Deutschland schrumpft – was heißt das für die Städte und das Wohnen?

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Dr. Albrecht Göschel, Deutsches Institut für Urbanistik, Ernst-Reuter-Haus, Straße des 17. Juni 112, D-10623 Berlin, Telefon: 030/39001-235, Telefax: 030/39001-269, eMail:  goeschel@difu.de

(Bei diesem Text handelt es sich um einen Vorabdruck eines Textes, der auf einem Vortrag vom 24.Oktober 2003 in München anlässlich des 20jährigen Bestehens des "Wohnbundes" (Urbanes Wohnen e.V.) basiert und demnächst im Band "Neues Wohnen im Alter" der Schader-Stiftung erscheinen wird.)


Demographische Entwicklungen sind immer eine der zentralen Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung. Bei konstanter oder leicht wachsender Bevölkerung und gleichfalls konstantem Altersaufbau – in Form der so genannten Alterspyramide mit einem breiten Sockel von Jungen und dünner Spitze an Alten – mag die Aufmerksamkeit für diese Rahmenbedingung nachlassen. In der gegenwärtigen, allerdings nicht plötzlich eingetretenen, sondern sich seit 30 Jahren ankündigenden Situation eines dramatischen Geburtenrückgangs drängt sich Demographie jedoch sehr aufmerksamkeitsheischend ins Bewusstsein, seit einiger Zeit schon der Planer, in den letzten Jahren auch der Öffentlichkeit. Es wird buchstäblich keinen Sektor der Stadtentwicklung geben, der nicht von der "demographischen Wende" erfasst wird.
Bei der Beschäftigung mit dem demographischen Problemkomplex wird aber auch deutlich, dass es sich um ein typisches, modernes Zukunftsproblem handelt, dass es also wie alle Zukunftsprobleme einem "Zukunftsdilemma" unterliegt, das sowohl demographische Prognostik als auch politische Reaktionsmöglichkeiten betrifft.

Demographische Prognosen und Entwicklungen als ein typisches Zukunftsdilemma

Demographische Aussagen sind prognostische Griffe in die Zukunft. Wie alle Prognosen sind sie von Rahmenbedingungen abhängig, in vielfältiger Weise von anderen Entwicklungen gebrochen. Das führt direkt zu der Frage, was Zukunft eigentlich ist und wie wir sie erschließen können. Bei der Beantwortung dieser Frage stößt man zunehmend auf einen Dilemma, das sich aus drei Facetten zusammensetzt, und das Demographie-Problem ist in diesem Sine ein geradezu klassischer Fall eines Zukunftsdilemmas.
Zum ersten: Wir können über Zukunft im Grunde immer weniger Aussagen treffen. Dies liegt an einem ganz simplen Strukturmerkmal moderner Gesellschaften: Unsere Lebensbedingungen sind offensichtlich zunehmend von Wissen abhängig. Erneuerung und Alterung von Wissen beschleunigen sich aber ständig. Wir reden davon, dass die "Halbwertzeit" relevanten Wissens, seine Lebens- oder Bedeutungsdauer sich ständig verkürzt. Wenn aber Lebensbedingungen von Wissen abhängig sind und wenn Wissensproduktion sich ständig beschleunigt, verändern sich auch Lebensbedingungen mit zunehmender Geschwindigkeit. Gegenwart, definiert als gesicherter Bestand einigermaßen konstanter Bedingungen, wird ständig kürzer. Zunahme von Wissen weitet Gegenwart nicht aus, sondern verkürzt sie offenbar. Der Zeitpunkt, an dem eine unbekannte Zukunft beginnt, rückt durch neues Wissen ständig näher an uns heran und wird nicht etwa, wie man in naiver Weise meinen möchte, immer weiter hinausgeschoben. Die Gegenwart leidet an "Gegenwartsschrumpfung", wie es Hermann Lübbe (1997; 1994) in unüberbietbarer Prägnanz auf den Punkt gebracht hat. Der Zeitabschnitt, über den wir als einigermaßen gesicherten Bestand sichere Aussagen treffen können, wird offensichtlich immer kürzer. Und die Wissensproduktion löst dies Problem nicht durch bessere Prognosemöglichkeiten, da auch Prognosen sich nur auf das gegenwärtig verfügbare Wissen stützen können, nicht auf das der Zukunft, das man jetzt eben noch nicht weiß. Das ist gerade für die Zunft der Planer ein sehr unangenehmes Problem, da sie ja eigentlich in die Zukunft denken sollte, über die sie aber immer weniger mit immer weniger zeitlicher Reichweite aussagen kann. Das Unbekannte beginnt immer früher und wird nicht, wie man eigentlich hoffen sollte, durch Wissenschaft fundiert weiter hinausgeschoben. Immer geringere Zeiträume können wir mit einiger Sicherheit überblicken. Dynamische Zivilisationen sind nicht, wie es als ausgemacht galt, zukunftszugewandte und zukunftsbewusste, sondern viel eher zukunftsfremde Zivilisationen (Bolz 2002).
Dem steht als zweite Facette des Zukunftsdilemmas gegenüber, dass die Konsequenzen unseres Handelns eine ständig wachsende zeitliche Tiefe bekommen, da die technischen Anforderungen an alle Einrichtungen, Infrastruktur etc. Haltbarkeiten verlangen, die einen langen Bestand dieser Dinge garantieren. Ein Trampelpfad von ein paar Eseln als Verkehrsweg der Vergangenheit war, wenn nicht mehr genutzt, in ein paar Jahren wieder überwachsen. Eine moderne Autobahn dagegen werden wir im Grunde nie wieder los. Ohne genaue Kenntnis von der Zukunft treffen wir also ständig Entscheidungen, die weit in die Zukunft hineinwirken. Unsere gegenwärtigen Entscheidungen werden damit zu gravierenden und ausufernden Rahmenbedingungen einer Zukunft, von der wir immer weniger wissen: Als Reliktmengenwachstum hat Hermann Lübbe dies Phänomen bezeichnet.
Die dritte Facette dieses Zukunftsdilemmas besteht nun darin, dass die negativen Folgen von Fortschritt die positiven Folgen eben dieses Fortschritts zu überwältigen drohen oder bereits überwältigt haben. Der bis dahin alternativlos für positiv gehaltene wissenschaftlich technische Fortschritt als Bedingung von wachsendem Wohlstand und wachsender Freiheit gerät seit den frühen 1970er Jahren unter den Verdacht, mehr Belastungen als Wohltaten zu bewirken. Technischer Fortschritt gilt zunehmend als unkalkulierbares Risiko, als katastrophenträchtige Hybris (Dahrendorf 1992: 184; Giesen 1993), der mit Empathie zum Kleinen, zur Natur und zum Mitmenschen begegnet werden muss. Die Abkehr vom Bild der Stadt als Maschine der Naturbeherrschung, die Suche nach einer Versöhnung von Natur und Technik (Weiß 1986), nach der Stadt als besonderem Ort (Ipsen1989), nach dem urbanen Leben und Wohnen auch in den Innenstädten oder innenstadtnahen Quartieren, das Leben im Nahraum des Quartiers, sind offensichtlich Reaktionen auf negative Fortschrittskonsequenzen, wie sie mit den 1970er Jahren zunehmend ins Bewusstsein treten. Bis in die 1960er Jahre wurde kaum thematisiert, dass Fortschritt eben auch negative Konsequenzen nach sich ziehen kann. In den 1970er Jahren setzt der Umbruch in der Bewertung von Fortschritt ein, der dann später geradezu als ein Paradigmenwandel, als deutsche Achsenzeit bezeichnet wird (Giesen 1993). Plötzlich scheint es, als könne man sich Zukunft unter dem Zeichen technisch-instrumenteller Weltbeherrschung nur noch in Katastrophenbildern vorstellen.
Dass das nicht ganz in dem Ausmaß eintreten muss, wie es sich manchmal im ersten Moment einer neuen Perspektive aufdrängt, sei hier dahingestellt. Dennoch, wenn man sich die gegenwärtige Stimmung vergegenwärtigt, dann gewinnt man den Eindruck, dass der Tenor, in dem über Zukunft geredet wird, doch überwiegend ein negativer ist. Eigentlich gilt alles, was in der Zukunft auf uns zukommen kann, tendenziell als Katastrophe, zumindest als Abstieg oder gravierende Bedrohung und Gefährdung. Es muss nicht gleich apokalyptisch sein, aber dennoch sind die Gefahren größer als die Hoffnungen, die wir in die Zukunft setzen. Bilder einer globalen Umweltkatastrophe oder eines nuklearen Krieges stützen derartige Einschätzungen.
Genau in dieses Schema eines Zukunftsdilemmas passt nun das Demographieproblem. Es zeigt sich als ein typisch modernes Zukunftsproblem.

