Angebote und Anforderungen beschreiben. Es ist leicht möglich, Seminarplanungen bis zu Details von Vorbereitungspapieren, Arbeitsaufgaben und didaktischen Arrangements nachzuvollziehen.

  • Vielfältige Quellen für CO und Community Delvelopment werden aufgeführt: Links zu Trainings- Instituten und teilweise vollständig online verfügbarem Trainingsmaterial, CO-Dachorganisationen, Organisationen der Demokratieentwicklung, Forschungsinstituten sowie internationalen Quellen. Auffallend ist, dass es keine Verbindung zu deutschen Seiten gibt.

  • Besonders lebendig gehalten wird COMM-ORG durch eine von Stoecker moderierte e-mail- Diskussion mit über 850 Leuten aus mehr als einem Duzend Nationen. Es gibt kaum einen Tag (oder besser eine Nacht) in der nicht zwei, drei Mails eingehen, Job- Angebote für Organizer, Veranstaltungshinweise, Berichte aus CO-Organisationen und sich oft aufeinander beziehende Diskussionsbeiträge.

  • Mit einer integrierten Suchmaschine findet man Einträge sowohl in den Papieren als auch in den Mails der letzten Jahre. Zum Suchwort "Germany" findet man nur sehr wenig, zu Alinsky gibt es über 160 Hinweise auf spezifische Beiträge.

COMM-ORG lebt wesentlich von der Kompetenz des Moderators, seinem "Commitment" gegenüber dieser Arbeit und seiner Unermüdlichkeit.
Viele Web-Seiten des CO ist von Organisationen herausgegeben, die verständlicherweise ein positives Selbstbild vermitteln möchten. Mit COMM-ORG werden auch Quellen der kritischen und weiter führenden Diskussion erschlossen.
Für mich ist COMM-ORT zudem Tor auch für Menschen diesseits des Ozeans zu einem "anderen Amerika" weitab vom Mainstream der amerikanischen Selbstdarstellung. Die Konferenz bildet selbst so etwas wie eine Community 19, eine Meta- Ebene gegenüber den einzelnen und oft konkurrierenden Organisationen des CO, wo der dringend notwendige Austausch unter Aktiven in Wissenschaft und Praxis ermöglicht wird.
Meine Vision ist, dass wir im Zusammenhang mit dem Forum für Community Organizing auch hier eine so lebendige Online-Konferenz schaffen und wachsen lassen.


Citizen´s Handbook: Do-it-Yourself Organizing 20

Soweit wir wissen,

schreiben die Autoren aus Vancouver,

ist dies der vollständigste Führer zum Organizing, der im Internet verfügbar ist.

Das Citizen´s Handbook, das sicherlich nicht zufällig in Canada entstanden ist, wo es weniger professionell angeleitetes CO gibt als in vielen Staaten der USA, wird auch von vielen US- Seiten, wie z.B. von COMM-ORG oder von der zur US-Regierung gehörenden Seite www.hud.gov empfohlen.
Das Handbuch wird von einem Bürgerkomitee aus Vancouver herausgegeben, laufend aktualisiert, ist über das Internet vollständig verfügbar und als Druckversion für Frühjahr 2002 geplant.
Die einzelnen Kapitel sind jeweils sehr knapp gehalten, oft nur 1-2 Seiten, gut, auch für Deutsche mit begrenzten Englisch-Sprachkenntnissen, lesbar und sehr klar formuliert.

  • Im ersten Teil werden Hinweise und Anleitungen für die einzelnen Schritte des CO gegeben.

  • Es folgen Beispiele für Aktionen für die Entwicklung einer Community. Dabei werden teilweise relativ "schlichte" Projekte genannt: Kooperationen zum Aufpassen auf Kinder, Gärten und Küchen der Community, block watch- das Beobachten und wechselseitige Sicherung des Wohnblocks, Partys, Feste, Reinigungsaktionen und Aktivitäten zwischen den verschiedenen Generationen. Daneben geht es um das Organisieren zu brennenden Themen (hot issues).

  • Eine "Citizens Library" kommentiert Bücher und fügt als Information und Anstoß zur Diskussion vollständige Texte zur Demokratieentwicklung und Community Organizing hinzu.

  • Schließlich werden spezifisch auf Vancouver bezogene Seiten wie Adressen, Hinweise und Forschungsmaterialien aufgeführt. Dabei wird auch deutlich gemacht, dass Bürgerbeteiligung weitgehend gegen die Offiziellen der Stadt in Gang gesetzt werden muss, weil diese die Bürger vorwiegend als Klienten, die man bedienen, oder als Plagen, die man managen müsse, verstehen.

Von zentraler Bedeutung ist für mich der erste Teil, die konkrete Darstellung der Schritte des Organizing und der Momente, die dabei zu beachten sind. Themen sind dabei vor allem:

  • Einführung in das Graswurzel - Organizing

  • Beginnen

  • Erforschen

  • Planen und Aktionen durchführen

  • Bekannt werden

  • Leute gewinnen

  • Leute halten

  • Führen

  • Versammlungen und Entscheidungen treffen

  • Über die Gruppenstruktur

Beispielhaft sollen knappe Auszüge aus den Kapiteln folgen:

Einführung in das Graswurzel - Organizing
Dies ist ein do-it-yourself Führer für Graswurzel- Organizing:
Wie bringt man Leute zusammen, die gemeinsam in einem Haus oder einer Nachbarschaft leben.? Vor dem do-it-yourself steht dabei das learn-it-yourself, weil in Canada oft keine vollständigen Trainings-Programme angeboten werden. Unser Glaube an den Staat hat die Entscheidungen über unsere Communities in die Hände der Politiker und Professionellen gegeben.
Ein bezahlter, erfahrener Organizer kann helfen, wenn es darum geht, die Leute schnell zusammen zu bringen oder Leute zu involvieren, die normalerweise zu Hause bleiben.