Die demographische Entwicklung als Folge einer Emanzipation mit negativen Konsequenzen

Die Tatsache, die das demographische Problem eines bedrohlichen Geburtenrückgangs begründet, die Möglichkeit nämlich, auch ohne Kinder, ohne einen traditionellen Familienzusammenhang moralisch anerkannt zu leben, entsteht ja weniger als Folge eines medizinisch technischen Fortschritts der Geburtenverhütung. Vor allem liegt eine gewandelte moralische Bewertung von bis dahin eher stigmatisierten, moralisch verurteilten Lebensformen vor; und in diesem Sinne bildet ein zweifellos herausragender emanzipatorischer Fortschritt den Ausgangspunkt der gegenwärtigen demographischen Entwicklung. Es gibt wohl kaum einen ernstzunehmenden Menschen zumindest in unserem Kulturkreis, der bezweifeln würde, dass die gewachsene Toleranz, vor allem aber die Emanzipation der Frau, die die normativen Ausgangspunkte des Bevölkerungsrückganges sind, epochale emanzipatorische Schritte in bestem Sinne eines vernünftigen und positiven Fortschritt darstellen. Hintergrund der demographischen Wende sind also die kollektiven Folgen einer eminenten individuellen Emanzipation, auch wenn diese zweifellos eine unvollständige war, da sie zwar die Gleichberechtigung der Frau im Berufsleben, nicht aber die des Mannes im Haushalt und in der Familie gebracht hat. Rollenteilung ist also nur in einer Richtung aufgehoben, nicht wie es notwendig gewesen wäre, in beiden Richtungen.
In der deutschen Geschichte ist diese normative Aufwertung nicht-familiärer Lebensformen ein relativ neues Phänomen. Es war bis in die 50er, frühen 60er Jahre nicht möglich, wenn man nicht zu einer sehr avantgardistischen Elite von Künstlern oder Intellektuellen z.B. gehörte, als normaler Bürger, in moralisch anerkannter, unverdächtiger Weise ohne Kinder oder ohne Familie zu leben. Da sich der Schritt aus dieser Norm in Deutschland spät und auf der Basis sehr beherrschender Familienorientierung vollzieht, ist die emanzipatorische Gegenreaktion auch besonders ausgeprägt, ähnlich wie zurzeit in Italien oder Spanien. In Ländern, in denen das Leben in der Familien mit vielen Kindern nicht im gleichen Maße verbindliche Norm war, ist auch die Reaktion, die Emanzipation von dieser Norm weniger heftig, immer aber ist sie eingetreten und kann nur mit erheblichen politischen Anstrengungen in ihren Folgen begrenzt werden, wie z.B. in Frankreich oder Schweden, während in Deutschland eine pronatalistische Politik bis heute leicht unter Faschismusverdacht gerät. Es scheint tatsächlich nur ein modernes westliches Land zu geben, dem es gelungen ist, in eine umfassende Modernisierung einzutreten, Familienorientierung aber als Norm zu erhalten, die USA.
Der Geburtenrückgang stellt also einen geradezu klassischen Fall für die negativen Folgen eines als positiv erlebten, durch und durch emanzipatorischen Fortschritts dar, und es sind seine bedrohlichen Konsequenzen, die uns gegenwärtig einholen und unsere Zukunft – vielleicht durchaus in katastrophaler Weise – bestimmen werden.

Demographie als Beispiel für die langfristigen Folgen gegenwärtiger Entscheidungen und Handlungen

Das zweite Element des Zukunftsdilemmas, die Langfristigkeit von Folgen gegenwärtiger Handlungen, wird gleichfalls am Demographieproblem exemplarisch deutlich. Die Entscheidung ca. eines Drittels der letzten Generation, keine Kinder zu haben, wird die demographische Entwicklung dieses Landes auf mindestens 100 bis 120 Jahre prägen. Der Ausfall von ca. 30% an Frauen, also nicht geborener Mädchen, die dann offensichtlich auch keine Mütter werden können, lässt sich nicht innerhalb von 10, 15 oder 20 Jahren korrigieren. Und wenn die Generation der zurzeit erwachsen werdenden Frauen sich gleichfalls entscheidet – und die jungen Mädchen, die zur Zeit leben machen keine Anstalten es anders zu sehen – wieder zu einem Drittel keine Kinder zu haben, dann setzt sich das Problem nicht nur fort, sondern verschärft sich dramatisch. Ein emanzipatorischer Vorgang, der im einzelnen Lebensvorgang völlig vernünftig und auch als Entscheidung in der Einzelbiographie sinnvoll getroffen werden kann, zeigt sich als eine kollektive Handlung mit eminenten, langfristige Folgen von weit über einem Jahrhundert Reichweite; und das nächste Jahrhundert wird nach allen Vorhersagen, die es dazu gibt, zentral von diesem demographischen Problem bestimmt werden, zumindest in Deutschland.

Ungewisse Rahmenbedingungen für die Konsequenzen des demographischen Wandels

Auch die dritte Facette des Zukunftsdilemmas findet sich im Problem des demographischen Wandels: Wir können nicht wissen, was wir morgen wissen werden, denn dann wüssten wir es ja jetzt schon. Wir wissen also nicht, unter welchen zukünftigen Rahmenbedingungen z.B. der Produktivität oder der Migration das Zukunftsproblem des demographischen Wandels bewältigt werden muss. Es könnte sein, dass sich die Produktivität so erhöht, dass eine Begleiterscheinung des demographischen Wandels, die Überalterung, kein ökonomisches Problem wird. Zwar wäre auch dann noch die Frage der Umverteilung und die Belastung der Arbeitseinkommen zu lösen. Aber bei entsprechender Produktivität wäre selbst das ja eventuell zu bewerkstelligen. Wir wissen also, dass wir einen langfristigen Trend ausgelöst haben, der als negative Fortschrittsfolge durchschlagen wird und dass dieser Trend extrem langfristig sein wird. Diese Prognosen sind völlig sicher, und demographische Prognosen gehören zu den wenigen Prognosen mit extrem geringen Fehlerquoten. Die UNO-Prognosen über Weltbevölkerung oder Bevölkerung in einzelnen, großen Regionen liegen mit ihren Fehlerquoten immer unter 1%, treffen also in der Regel exakt zu. Genauso sicher sind die Prognosen für die Bundesrepublik. Was wir im Augenblick demographisch erleben, ist genau das, was vor ca. 30 Jahren prognostiziert wurde, es ist genau so eingetreten. Wir wissen aber nicht, welches Wissen wir haben werden, um dieses Problem möglicherweise doch einigermaßen zu lösen. Das demographische Problem ist also ein modernitätstypisches Zukunftsproblem und zeigt das ganze Dilemma, in dem sich Planung in solchen Situationen befindet. Sie weiß einerseits sehr genau, was passieren wird. Sie kennt aber nicht die Rahmenbedingungen unter denen das, was man weiß, dass es eintreten wird, auch eintritt. Planung weiß aber auch, dass alles, was man tut und auch alles was man tut, um das, was man getan hat, zu korrigieren, wiederum, extrem langfristige Folgen hat und sie weiß auch, und das ist nur eine Facette des Zukunftsproblems, dass Politik in der Regel nicht bereit und in der Lage ist, Langfristprobleme auch als solche zu behandeln.

Kurzfristigkeit politischer Konzepte vs. Langfristigkeit von modernitätstypischen Problemen

Die ersten, die diese demographische Entwicklung prognostiziert haben, also unter anderem Herwig Birg (2001), haben den demographischen Wandel relativ fehlerfrei vorausgesagt. Gleichzeitig hat Birg aber auch sehr drastisch auf die Dramatik der demographischen Entwicklung hingewiesen. Ein Einzelner sei durchaus berechtigt, sich das Leben zu nehmen, ob eine Gesellschaft einen kollektiven Selbstmord begehen dürfe – und der Geburtenrückgang kommt dem durchaus nahe – sei eine ganz andere Frage. Derselbe Vorgang, Verzicht auf Reproduktion, ist aus individueller oder kollektiver Sicht normativ durchaus unterschiedlich zu beurteilen. Von Herwig Birg stammt aber auch die Vermutung, dass die erste Partei oder die erste Regierung, die der Öffentlichkeit wirklich sagt, was der demographische Wandel kollektiv bedeutet, ab- und auf längere Sicht nicht wieder gewählt werden wird. Die gegenwärtige Regierungskoalition versucht ja, in kleinen Dosierungen die Bevölkerung über die Folgen des Geburtenrückgangs aufzuklären und erste Konsequenzen zu ziehen, und es ist ja bekannt, wie sich das zurzeit in den Meinungsumfragen vor allem zur Sozialdemokratie niederschlägt. Das ist unmittelbar – man kann es auf Tagespolitik beziehen – für die im Amt befindlichen Parteien, die Regierungsfraktionen, außerordentlich bitter. Eine Sozialdemokratie kann aber möglicherweise eine längere Oppositionsphase überleben, ob die Grünen das könnten, scheint nicht gewiss. Warum sollte eine Partei, die dieses demographische Problem kennt, sich aus der Geschichte verabschieden, nur weil sie es öffentlich sagt, was auch schon vorhergehende Regierungen hätten tun können aber wohl weislich vermieden haben.
Politische Parteien und Regierungen denken und operieren im Rahmen einer Rationalität des Machterhaltes bzw. der Machtgewinnung. Langfristige Probleme, deren Lösungen gegenwärtige Macht gefährden, werden daher mit Vorliebe vertagt, in kommende Legislaturperioden verschoben. Man sollte für diese Strategie aber nicht gewissenlose, zynische Politiker verantwortlich machen. Sie reagieren auf Mehrheitsvoten der Bevölkerung. Ist diese bereit, die langfristigen kollektiven Konsequenzen individuellen Handelns zu tragen, könnte auch Politik entsprechend agieren. Es scheint doch die Abhängigkeit von kurzfristigen und kurzsichtigen individuellen Egoismen, häufig auch von partikularen Gruppeninteressen zu sein, die der Politik die Möglichkeit zu angemessenem langfristigen Handeln beschneidet.