Über den Anfang
Wo beginnst Du, wenn du mehr in deine Nachbarschaft involviert sein willst? Optionen sind z.B.:

  • Beginne mit dem Erforschen
    Obwohl Professionelle oft mit der Forschung beginnen, musst Du nicht damit anfangen. Andererseits ist es sicher klug, mit Forschung anzufangen, wenn du ein Thema in Angriff nehmen willst, das Du nicht ganz verstehst.

  • Oder : Fang an mit einer Aktivität zur Bildung der Community
    Im Handbuch sind viele informelle Gelegenheiten dargestellt, sich zu treffen. Die üblichsten Aktivitäten in Vancouver sind das Organizing an einem brennenden Thema (Organizing Around a Hot Issue) und Block Watch, das wechselseitige Aufpassen in einem Wohnblock.

  • Fang an, in dem Du dich einer existierenden Gruppe anschließt.
    Die meisten Nachbarschaften haben sehr differenzierte Arten von Organisationen. Sich mit einer davon zu verbinden, kann ein einfacher Weg sein, involviert zu werden. Fang an, indem du die Community Gruppen, die von der Stadtverwaltung aufgelistet werden, durchsiehst.

  • Fang an, indem du eine neue Gruppe bildest.
    Dafür solltest Du einen Kern von drei bis fünf Leuten zusammen bringen. Dann überlegt: Was versuchen wir zu tun? Was für ein Gebiet wollen wir organisieren (je kleiner, desto leichter)?, Wer kann unsere Bemühungen unterstützen? Was ist eine gute Idee für eine erste Aktion (einfach, auf ein lokales Anliegen bezogen, und: es soll die Sichtbarkeit der Gruppe erhöhen)? Wie erreichen wir andere Leute? Sollen wir ein Treffen organisieren und die Nachbarschaft einladen?

Führungspersonen
Gute Führungspersonen (leader) sind der Schlüssel zum Community Organizing. Sie sagen nicht den anderen, was sie tun sollen, sondern sie helfen anderen eine Sache in die Hand zu nehmen. Sie stellen sich nicht ins Rampenlicht, sondern stupsen andere auf die Rampe, Sie sind nicht interessiert daran, die "Führer" zu sein, sondern sind daran interessiert, mehr Leader zu kreieren.

  • Stelle realistische Erwartungen auf; nichts ermutigt eine Gruppe mehr mit erreichbare Erfolge. Der geschickte Leader steuert die Gruppe zu Dingen, die leicht erreicht werden können

  • Teile die Arbeit auf und delegiere sie und hab jemanden, der den Fortschritt prüft. Leute fühlen sich nicht gut bei einem Job, wenn niemand sich darum kümmert, ob es klappt..

  • Zeige Anerkennung für die Arbeit, die gut getan ist.

  • Begrüße Kritik : Kritik zu akzeptieren mag schwierig sein für manche Leader, aber die Mitglieder müssen fühlen können, dass sie kritisch sein können, ohne attackiert zu werden.

  • Überzeuge andere, dass sie führen können: Mach die Praxis des Führens transparent, lade andere ein zu führen. Versuch nicht, alles selbst zu machen. Andere werden dann weniger involviert und du wirst ausbrennen.

Viele wollen etwas bewegen, Menschen zusammen bringen, ohne dass es gleich ein Großvorhaben ist; vielleicht liegt es ihnen auch nicht, mit Bischöfen über Geld zu verhandeln, und sie wollen trotzdem anfangen. Anders: ihnen ist das Fahrrad des Organizing handhabbarer als der Mercedes.
Für manche mag das Buch zu einfach geschrieben zu sein, Kooperation zu sehr betont gegenüber dem Konflikt , vielleicht ist keine eindeutige sozialpolitische Stoßrichtung zu erkennen. Aber: es gibt in einer Kultur, in der Organizing nicht alltäglich ist, einen Blick für das, was möglich und was notwendig ist, um nicht nur einzelne Aktionen durchzuführen, sondern eine handlungsfähige Organisation aufzubauen.
Deutlich wird in diesem Buch, anders als in mancher deutschen Methodenliteratur zur Bürgeraktivierung, dass es nicht um einzelne ausgefeilte Techniken von Open Space über MetaPlan bis zur Zukunftskonferenz geht, sondern um den grundlegenden Prozess, wie BürgerInnen handlungsmächtige soziale Beziehungen aufbauen und sich selbst organisieren. Ein solches Buch kann m.E. in Veranstaltungen mit den konkreten Erfahrungen der Teilnehmenden verknüpft werden. Vielleicht schmilzt der Kern der Bürgergruppe dann nicht, bis die wenigen Aktiven ausgebrannt sind; und vielleicht unterstützt solch eine Anleitung BürgerInnen , die Verantwortung für die Entwicklung von selbsttätigen Organisationen zu übernehmen.
Für Deutschland würde ich mir ein vergleichbares Buch wünschen, vielleicht fangen wir einmal mit einer Adaption des Citizen´s Handbook an.