Daten zum gegenwärtigen demographischen Wandel

Einige Daten zur demographischen Entwicklung, die ausschließlich den Arbeiten von Herwig Birg (2001) entnommen sind, mögen das Problem verdeutlichen:
Deutschland hat im Augenblick etwa 82 Mio. Einwohner. Unter der sicher unrealistischen Annahme keiner weiteren Zuwanderung wird sich diese Einwohnerzahl bis 2050 auf einen Wert zwischen 50 und 60 Mio. reduziert haben und bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also bis 2100, ohne Zuwanderung, auf unter 25 Mio. abgesunken sein. Je nach zukünftigen Reproduktionsraten können diese Zahlen etwas schwanken. Bleibt die Reproduktionsrate auf dem gegenwärtigen Wert von 1.4 bestehen, würden sich ungefähr die genannten Bevölkerungszahlen einstellen.
Mit einer Netto-Zuwanderung von ungefähr 250.000 EW, also deutlich mehr als zurzeit, läge 2050 die Einwohnerzahl auch nur bei 68 und 72 Mio., vorausgesetzt, die Zuwanderer passen sich ungefähr an die zurzeit in Deutschland herrschenden Reproduktionsraten an, wie es normaler Weise in relativ kurzer Zeit, also ca. einer Generation geschieht (Birg 2001: 99). Um die Relation zwischen den Altersgruppen, die potentiell im Arbeitsleben und denjenigen die mit einiger Wahrscheinlichkeit außerhalb des Arbeitslebens stehen, auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten, und sie ist jetzt schon höchst prekär, wäre eine Netto-Zuwanderung von etwa 1 Mio. Menschen pro Jahr erforderlich. Niemand weiß, wo die herkommen könnten und niemand weiß, wie sie zu integrieren wären, bei einem im Augenblick kaum funktionierenden Arbeitsmarkt und einem Schulsystem, dem nicht einmal die gegenwärtige Integration der vergleichsweise wenigen Ausländer gelungen zu sein scheint.
In besonderer Schärfe, in einer absoluten Bedrohlichkeit, stellen sich diese Zahlen für die neuen Bundesländer dar. Sie haben im Augenblick ungefähr 15 Mio. Einwohner. Im Jahr 2050 und bei mäßiger Zuwanderung werden es 9,5 Mio. sein, wobei diese Zuwanderungsannahmen bereits ausgesprochen optimistisch wirken, und 2100 wird bei geringer aber dennoch fraglicher Zuwanderung die Einwohnerzahl bei etwa 6 Mio. liegen. (Birg 2001: 104). Diese Prognosen, das ist immer wieder zu betonen, sind erfahrungsgemäß hoch fehlerresistent. Demographische Prognosen über 30 oder gar 50 Jahre sind in den Bevölkerungswissenschaften nicht einmal unbedingt Langfristprognosen. Wir wissen ja heute, wie viele Frauen in 20 bis 30 Jahren im gebärfähigen Alter stehen werden, denn die leben ja jetzt schon. Eine solche Aussage ist fast keine Prognose sondern eher eine Aussage über die Gegenwart. Und 100 Jahre sind dann auch nicht so weit weg, nur drei Generationen. Es wird immer wieder eingewendet, dass es z.B. im Rückblick auf die letzten hundert Jahre mit zwei Weltkriegen doch vermessen sei, derartig weitreichende Voraussagen anzustellen. Aber alle Katastrophen, auf die verwiesen werden kann, haben die Bevölkerungszahl eher reduziert, würden also den Trend des demographischen Wandels verstärken. Und Ausnahmeereignisse mit umgekehrter Wirkung sind in der Tat schwer vorstellbar, es sei denn im Sinne von Massenzuwanderungen, ausgelöst durch besondere Ereignisse in anderen Regionen der Welt, also z.B. durch Umweltkatastrophen oder Kriege in den Entwicklungs- oder Schwellenländern. Denkbar wären solche Wanderungsströme, aber sieht man einmal von europäischen, besonders von den irischen Auswanderungen im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert in die USA ab, so verfügen wir kaum über relevante Erfahrungen, die uns ein Bild der demographischen Zukunft geben könnten; und bei den genannten europäischen Wanderungen in die USA wanderten Einwohner eines Kulturkreises in eine "neue Welt", die bereits weitgehend von dieser europäischen Kultur bestimmt war und dennoch erhebliche Integrationsprobleme entwickelt hat. Bei z. B. umweltbedingter Zuwanderung aus Bangladesch oder bürgerkriegsbedingter Massenzuwanderung aus Schwarz-Afrika wäre das sicher etwas anderes. Es ist gegenwärtig schwer auszumachen, was wir als bedrückender empfinden würden, alle die Übergangsphänomene, die mit dem Rückgang der Bevölkerung verbunden sind, oder eine Zuwanderung, die zwar die Einwohnerzahl relativ hoch hält, sich aber aus extrem fremden Kulturen rekrutieren müsste, unter denen dann die "deutsche" Bevölkerung eine Minderheit unter anderen wäre. Birg (2001: 104) unterstellt z.B., dass bereits im Jahr 2080 der Anteil der Zugewanderten und ihrer Nachkommen ca. 43% an der in Deutschland lebenden Bevölkerung ausmachen werden, ohne natürlich anzugeben, woher diese Migranten kommen könnten. Und angesichts der anhaltenden ökonomischen Schwäche der neuen Bundesländer, zumindest einiger größerer Regionen, scheint es zweifelhaft, dass Zuwanderung in diese Räume überhaupt in Gang kommt.
 

Konsequenzen des Bevölkerungsrückgangs für die deutschen Städte

Die folgenden Konsequenzen des demographischen Wandels sind für die deutschen Städte zu erwarten:

  • Quantitative Schrumpfung der Stadtbevölkerung, mittel- und langfristig auch in den Städten und Regionen, die zurzeit noch wachsen. Dieser Vorgang ist in den neuen Bundesländern mit Einwohnerverlusten zwischen 15 und 30 Prozent in den letzten 12 Jahren bei fast allen ostdeutschen Städten bereits in vollem Gange, wenn auch bisher noch überwiegend bedingt durch das Zusammenwirken von Suburbanisierung, überregionaler Abwanderung und Geburtenrückgang.
  • Heterogenisierung der Bevölkerung durch Migration. Dass Zuwanderung stattfinden wird, steht außer Frage. Gewisse Unsicherheiten bestehen aber über Herkunfts- und Zielregionen solcher Wanderungen. So wird es vermutlich nicht zu nennenswerter Zuwanderung aus den MOE / EU-Beitrittsländern in die neuen Bundesländer kommen, da diese Länder selber einen gravierenden Geburtenrückgang erleben, also kaum Überschussbevölkerung besitzen. Soweit dennoch Zuwanderung aus diesen östlichen Nachbarländern stattfindet, wird sie gleich in die prosperierenden süddeutschen Regionen zielen und die neuen Bundesländer überspringen. In jedem Fall aber ist damit zu rechnen, dass eine Zuwanderung, die wirklich zu einem quantitativen Ausgleich der demographischen Wende beitragen könnte, eine "Multi-Minoritäten-Gesellschaft" zur Folge haben wird.
  • Alterung der Bevölkerung mit allen Folgen für den Wohnungsbau und die sozialen Sicherungssysteme. Es findet eine Umkehrung der Bevölkerungspyramide statt, die mittel- bis langfristig alle intergenerativen Sozialversicherungssysteme zusammenbrechen lassen wird.
  • Vereinzelung der Individuen durch die Auflösung von Familienzusammenhängen; Vereinzelung also nicht im sozialpsychologischen Sinne als Vereinsamung, sondern sozialpolitisch als einzeln lebende Individuen ohne verlässliche Hilfsnetzwerke, wie sie in der Regel nur die Familie stellen können.

An aktuellen Beispielen wird das Ausmaß der zu erwartenden Entwicklung deutlich: Einwohnerverluste von 15 bis 30 Prozent aus den letzten 10 bis 12 Jahren sind in fast allen ostdeutschen Städten die Regel. Es gibt keine Stadt, die deutlich andere Zahlen aufweist, außer den drei berühmten Beispielen: Leipzig, das sich gefangen zu haben scheint, aber bis 2003 gegenüber 1989 bereits 20 Prozent verloren hatte; Dresden, das sich durch das Kulturstadtimage zu stabilisieren scheint, und Jena, das eine sehr geschickte Industrie- und Standortpolitik betreibt und deswegen relativ wenig Einwohner verloren hat. Alle anderen ostdeutschen Städte sind von dem Schrumpfungsproblem bereits im genannten Ausmaß betroffen.