Professionelles Organizing auf der Basis von Religionen-
eine Untersuchung zum "Faith Based Community Organizing" (FBCO) 21

Warren und Wood haben alle lokalen, "faith-based", also Religions-basierten CO untersucht, von denen die Autoren wußten und die 1999 in den USA aktiv waren.
Als Kennzeichen des FBCO, die zur Auswahl der befragten Organisationen herangezogen wurden, werden genannt:

  • Faith-based: Die Mitgliedschaft besteht hauptsächlich aus religiösen Institutionen wie Gemeinden. Die Gruppen arbeiten daran, ihr Organizing in den Werten und Traditionen der jeweiligen Religion zu verankern.

  • Broad-based: FBCO streben an, so inclusiv wie möglich für die Diversität der Community zu sein; typischerweise sind sie interreligiös, viele schließen Schulen, Gewerkschaften, Nachbarschaftsgruppen u.a. ein. Leader in der Community sollen quer zu den Grenzen von Rassen, Einkommen und Geschlecht zusammen kommen.

  • Die Gruppen sind lokal konstituiert, das Organizing geht von großen Nachbarschaften bis zu ganzen Stadtregionen. Auch wenn die Gruppen verbunden sind mit nationalen und regionalen Netzwerken, so bleibt die Betonung doch auf lokalem Organizing.

  • Multi-issue: Die Organisationen beziehen sich explizit auf unterschiedliche Themen. Ihr Ziel ist es, lokale Leader zu trainieren, wie sie effektiv drängende Themen in Angriff nehmen können.

  • Sie haben professionelle Organizer angestellt, deren Hauptverantwortung darin liegt, lokale Leader zu rekrutieren und zu trainieren.

  • Relational Organizing: Organizing geschieht durch Bildung von Beziehungen; so lernen die Menschen, wie sie Beziehungen innerhalb und quer zu den Institutionen als Basis für öffentliche Aktionen aufbauen können 22.
  • Sie sind politisch, aber nicht an Parteien gebunden. Sie suchen Macht in der öffentlichen Arena zu bilden, basierend auf der Stärke der Beziehungen und der Mitgliedsorganisationen. In der Regel sind sie als gemeinnützige Organisationen (nach amerikanischem Recht) eingetragen. 23

Nicht alle diese Merkmale treffen auf alle befragten Organisationen zu. Ausgewählt wurde nach dem formalen Status (beschäftigter Organizer, noch aktiv).
133 Organisationen wurden von den Autoren der Untersuchung gefunden, von den vorgelegten Fragebögen wurden 100 beantwortet, in der Regel durch die Haed- Organizer; anschließend wurde ein Teil von ihnen vertiefend interviewt.

Den zugrundeliegenden üblichen Aufbau der Organisation habe ich so verstanden:
Mitglieder sind nicht Einzelpersonen, sondern mehrere Gemeinden und zum Teil auch nicht-religiöse Institutionen. Diese Organisation stellt einen oder mehrere Organizer an, die Organisation-, Trainings- und Beratungsfunktion haben. Die Organisation wird von einem Vorstand (Board) geleitet, der sich in der Regel aus Vertretern der tragenden Mitgliedsorganisationen zusammensetzen wird. Führungspersonen (Leader) bilden die Brücke zwischen der Organisation und den Mitgliedern der einzelnen Gemeinden usw. Hier muss es keine formale Festlegung geben, wer Leader ist und wer nicht; Mitglieder der Boards können sicherlich auch Leader sein. Die Mitglieder der Gemeinden und nicht- religiösen Institutionen nehmen an dem Leben ihrer eigenen Mitgliedsorganisation teil und an einzelnen Aktionen der Community Organisation, wie z.B. Versammlungen, Befragungen, Unterschriftenlisten.
Die Organisation selbst kann wiederum lokalen oder überregionalen Netzwerken angehören. Die Zugehörigkeit zu einem der großen Netzwerke wie IAF bedeutet nicht, dass z.B. IAF in die Arbeit der einzelnen Organisation hinein regiert, sondern dass IAF (durch Vertrag) definierte Unterstützung leistet.

Die Ergebnisse der Untersuchung sollen hier knapp zusammen gefasst werden:

    Organisationen

    • 133 lokale Organisationen sind in 33 Staaten der USA aktiv, die Hälfte aller Organisationen in den sechs Staaten Kalifornien, Texas, New York , Florida, Illinois und Ohio.

    • Die Organisationen haben insgesamt 4000 Mitgliedsorganisationen, davon 87% religiöse Organisationen, 13 % Gewerkschaften 24, Schulen sowie andere Community Organisationen.

    • Zwischen 1 und 1,5 % aller religiösen Organisationen sind am CO beteiligt 25.

    Organizer, Leader und Basis

  • 460 professionelle Organizer

  • 2700 Menschen in den Vorständen, davon ca. ¼ Geistliche

  • 24.000 Leader,

  • 100 000 Leute waren innerhalb von 18 Monaten wenigstens bei einer öffentlichen Aktion beteiligt.

  • 1-3 Mio. Menschen werden als Mitglieder der Gemeinden usw. durch FBCO erreicht.

    religiöse Mitgliedsgemeinschaften

  • 33% Katholiken,

  • 33% liberale und gemäßigte protestantische Denominationen

  • 16 %Baptisten, in der Regel Schwarze

  • Rest: weitere religiöse Gemeinschaften

  • wenige jüdische, buddhistische, muslimische Gemeinschaften

    Beteiligung von nicht-gemeindliche Institutionen

  • Mehr als ½ (57%) der Organisationen haben nicht-gemeindliche Institutionen als Mitglieder.

  • 13% aller Mitgliedsorganisationen sind nicht-gemeindliche Institutionen, davon

  • 42 % Schulen

  • 15 % Gewerkschaften

  • 7% Nachbarschaftsorganisationen

  • 36% verschiedenste CO

    Infrastruktur der Organizer

  • Meistens sind ein bis zwei Organizer angestellt, einige Organisationen haben bis zu acht Organizer;

  • ½ sind Weiße, 29% Schwarze, 16% Hispanics;

  • 56% sind Männer, bei den Haed-Organizern mehr als 80%;

  • In der Tendenz werden es mehr Farbige und mehr Frauen.

    Finanzielle Basis

  • Medianwert (jeweils ½ der Organisationen haben weniger/ mehr) 150.000 $ / Jahr

  • Mitgliedschaftsbeiträge 22%

  • Catholic Campaign for Human Development 19%

  • Andere religiöse Geldgeber 12 %

  • Private Stiftungen 30%

  • Lokal 5 %

    Netzwerke

  • Ein Teil des FBCO ist in die vier großen Netzwerke eingebunden, die etwa 1600 Leader pro Jahr auf nationaler Ebene in mehrtägigen Trainings trainieren.

  • Industrial Areas Foundation (IAF),

  • Pacific Institute for Community Organization (PICO)

  • Gamaliel Foundation,

  • Direct Action and Research Training Center (DART)

Wie sieht es nach dieser Untersuchung mit dem Anspruch des "broad based" aus?
Religiöse Gemeinden sind eine herausragende Basis für lokale Organisation. Deutlich wird eine Dominanz von katholischen und evangelischen Organisationen. Dabei ist in Bezug auf die evangelischen Gemeinden angesichts der fragmentierten Struktur der Gemeindelandschaft bereits deren Zusammenarbeit ein Erfolg des "broad based" Ansatzes. Allerdings ist insgesamt nur der kleine Teil der Gemeinden in das CO involviert, der für sich eine spezifische Aufgabe in der Veränderung der Gesellschaft sieht, wobei dies durchaus mit einem "Wertkonservatismus" etwa in Bezug auf die Bedeutung der "Familie" verbunden sein kann.
Verankert ist das CO auch z.T. im jüdischen Bereich, allerdings mehr bei den Organizern als den Gemeinden selbst. Kaum gelungen ist die Einbeziehung von moslemischen, buddhistischen und anderen nicht-christlichen Organisationen; zu Recht ist deshalb z.B. United Power for Action and Justice in Chicago stolz auf seine Diversität.
Die Zusammenarbeit zwischen sehr unterschiedlich geprägten religiösen sowie nicht durch religiöse Vorstellungen geprägten Institutionen macht den Dialog zwischen den Organisationen und ihren Mitgliedern zu einer zentralen Aufgabe und dürfte mit ein wesentlicher Grund sein dafür, dass es zwar gemeinsame Orientierungen (z.B. Demokratie wirksam machen, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit) gibt, nicht aber ein "Programm", eine "Plattform" für alle.
Innerhalb der Organisationen sind zwar nur ¼ der Vorstandmitglieder Geistliche, aber mir erscheint es als plausibel, dass diese gegenüber kirchlich gebundenen Laien durchaus eine zentrale Bedeutung haben. Denn zu vermuten ist, dass diese Laien ebenfalls sehr mit der religiösen Organisation verbunden sind, wie bei uns die Kirchenvorstandsmitglieder. Die "native leader", die informellen Führungspersonen, die Alinsky angesprochen hat, werden dabei nicht unbedingt erreicht.


IAF 26: professionelles Netzwerk für Organisationen des CO

Die Arbeit des IAF und seiner Organisationen ist bereits bei Mohrlok dargestellt; es sollen hier nur einige Elemente hervorgehoben werden, wie sie von Thomas Lenz in der Entwicklungsgeschichte von United Power 27 aufführt wird.

Das Großereignis
Auf den Internetseiten wie im Film "The Democratic Promise" wird immer wieder eine Versammlung in Chicago am 19. Oktober 1997 gezeigt:

Über 10.000 Leute von 320 verschiedenen Institutionen kamen, um die Gründung einer neuen Organisation, "United Power for Action and Justice" öffentlich zu machen.
Schwarze, Weisse, Latinos, Asiaten. Juden, Christen und Moslems, Gewerkschaftsmitglieder, Nachbarschaftsentwickler, Führer von Gesundheitszentren. Stadtbewohner und Vorstädter kamen zusammen ohne ein spezifisches Programm.