Auswirkungen der Stadtschrumpfung auf verschiedene kommunale Leistungsbereiche

Allen Planern und anderen Professionen ist in der Regel klar, was Laien nicht ohne weiteres nachvollziehen können: Schrumpfung eröffnet nicht die Möglichkeit, proportional zum Einwohnerverlust auch die Leistungen der Städte zu reduzieren und damit Kosten einzusparen, eher im Gegenteil. In den technischen Infrastrukturen z. B. steht eine schrumpfende Stadt vor kostenintensiven Um- und Rückbauten. Man kann Schrumpfung nicht mit der Stilllegung von Netzteilen gerecht werden, sondern nur durch Kapazitätsabsenkungen im gesamten Netz. Solche Reduktionen lassen sich sicher technisch geschickt bewerkstelligen, unterbleiben sie aber, entstehen ausgesprochen unangenehme Mängel. So würde sich ohne Kapazitätsreduktion in den Wassernetzen bei geringerer Abnahme durch Reduzierung der Fließgeschwindigkeit im Zuwassersystem Verkeimungen bereits auf dem Weg vom Wasserwerk bis zum Abnehmer bilden. Trinkwasser kommt schon erheblich qualitätsgemindert beim Verbraucher an und es wird als Abwasser durch die Verlangsamung der Abwassergeschwindigkeit nicht viel appetitlicher. Solche überkapazitätsbedingten Qualitätsminderungen können in Netzen durchweg entstehen. In allen Netzsystemen verursacht geringere Belastung Kostensteigerung für den einzelnen Abnehmer, wenn der Standard gehalten werden soll, sei es durch Umbauten, durch erhöhten Wartungsaufwand o. ä.

Ausdünnung und Reduktionen der Standortzahlen in der sozialen Infrastruktur

Da die soziale Infrastruktur in der Regel nicht in Netzen sondern mit Einzelstandorten operiert, sind Rückbauprobleme nicht ganz so dramatisch. Aber auch hier erhöhen sich die Stückkosten. Ein mit weniger Kindern betriebener Kindergarten ist automatisch pro Kind teurer. Schließungen einzelner Standorte sind auf Dauer unvermeidlich. Es entsteht eine Ausdünnung des Versorgungssystems, das nicht vernetzt ist, aber doch eine gewisse Standortdichte haben soll. Entfernungen zwischen den Einrichtungen und damit Wegezeiten müssen sich zwangsläufig erhöhen, für Kindereinrichtungen durchaus ein Problem.

Wertverlust von Immobilien

Im Wohnungsbestand entstehen zwar nicht zwingend eine gesamte oder durchschnittliche Entwertungen, aber mit Sicherheit sehr unterschiedliche Nachfragen auf einzelnen Wohnungsteilmärkten. Einige könnten in hohem Maße entwertet werden. Das ist für Eigentümer, die gehofft haben, nach dem jüngsten Aktiendebakel nun wenigstens in Haus-, Wohnungs- oder Grundbesitz über eine verlässliche Alterssicherung zu verfügen, ausgesprochen unangenehm. Investitionen in Grundbesitz stellen keine Garantie mehr für eine lebenslange Verwertbarkeit dieses Besitzes dar. So lange man ein Eigenheim – in falscher Lage z.B. – selbst bewohnen kann, mag es seinen Nutzen haben. Verkaufen lässt es sich aber möglicherweise nicht, so dass es als "Versicherung" für die letzten Lebensjahre entfällt. Einfamilienhaussiedlungen der 1950er oder 1960er Jahre könnten von dieser Entwertung betroffen sein.

Folgen der Stadtschrumpfung für die kommunalen Haushalte

Ganz bitter sind die fiskalischen Konsequenzen aus dem Schrumpfungsvorgang für die Kommunen. Jede Kommune mit Einwohnerrückgang verliert nach gegenwärtiger Gemeindeordnung mit jedem Einwohner 3.000,- EUR pro Jahr fortlaufend (Mäding 2002). Natürlich könnte man sich ein anderes, eher einwohnerunabhängiges System der Gemeindefinanzen vorstellen, bisher aber scheinen wir davon doch recht weit entfernt.

Systematische Erfassung des demographischen Wandels in seinen Folgen für die Stadt

Wollte man die Folgen des demographischen Wandels für eine Stadt systematisch erfassen und darstellen, wären die vier zentralen Folgenkomplexe

  • Schrumpfung,
  • Heterogenisierung,
  • Alterung
  • Vereinzelung

in ihren Konsequenzen für die drei Ebenen zu reflektieren, unter denen "Stadt" verstanden und behandelt werden kann:

  • als gebaute Stadt
  • als Lebensform (urbane Lebensweise)
  • als Institution (Kommune)

Eine solche umfassende Behandlung des Schrumpfungsproblems ist im Rahmen dieses knappen Beitrages natürlich nicht möglich. Nur beispielhaft kann gezeigt werden, dass keine Facette der Stadt und der Kommunalpolitik unberührt bleibt.
Jede der vier Folgen des demographischen Wandels hat unterschiedliche Konsequenzen für die drei Aspekte von Stadt. Vereinzelung der Bevölkerung z.B. führt als Lebensform zu immer weiter steigenden Ansprüchen der allein lebenden Individuen an formale Dienstleistungen. Da Vereinzelung hier nichts anderes bedeutet, als eine Auflösung familiärer Lebensformen und damit eine Reduktion informeller Dienstleistungsproduktion, wie sie vorrangig von Familie erbracht wird, würde nach klassischen sozialstaatlichen Muster informelle durch formale Dienstleistung ersetzt werden müssen. Da aber Stadtschrumpfung auch eine Verknappung der kommunalen Haushalte zur Folge haben wird, darf nicht damit gerechnet werden, dass diese Ausweitung öffentlicher Dienstleistungen, wie sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten betrieben wurde, ungebrochen fortgesetzt werden kann. Allein der demographische Wandel in allen seinen Konsequenzen zwingt zu einer Revision der "sozialen Bürgerrechte" (Marshall 1992), die unter den Bedingungen der letzten Jahrzehnte permanent erweitert worden sind.