Die Schritte
Tom Lenz beschreibt die Schritte auf dem Weg zu diesem Großereignis

  • Die Initiative eines katholischen Kardinals (Cardinal Bernardin);

  • 12.000 individuelle unmittelbare (face-to-face) Treffen;

  • Sponsorenkomittee, (christliche Kirchen jüdische Organisationen, islamische Institutionen, drei Gewerkschaften);

  • Sponsoren sammeln 2,5 Mio. $ von ihren Institutionen und

  • "mieten" IAF, damit diese die neue Bürgergruppe organisiert.

  • 1998 HAT United Power 212 Mitglieder und eine jährliche Beitragsbasis von 500.000$.

  • Anschließend arbeiten örtliche Community Organisationen an bestimmten Themen. Beschrieben wird eine Aktion der North Lakefront Assembly (LAC), in dem sie die Opposition gegen ein Haus für mißhandelte Frauen überwindet. 28

Lenz erwähnt Kritiker, die das Gefühl gehabt hätten, die neue Organisation würde zu breit oder zu sehr an die Mittelklasse gebunden sein, so dass diese zu ihren eigenen Gunsten die Bedürfnisse der Armen übersehen würde.
In einer Selbstdarstellung von IAF 29 wird die Praxis so beschrieben:

  • Das Herz unserer Arbeit ist das Individual Meeting. Dies ist ein zielgerichtetes Gespräch mit einer anderen Person, das in das Zentrum der Geschichte und des Interesses beider Personen geht. Das individuelle Treffen wächst zu einem Haustreffen.

  • Research Actions entwickeln sich zu Verhandlungen oder Aktionen.

  • Wir reflektieren die Aktionen gründlich, um möglichst viel zu lernen.

  • Professionelle Organizer sind vor allem Lehrer, die der Gemeinschaft der Führungspersonen helfen, effektive Strategien zu entwickeln.

  • Führungspersonen und Organizer gehen durch einen Trainingsprozess von lokalen, regionalen und nationalen Stufen.

"Bigger is better" überschreibt Robert McClory seinen Bericht über die gegenwärtige IAF unter Ed Chambers, in dem er die Gründung von United Power beschreibt. Nach Chambers müsse das herkömmliche CO entwickelt werden zu etwas Größerem und Potenterem.
Zur Bedeutung Chambers zitiert McClory William Droel:

Die IAF unter Chambers hat für Alinsky das getan, was der Hl. Paulus für Jesus getan hat. Sie hat Alinskys provokative Ideen und exzentrische Persönlichkeit genommen und sie modifiziert, sie verbessert und einen höchst reflektiven Stil des Aktivismus institutionalisiert. 30 :

Chambers betont in einem Zitat bei McCloy, dass sich die Arbeit seit Alinsky fortentwickelt hat. So wird auf langfristige Organisation Wert gelegt und es werden große, landesweite Themen angegangen.
Vielleicht kann der Jesus- Paulus- Vergleich aber auch auf Probleme hinweisen:
Die informellen Führungspersonen, auf die Alinsky setzte, spielen nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Organizer, die oft Akademiker sind, manchmal abgebrochene Priesterschüler usw., reden dann überwiegend mit Leuten aus ihrem eigenen Milieu, etwas, wovor Alinsky warnte. Hinzu kommt, dass das Geld eine herausragende Rolle spielt; faktisch muss man sich, zumindest bei dem Sponsoring -Komitee an die halten, die über Geld verfügen. Auch wenn Chambers darauf beharrt, dass man jetzt nicht etwa vor der Konfrontation zurück schrecke, so ist doch, z.B. in der "Toolbox" für potentielle Geldgeber zu spüren, dass CO weniger kämpferisch als früher sein soll.
Dabei ist für mich die Kernfrage nicht die nach Konflikt oder Kooperation, sondern danach, ob die "einfachen Mitglieder" von Religionsgemeinschaften und erst recht die, die sich nichts von Priestern sagen lassen möchten, mit diesem Modell erreicht und zu eigenem Handeln ermutigt werden.


ACORN 31: Nationales Programm und lokale Themen

Eine deutlich andere politische Kultur als das broad-based Organizing bildet das auf Einzelmitgliedschaften basierte Organizing des CO.
ACORN sieht sich als größte CO von Familien mit kleinem und geringem Einkommen mit mehr als 120.000 Mitgliedsfamilien, die in 600 Nachbarschaftsabteilungen in 45 Städten quer durchs Land organisiert sind.
Auf der Titelseite von www.acorn.org ist der Aufmacher ein Foto von einer Aktion am 5. März 2002, wo 500 ACORN -Mitglieder an einer Versammlung vor dem Gesundheitsministerium teilgenommen haben, um sich gegen einen Plan von Bush zu wenden. Einen Tag später, so heißt es dabei, hat Bush Verbesserungen im Plan angekündigt.
Die Darstellung von Erfolgen ist für ACORN notwendig, denn ACORN existiert wesentlich von den Mitgliedsbeiträgen der einzelnen Familien.

    Wir glauben, dass die soziale Veränderung von unten nach oben kommt. Unsere Organizer sind jeden Tag auf den Straßen, klopfen an die Tür und gewinnen neue Mitglieder.

Prioritäten sind für ACORN

  • besseres Wohnen für Leute, die zum ersten Mal ein Haus kaufen, und für Mieter,

  • Living Wages , d.h. Löhne, von denen man leben kann, für Leute, die wenig verdienen

  • mehr Investitionen in unsere Communities von den Banken und Regierungen und

  • bessere öffentliche Schulen.

  • Diese Ziele werden dadurch erreicht, dass CO´s geschaffen werden, die die Macht haben, Änderungen zu gewinnen durch

  • direkte Aktionen,

  • Verhandlungen,

  • Gesetzgebung und

  • Wahlbeteiligung.

Eingeschlossen werden aber auch Taktiken der Konfrontation wie Streiks, Sit-Ins, Besetzungen und dazu gehöre auch "sometimes go to jail".
Wer die Monatsberichte von ACORN, die regelmäßig über COMM-ORG verbreitet werden, ansieht, erkennt zwei Stränge der Aktivitäten: Aktionen nach dem Muster des klassischen CO an den jeweils lokal gefundenen Themen sowie Kampagnen zu den oben genannten wiederkehrenden Themen. Anders als etwa die FBCO hat ACORN ein klares Programm, eine "People´s Platform" 32.
Darin knüpft ACORN an die Sprache der amerikanischen Revolution an:

    Wir bringen nicht eine Petition "mit dem Hut in der Hand" vor, sondern erheben uns als ein Volk und fordern ein.
    Genug ist genug.
    Wie wollen nicht länger an der Tür von Amerika warten auf die Krumen .Wir wollen nicht verkümmern an vergangenen Versprechen, sondern uns gütlich tun an den kommenden Träumen.
    Das ist nicht nur eine simple Vision, sondern ein detaillierter Plan.

Dieser Plan wird ausgebreitet in verschiedenen Feldern: Energie, Bildung, Gesundheit, Wohnen, Arbeit, Landwirtschaft, Stadt- und Stadtteilentwicklung, Öffentliche Dienste, Schulen, Steuerreform, Sicherheit, Reform der Verfolgung und Prävention von Vergewaltigungen, Drogenpolitik, Sicherung der Bürgerrechte, Mehr Demokratie.
Bezogen auf die verschiedenen innenpolitischen Felder sieht diese People´s Platform durchaus aus wie ein beachtliches Grundsatz- und Parteiprogramm einer progressiven Partei, die im linken Spektrum angesiedelt ist.
Und in der Tat ist ACORN zum einen verbündet mit der New Party und nimmt zum anderen an Wahlkampagnen teil:

    Während andere CO´s noch daran glauben, dass man beim Wahltag am Rand sitzen sollte, ist ACORN den Weg zur Regiestierung von Wählern, Mobilisierung von Mitgliedern und Bewerbung für Wahlen gegangen..
    Zunehmend bewerben sich ACORN – Leute auch für öffentliche Ämter.

Aber neben der unmittelbaren Organisation der Menschen gibt es auch die ACORN Housing Corporation 33, die an einem Bundesprogramm teilnimmt und Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen den Bau und die Renovierung von verlassenen Häusern ermöglicht. Mithilfe von Eigenarbeit können Familien die Häuser kaufen, während das Land in dem Eigentum von ACORN verbleibt. Auf diesem Weg, so ACORN, sind in knapp 20 Jahren 25000 Hauseigentümer geworden.
Im Spektrum des CO hat ACORN m.E. die größte Nähe zu den Parteien. Ähnlich wie die Grünen in ihrer Entstehungszeit versuchen sie eine programmatische Verbindung zwischen sozialen Aspekten, Bürgerrechtsfragen und Umweltthemen. Ähnlich wie diese versuchen sie auch den außerparlamentarischen Weg zunehmend mit dem parlamentarischen zu verbinden, z.B. durch die Teilnahme bei Wahlen und Aufstellung von Kandidaten, wobei das Wahlrecht in den USA eine direkte parlamentarische Vertretung einer dritten Partei praktisch nicht ermöglicht.
Ein chilenischer Organizer von ACORN 1998 auf meine Frage, ob es auch in Chile CO gäbe:

Nein, das ist dort nicht notwendig, da gibt es ja eine starke sozialistische Partei.

Ein klarer Unterschied zu den Parteien ist, dass ACORN über das Prinzip des "member-based" eine unmittelbare Aktivierung von Leuten mit niedrigem Einkommen anstrebt und, um zu überleben, erreichen muss. Dies führt auch dazu, dass ACORN so etwas wie nützliche Dienstleistungen anbietet, die den Mitgliedern deutlich macht, dass sie etwas Konkretes davon haben, Mitglieder zu werden: Leichteren Zugang zu den von ACORN ausgehandelten Jobs, Möglichkeiten ein Haus zu erwerben.