Auswirkungen des demographischen Wandels auf soziale Infrastruktur

Ca. 80 % aller Pflege- und Versorgungsleistungen für ältere Menschen werden im Augenblick noch von der Familie erbracht, und das heißt von den Hausfrauen. Wenn Vereinzelung, also das Leben in Single-Haushalten zunimmt, entfallen diese informellen Leistungen. Angesichts der problematischen Wirtschaftssituation, die die gegenwärtigen Sozialleistungssysteme bereits in Frage stellt, ist es nicht vorstellbar, dass eine weitere Formalisierung und "Verstaatlichung" bislang informeller sozialer Leistungen finanziell bewältigt werden könnte. Der Alterungsberg, dem wir entgegengehen, kann ohne informelle oder marktförmige Sicherheitssysteme, allein durch sozialstaatliche Leistungen nicht bewältigt werden. Wir werden also zu neuen "urbanen" Lebensformen kommen müssen, die die vereinzelten Einzelnen doch wieder, möglicherweise unter erheblichem und sei es ökonomischem Druck, zu gemeinschaftlichen Lebensformen zusammenführen: Mehrgenerationenhaushalte, Altenwohngemeinschaften usw. Freiwillige und temporäre Vergemeinschaftung wird allein aus demographischen Gründen unausweichlich werden, es sei denn, diese vereinzelten Singles verfügen über ein Vermögen, das Ihnen den Ankauf von Dienstleistungen auf einem Dienstleistungsmarkt eröffnet, der sicher in zunehmenden Maße entstehen wird. Aber auch dieser Markt bleibt defizitär: Dienste kann man sich kaufen, Liebe, Empathie und Zuneigung nicht. In der Hinfälligkeit des Alters mag es aber gerade diese emotionale Zuwendung sein, die am dringendsten gebraucht wird.
Die Alterung der Bevölkerung führt notwendig zu einer weitgehenden Entleerung ganzer Infrastrukturbereiche, also von Kinder-, Jugend-, Freizeiteinrichtungen, da es die jüngere Bevölkerung, die sie in Anspruch nehmen könnte, nicht mehr in dem Maße geben wird, wir aber andere Infrastruktursysteme brauchen, die die Anpassung an die veränderte Alterspyramide gewährleisten. Demographisch könnte also ein Umbau der sozialen Infrastruktur notwendig sein. Gleichzeitig wäre aber auch eine umfangreiche Integration von – vermutlich – sehr kulturfernen Migranten erforderlich. Spezifische Bildungs-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind aus dieser Sicht unabdingbar. Ihre Finanzierung aber bleibt höchst ungewiss, aus den beschriebenen Einschränkungen der kommunalen Haushalte. Das kann nur bedeuten, dass in Zukunft unter den Bedingungen von demographischen Wandel, dessen Folgen durch einen ökonomischen Wandel verschärft werden, in allen Bereichen der sozialen und kulturellen Infrastruktur strenge Prioritäten gesetzt werden müssen, in denen langfristige Interessen und Notwendigkeiten und keine kurzfristigen Wünsche bestimmend sein dürfen.

Umbau der sozialen und technischen Infrastrukturen bei chronischer Finanzknappheit der Kommunen

Der gesamte Umbau der sozialen und oben bereits beschriebenen technischen Infrastruktur muss unter Bedingungen gravierender Restriktionen der kommunalen und aller öffentlichen Haushalte vollzogen werden. Nicht nur der demographische Wandel, d.h. der Bevölkerungsrückgang führt zu finanziellen Engpässen. Genau in die gleiche Richtung wirkt der ökonomische Wandel, der aus dem Übergang der deutschen Wirtschaft zur Wissens- und Dienstleistungsökonomie resultiert. Man geht zurzeit davon aus, dass die deutsche Wirtschaft am Übergang zweier "langer Wellen" steht, dass also ein dominantes Produktionsmuster – das der tayloristischen Massenproduktion – durch ein neues Muster, der flexiblen, wissensbasierten Hochtechnologie- und Dienstleistungsproduktion abgelöst wird, ohne dass selbstverständlich klassische Industrieproduktion verschwinden wird (Läpple 1987). Und dieser Übergang fällt um so schwerer, je tiefer eine Volkswirtschaft in einem an Bedeutung verlierenden Muster wurzelt, und das ist in Deutschland in ausgeprägter Weise der Fall.
Es überlagern sich zwei nicht notwendiger Weise von einander abhängige Entwicklungen: der demographische Bruch auf der einen Seite und der Übergang zu einer neuen so genannten "Kondratieffschen Welle", also der Übergang in eine andere Form von Ökonomie auf der anderen. Unter diesen Bedingungen ist die Kommune wahrscheinlich nicht in der Lage, in der Weise als selbstverwaltetes Organ mit einem eigenen Haushalt weiter zu bestehen, wie wir das bisher gewohnt sind. Nach dieser Phase, die ungefähr 20 bis 30 Jahre anhalten wird, wird dieses Land insgesamt ein anderes sein als es bisher war. Das wird in den öffentlichen Debatten bisher weitegehend verdrängt. Es scheint aber so gut wie ausgeschlossen zu sein, dass in diesem Wandel aus ökonomischer Umstrukturierung und demographischem Rückgang die Fülle öffentlicher Einrichtungen z.B. in der Kulturpolitik, die bisher als selbstverständlich gilt, erhalten werden kann. Wir werden nach diesen 30 Jahren einer fundamentalen Umstrukturierung das, was wir als z. B. Kulturpolitik aber auch als kommunale Sozialpolitik kennen, nämlich eine Fülle öffentlich geförderter Kultur- und Sozialeinrichtungen, vermutlich nicht mehr haben. Deutschland wird sich, wenn auch in einem sehr mühsamen und schmerzlichen Prozess, an die USA oder England annähern, wo es die Fülle öffentlicher Einrichtungen und Leistungen ja auch schon nicht mehr gibt oder nie gegeben hat.

Auswirkungen von Demographie und ökonomischem Wandel auf die Institution Kommune

Es ist ziemlich sicher, dass im Zuge dieses Wandels auch die Kommune als gemeindliche Organisation einer lokalen Selbstverwaltung unter diesen Perspektiven von Einnahmeverlusten auf der einen Seite und wachsenden Anforderungen auf der anderen Seite mittel- bis langfristig nicht in der gleichen Weise wir gegenwärtig Bestand haben kann. Unüberhörbar sind bereits jetzt die Forderungen, den Kommunen alle so genannten freiwilligen Aufgaben zu nehmen und sie auf ihre gesetzlichen Pflichtaufgaben zu beschränken. Nach verbreiteter Auffassung käme das aber einem Ende der kommunalen Selbstverwaltung gleich. Zumindest wäre kaum noch einzusehen, warum sich eine Institution, die staatliche Aufgaben nach Gesetz vollzieht, auf eine eigene Wahl durch ihre "Bürger" stützen muss. Gleichfalls kaum noch zu rechtfertigen wäre der Anspruch der Kommunen, in ihrem Territorium "autonom" zu schalten und zu walten, wenn Kooperationen mit Nachbarstädten oder einem weiten Umland günstigere Lösungen versprechen. Effizienz und Legitimation der Institution Kommune stehen also als Folge des demographischen – und des ökonomischen – Wandels zur Disposition. In der aktuellen Regionalisierungsdebatte kommt diese Existenzgefährdung der Institution Kommune zum Ausdruck.
Dass im Zuge von Regionalisierung größere Einheiten oder Zusammenschlüsse lokaler Selbstverwaltung entstehen werden, steht wohl außer Zweifel. Unklarheit herrscht nur über deren Form. Versteht man die Kommune als "intermediäre Einheit", als vermittelnde Institution zwischen "Bürger und Staat" oder zwischen "Gesellschaft und Staat" (Göschel 2003), deuten sich zwei Alternativen an. Entweder man reformiert lokale Selbstverwaltung mehr in Richtung auf eine territorial definierte, politische Einheit nach dem Modell des Staates, oder mehr in Richtung auf bürgerschaftliche, an Alltagszwecken orientierte Handlungsform nach dem Modell privater Interessenverfolgung. Nach dem ersten Modell wird man zweifellos zu neuen regionalen Institutionen kommen, die die alten Kommunen mehr oder weniger ersetzten, während das zweite Modell Kooperationsformen unterschiedlichster Verbindlichkeit sowie zeitlicher und territorialer Reichweite zwischen bestehenden Kommunen nahe legt. Die erste Form wäre eine Neufassung lokaler Selbstverwaltung nach Government-Prinzipien, während die zweite gegenwärtig unter "Governance" heftig diskutiert wird. Vor- und Nachteile beider Modelle sind zahlreich. So kann das Governance-Modell in der Regel keine Kongruenz von politische Repräsentativität und politischer Handlungsebene garantieren, während alle Formen neuer regionaler Institutionen kommunale Selbstverwaltung in der Tendenz nach der Vorgabe von Staatlichkeit verstehen und damit die Intermediarität – die Bürgernähe – des Lokalen einschränken oder ganz aufgeben. Es ist zurzeit ganz unsicher, welche Richtung die Reformen annehmen werden. Sicher ist nur, dass die gegenwärtigen Umbrüche aus Demographie und Ökonomie auch die Institution Kommune grundlegend verändern werden.