ABCD: die Community von Innen nach Außen entwickeln 34

Asset-Based Community Development (ABCD) ist so etwas wie eine Bewegung für die Entwicklung von Communities auf der Grundlage der Fähigkeiten und Talente, die in ihr vorhanden sind. Ausgangspunkt ist die Arbeit von John Kretzmann und John McKnight an der Northwestern University in Chicago, die sich zunächst 1993 in dem Buch "Building Communities from Inside Out" nieder geschlagen hat.
Dies Buch ist als "Basis Manual" Grundlage für die Community Development Aktivitäten in etwa 200 Projekten und mehreren Ländern geworden und es ist die Grundlage für das ABCD-Institut. Dieses unterstützt zum einen Community Builder durch 32 trainierte Führungspersonen aus Stiftungen, Community- Gruppen, Kirchen, Universitäten usw., die mit den Gruppen interagieren- auch durch Mailing- Austausch- und entwickelt zum anderen praktische Ressourcen, z.B. Werkhefte und Videos, um Ressourcen in der Nachbarschaft heraus zu finden, ihnen Nahrung zu geben und sie zu mobilisieren.
Anders als bei ACORN und dem FBCO wird in der Community nicht zwischen Leadern und den anderen Menschen in der Community unterschieden, sondern die Einzelnen und informellen wie formellen Gruppen der Nachbarschaft werden unmittelbar angesprochen auf ihre Ressourcen und die Möglichkeit der Verknüpfung dieser Ressourcen. Gerade den "Strangers" in der Community, den Außenseitern, Behinderten, Schwachen, Alten und Jungen, gilt die besondere Aufmerksamkeit.

Fünf Elemente kennzeichnen das Modell:

  • Erforscht werden die "Success-Stories", die gelungenen Ansätze, die Stärken der Community zu mobilisieren.

  • Verändert wird die "Landkarte im Kopf" durch den Blick auf die Stärken statt die Fixierung auf Probleme.

  • Methodisch eruiert und miteinander in Verbindung gebracht werden die Potenziale der Einzelnen, der Gruppen und der Institutionen.

  • Gearbeitet wird mit den Stärken der Schwachen, statt dass zwischen Schwachen und Starken sortiert wird.

  • Die Entwicklung geht immer von Innen nach Außen, nicht umgelehrt. Das bedeutet keine Absage an Unterstützung von außen, aber diese geschieht auf der Grundlage einer selbstbewussten Position der Community.

Die Ebene der Verständigung zwischen den Anhängern des Modells wird vielleicht deutlich, wenn ich eine Diskussion skizziere, die über die Mailing- Liste erfolgt ist. Die Präsidentin einer Nachbarschaftsorganisation schreibt:

    Wir überlegen einen Check des möglichen kriminellen Hintergrunds, wenn ein Volunteer eine Vorstandsposition bekommen soll. Ich suche nach Beispielen für eine solche Überprüfung.

Nach verschiedenen Antworten kommt eine sehr dezidierte Stellungnahme:

    Wir sind darauf ausgerichtet, die ganze Community für verschiedene Zielen zu mobilisieren. Das meint, wie John (Kretzmann) es oft ausdrückt: die "Strangers" willkommen zu heißen; in anderen Worten: wir mobilisieren die Community mit einem bestimmten Blick zu den marginalisierten Leuten, einschließlich der Menschen mit Behinderung, der Familien mit niedrigem Einkommen, und eben auch Leuten, die im Gefängnis gewesen sind.

Überlegt wird dann ein pragmatischer Weg, mit dem man einerseits den Sicherheitsbedürfnissen etwa bei der Arbeit mit Kindern gerecht werden kann, andererseits Leute mit einem kriminellen Hintergrund nicht abgeschreckt werden, in der Community aktiv zu sein.

    Jason,

schreibt die Präsidentin, die eigentlich wohl nur technische Regeln für den "Check" wissen wollte,

    danke für deine Perspektive, Du hast mir bestimmt viel zum Nachdenken gegeben.


Stukturierungen des CO

Unter den Organisationen unterscheidet die Toolbox 35 die Organisationen in:

  • Direkte oder auf individueller Mitgliedschaft basierende Gruppen
    Sie sind zumeist klein, basieren auf einer geographischen Einheit und organisieren einzelne Leute mit niedrigem und mäßigem Einkommen; Beispiele sind Umweltgruppen und ACORN.

  • Auf Themen bezogene Koalitionen
    Diese mobilisieren öffentliche Interessengruppen, Gewerkschaften oder andere, die Politik zu beeinflussen oder gemeinsame Themen anzugehen

United Power für Justice and Action könnte man hierzu zählen, bei der in Chicago durchaus nicht üblicher Weise sehr verschiedene Gruppen und Richtungen zusammen arbeiten.

  • Organizing auf der Basis von Institutionen, Gemeinden oder Religionen,
    die in den lokalen religiösen Institutionen wurzeln und oft mit anderen Institutionen zusammen in der Community arbeiten. Die IAF ist ein Pionier für diesen Ansatz.
    Keiner dieser Ansätze existiert in "reiner" Form, und es gibt auch jeweils keine festen Regeln für alle Organisationen. Anpassungen an sich verändernde soziale Bedingungen sind eher die Regel als die Ausnahme.

Stoecker führt die Unterscheidung der Organisationsbasis zusammen mit den inhaltlichen Orientierungen und den daraus resultierenden Anforderungen an die Qualifikation der Organizer 36:

     

    Power- Modell

    Entwicklungs-Modell

     

    Auf der Basis von Institutionen

    (Institution-based)

    (z.B. IAF)

    Aus der Basis von individuellen Mitgliedern

    (z.B. ACORN)

    Individual-based

    Aktivposten- Modell

    (ABCD)

    Organizing durch Konsens

    Grundzug

    Organisation von Organisationen

    Organisation von Individuen

    Koalition/ Organisation, z.T. informell

     

    Ausschließlich innerhalb der Community

    kann die Grenzen der Community durchkreuzen 37)

    Fokus auf externen Zielen

    Fokus auf interner Entwicklung

    Taktik: Konflikt (Demonstrationen, Konfrontationen mit Offiziellen)

    und Verhandlungen

    Identifiziert Fähigkeiten und Ressourcen in der Community

    Ziel: Politische Veränderung und Macht für die Community

    Ziel: Interne Planung und Entwicklung der Community

    Fähigkeiten der Organizer

    Werben eines "Blocks"

    Werben von Individuen

    Werben von Individuen und Erhalten von Koalitionen

    Erhalten von Koalitionen

    Bildung einer Organisation

     

    Entwicklung von Leadern

    Identifikation und Mobilisierung von Aktivposten

     

    Entwicklung von Beziehungen

    38)

     

    Strategische Konfrontation und Verhandlung

    Strategien der Selbsthilfe

    Gender Modelle
    Wer einen Blick auf die Literatur, beispielsweise die bei COMM-ORG gesammelten Papiere, wirft, stellt fest, dass jedenfalls die Auseinandersetzung mit CO männerdominiert ist. Ähnliches gilt aber auch für die meisten Organisationen (vgl. Untersuchung zum Faith- Based CO). Stall und Stoecker 39 haben dies zum Anlass genommen, um das Alinksy- Modell, das für sie Prototyp des "männlich-zentrierten CO" ist, zu vergleichen mit dem, was sie "frauen-zentriertes CO" nennen.
    Sie vergleichen die Konzeptionen zur menschlichen Natur, das Verständnis von Konflikt, Macht, Politik und Führerschaft sowie den Organisationsprozess. Mit dem Begriffspaar "community organizing or organizing community" versuchen sie den Kern zu beschreiben: Im männlichen Modell geht es mehr um die öffentliche Organisation, im frauenzentrierten stärker um die Entwicklung der Community durch soziale Beziehungen und Organisation des Alltags.
    Das Alinsky- Modell beginnt mit den Kämpfen zwischen denen, die haben, und denen, die nichts haben, in der öffentlichen Sphäre. Das Modell bildet Communities durch Beziehungen und durch Empowerment der Individuen mit Hilfe dieser Beziehungen. Das frauenzentrierte Modell erweitert die Grenzen des Haushalts, um die Nachbarschaft einzubeziehen und löst die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben, zwischen Haushalt und Zivilgesellschaft.
    Das Alinksy- Modell sieht Macht als ein Nullsummenspiel, bei dem jemand nur Macht gewinnen kann, indem er andere entmächtigt. Nach dem frauenzentrierten Modell ist Macht unendlich erweiterbar, als "co-active" Macht - in Anlehnung an Hannah Arendt- ist sie an Gruppen und Zusammenarbeit gebunden.
    Bei der Entwicklung von Leadership betont das Alinsky- Modell eine strikte Rollenteilung zwischen den Organizern von auswärts und den einheimischen Führungspersonen, während im frauenzentrierten Modell die Organizer oft in den lokalen Netzwerken verwurzelt sind.
    Beim Prozess des Organizing betont das Alinsky-Modell formale öffentliche Organisation mit großen sichtbaren öffentlichen Ereignissen, während das frauenzentrierte Modell die sich auf die Entwicklung von informellen kleinen Gruppen ausrichtet, die weniger öffentlich sichtbare Themen angehen.
    Dabei erwähnen Stalll und Stoecker durchaus, dass z.B. Chambers zunehmend die Themen der privaten Sphäre und Familien betont sowie die Bedeutung der Bildung von Beziehungen in der Community. Dies kommt ja auch, worauf sie nicht hinweisen, in der zentralen Bedeutung der one-to-one- Gespräche beim IAF zum Ausdruck, worauf z.B. Peter Dreier in der Diskussion hinweist 40.
    Allerdings sind die medialen Darstellungen in Internetseiten und z.B. im Film "The Democratic Promise" – bei IAF ebenso wie bei ACORN- zentriert auf die große, öffentliche, machtvolle Veranstaltung und den "Kampf" als Kennzeichen des CO.

Entspannt die Vielfalt lieben lernen
Die Diskussion um verschiedene Formen des CO wird auch in Amerika teilweise heftig ausgetragen, manche erinnern sich dabei an Familienstreitigkeiten. Manche sprechen in Deutschland so über Community Organizing, als wenn es nur eine Form des richtigen Organizing gäbe. Solche Grundsatzdiskussionen- so typisch deutsch wie der Mercedes?

    ATTENTION ORGANIZERS!
    Brauchen Sie Zeit zum Reflektieren und relaxen? Das Windcall Resident Programm ist für Sie da. Stellen Sie sich vor, dass Sie sich selbst entfernen von dem täglichen Zirkus und den Krisen des Organizing, wenigstens für eine Stunde, ein Wochenende oder sogar eine Woche. Bei Windcall entscheiden Sie selbst, wie Sie sich und ihre Arbeit verjüngen.

Angeboten wird in der email-Liste von COMM-ORG ein Zweiwochenaufenthalt in einer Residenz, nur zum Erholen, für Leute, die ihre langjährige Verpflichtung zur sozialen Veränderung darstellen können.
Schade, solche Programme gibt es bei uns nicht. Aber da es in FOCO ja "in" geworden ist, ein Sabbatj