Städtebauliche Konsequenzen der Schrumpfung

Genau so wie sich urbane Lebensformen – neue Gemeinschaften – und die Institution Kommune – Regionalisierung – umfassend wandeln werden, ist auch mit neuen Phänomenen in der "gebauten" Stadt, in der Bebauungsstruktur der Stadt als Folge des Bevölkerungsrückgangs, der Stadtschrumpfung zu rechnen. Ohne große Schwierigkeiten kann man sich drei Typen oder Modelle vorzustellen, nach denen sich diese Schrumpfung vollzieht. Diese Schrumpfung von Städten, die in den neuen Bundesländern massiv eingesetzt hat, wird ungefähr 2015 die früh industrialisierten Regionen des Westens ergreifen. Das war bereits in den 1980er Jahren der Fall. Durch die Vereinigung haben jedoch fast alle westdeutschen Städte jedoch einen Schub bekommen, der Schrumpfung zumindest vorübergehend aufgefangen hat. Nach 2015 wird aber auch in den altindustriellen Regionen der alten Bundesländer Stadtschrumpfung wieder deutlicher einsetzen und ab 2020 auch die jetzt prosperierenden Städte im deutschen Südwesten, also auch München und Stuttgart erreichen.

Stadtperforation

Das erste Modell wird von der Stadt Leipzig bereits betrieben und dort als perforierte Stadt bezeichnet (Lüdtke-Daldrup 2001). Die Kontinuität der Bebauungsstrukturen wird "durchlöchert". Da, wo es rechtlich und ökonomisch möglich ist, erfolgt punktueller, also nach Möglichkeit kein großflächiger Abriss. Das ist nicht so leicht, wie es sich sagt. Die größten Leerstände in den Städten der neuen Bundesländer bestehen meist nicht in den Plattenbauten, in denen durch zusammenhängendes Eigentum von Wohnungsbaugesellschaften großflächig abgebrochen werden könnte. Die Hauptleerstände finden sich in der einfachen Altbausubstanz der Gründerzeit mit vielen Einzeleigentümern. Nur zögerlich sind diese bereit anzuerkennen, dass ihr Hausbesitz wertlos geworden ist, und sie erwarten z.T. noch hohe Ausgleichszahlungen für den Abbruch durch die Kommune. Klein- und Einzeleigentümer gehen häufig nach wie vor von der Annahme aus, es handle sich bei Stadtschrumpfung um eine Folge kurzfristiger ökonomischer Schwankungen. Sie erwarten Wirtschaftswachstum im Rahmen kurzfristiger Konjunkturzyklen, durch die ihr Eigentum wieder realen Wert gewinnt. Weder die Bedingungen des demographischen Wandels noch der langfristigen Wellen, die gegenwärtig einen neuen Produktionszyklus einleiten, sind in hinreichendem Maße bekannt, so dass irrige Wachstums- und Verwertungserwartungen gehegt werden.
Nach neuesten Informationen aus Leipzig vom Frühjahr 2004 scheint sich aber doch ein Wandel zu vollziehen. Die Eigentümer leerstehender Wohnungen fangen an einzusehen, dass angemessene Nutzung ihrer Häuser auf längere Zeit nicht mehr zu realisieren ist. Sie akzeptieren daher Angebote der Stadt, gegen mehrjährigen Grundsteuererlass den Abbruch eines nicht mehr vermietbaren Altbaues durchzuführen.
Dennoch ist Flächensanierung im Altbaubestand weitgehend ausgeschlossen. Es entstehen Perforationen der Bebauungsstruktur, und zwar in kleinstem Maßstab, innerhalb eines Straßenzuges oder Blocks. Mit den neu entstehenden Freiflächen aus Baulücken ist eine umfassende Neuplanung kaum möglich. In Lücken, die durch Abbruch einzelner mehrgeschossiger Häuser zwischen zwei Brandwände entstehen, lässt sich eine geringere Flächennutzung z.B. in Form eines Einfamilienhaus nur mit Mühe einpassen, obwohl innenstadtnahe Einfamilienhäuser vielleicht eine mögliche Nutzung darstellen könnten. Leipzig hat in seiner Perforationsplanung in erheblichem Maße auf dieses Konzept des "innenstadtnahen Einfamilienhauses" als Ersatz für alten Geschosswohnungsbau gesetzt. Allerdings scheint dies Programm doch noch auf beträchtliche Hindernisse zu stoßen, vermutlich weil die freigeräumten Flächen nicht die Qualitäten bieten, die sich ein Bauherr von seinem Einfamilienhaus verspricht, Ruhe, freie Lage und großes Gartengrundstück. Es ist aber sehr gut vorstellbar, dass sich gerade unter den anderen genannten Folgen des Bevölkerungsrückgangs, Ausdünnung der sozialen Infrastruktur und des ÖPNV, die Qualitäten des innenstadtnahen Einfamilienhauses, wie es Leipzig möglich machen will, durchsetzen. Gegenwärtig dominiert allerdings bei den freigeräumten innenstadtnahen Grundstücken noch die temporäre Nutzung als Grünfläche.
Städte, die Perforation betreiben, werden sich in jedem Fall kleinteilig fragmentieren. Es werden auch auf längere Sicht temporäre Nutzungen eine Rolle spielen, die uns bisher sehr merkwürdig erscheinen. In Leipzig z.B. wird diskutiert, ob man auf einer Brache unmittelbar in der Nähe des Hauptbahnhofs, also in bester Citylage, einen Streichelzoo oder eine Weihnachtsbaumschonung anlegt, zumindest temporär, für 10 bis 15 Jahre, nach dem Motto, Zelte statt Paläste. Für Paläste fehlt zurzeit die Substanz, und dann lieber "Zelte" als gar keine sinnvolle Nutzung. Die andere Frage ist, wie gelingt es, Perforation in Maßstäben durchzuführen, die nutzbare Flächen entstehen lässt, sei es als Grünflächen, sei es für Einfamilienhäuser oder Stadtvillen als Ausdünnungskonzept an Standorten, an denen hochverdichtete Bebauung bestanden hat. Der Maßstab der Perforation wird also entscheidend sein.
Insgesamt aber liegt im Perforationsmodell auch die Chance, sich von minderwertiger Bebauung zu befreien. Es läuft ja zumindest anfangs Wohnungsbestand leer, der häufig modernen Ansprüchen tatsächlich kaum noch genügt. Und es gibt in den Städten, die Perforationsplanung betreiben, bisher zumindest auch noch Stadtbereiche, die wachsen, so dass Schrumpfung im schlechten Bestand und Wachstum qualitätsvoller, gehobener Stadtbereiche nebeneinander bestehen können.
Die Städte, in denen Stadtschrumpfung durch Perforation bewältigt werden kann, verändern sich nicht völlig in ihrem Charakter. Mehr oder weniger bleiben sie, was sie vor der Schrumpfung waren. So wird Leipzig vermutlich ein wichtiger Messeplatz, eine wichtige Universitätsstadt, in seinem Zentrum die bedeutende Kulturstadt bleiben, und diese Stadt wird auch ihre Erscheinungsweise nicht völlig verändern, so zumindest die Hoffnungen der Politiker und Planer.
Entsprechend besteht die Vorstellung, dass auch die Lebensformen in dieser perforierten Stadt zukünftig weitgehend die normalen sein werden, an die wir gewöhnt sind, also weitgehend mit einer ökonomischen Basis in normalen Arbeitsverhältnissen, wenn auch in den bekannten prekären Arbeitsbiographien. Lediglich in einigen Randerscheinungen, so die Annahme, wird das nicht der Fall sein können. Konstant hohe Arbeitslosigkeit in diesen Städten müsste durch Transfereinkommen bewältigt werden müssen, aber man wird doch die Hoffnung auf einen funktionierenden Arbeitsmarkt weitgehend aufrechterhalten.

Stadttransformation

Die zweite Form von Stadtschrumpfung, die von wesentlich größerem Einwohnerrückgang ausgeht, könnte als Stadttransformation bezeichnet werden. Damit soll ein Stadtumbau und Stadtrückbau bezeichnet werden, der die Erscheinungsweise einer Stadt, ihren gesamten Bestand total verändert. Stadttransformation wird für die Städte – vor allem in den neuen Bundesländern – zur wahrscheinlichen Perspektive, bei denen ein Einwohnerverlust eingesetzt hat, dessen Ende nicht abzusehen ist und der vermutlich auch nicht durch Zuzug ausgeglichen werden wird. Die industrielle Basis dieser Städte wird sich auflösen oder hat sich bereits weitgehend aufgelöst, ohne dass klassische Industriearbeitsplätze durch moderne Dienstleistungsbeschäftigung ersetzt werden würden. De-Industrialisierung bis zur De-Ökonomisierung kann die Folge sein.
Städte dieses Schrumpfungstyps haben erhebliche Wachstumsschübe überwiegend erst in der DDR-Zeit erlebt, und vor allem das Wachstum der ostdeutschen Städte aus der Wirtschaftsplanung der DDR wird zurückgenommen. Eine Stadt wie Guben z.B. war zum Zentrum für Textilindustrie ausgebaut worden und hatte auf dieser Basis in den 1980er Jahren eine Einwohnerzahl von knapp 40.000 erreicht. Heute weist Guben ca. 24.000 Einwohner auf, und ein Ende des Einwohnerrückgangs scheint – nach Auskunft des brandenburgischen Amtes für Statistik in Cottbus – nicht absehbar zu sein. Zwar könnte die Abwanderung aus Guben in etwa 10 bis 15 Jahren nachlassen, aber nur, weil dann dort niemand mehr wohnt, der abwandern könnte. Nach den verfügbaren Einwohnerprognosen leben in Guben dann weit überwiegend nur noch ältere Menschen, so dass unmittelbar nach dem wanderungsbedingten der demographische Einwohnerverlust einsetzt.
Man muss damit rechnen, dass unter diesem Bedingungen aus einer ehemaligen, mittelgroßen Industriestadt im Verlauf der Schrumpfung wieder das wird, was sie einmal vor der Industrialisierung war, ein kleines Landstädtchen wie im 19.Jahrhundert. Das Problem allerdings ist, dass die alten kleinstädtischen oder dörflichen Zentren, auf die diese Städte zurückschrumpfen und die ihnen in der Schrumpfung eine gewisse Basis geben könnten, in der Regel nicht mehr existieren. In Guben wurde es im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört. Damit ist ein Zusammenhang der Siedlungsfläche in der Schrumpfung nicht mehr gegeben. Städtebaulich könnte sich die zusammenhängende Bebauung der Stadt in einzelne Siedlungsschollen auflösen, und das gilt in unterschiedlicher Form vermutlich für alle massiv schrumpfenden Städte auf ihrem Weg in eine "Transformation".
In dieser transformierten Stadt wird es aber auch keine Normalökonomie eines normalen Lohneinkommens, eines normalen Marktes als umfassende Lebensgrundlage mehr geben. Es wird diskutiert, ob es möglich sein könnte, diese sich transformierenden Städte zu wirtschaftlichen Sonderzonen zu erklären; d.h. nicht zu rechtsfreien Räumen, aber doch zu Bereichen anderer ökonomischer Organisation: keine Steuerzahlung, Risikokapital, Abenteuerkapital, zumindest mit deutlich niedrigerem Lohnniveau als im Westen oder in den wenigen prosperierenden ostdeutschen Zentren. Oder ob es möglich sein wird, auf der Basis ausschließlich von Transfereinkommen eine rein ökologische Stadt zu entwickeln. Es würde dann dort keine PKWs, keine Verbrennungsmotoren u.ä. geben. Genau so wird "die Stadt der radikalen Denkmalpflege" diskutiert, oder der Lebensgemeinschaft auf der Basis von Subsistenzökonomie – ergänzt um Transfereinkommen – erwogen. Sicher scheint gegenwärtig nur zu sein, dass sich die radikal schrumpfende Stadt, wie sie sich angesichts der demographischen Prognosen als unausweichlich ankündigt, in allen Facetten von der "Normalstadt" unterschieden sein wird, in der Bebauung, in den Lebensformen, in der institutionellen Struktur; denn dass diese Stadt keine gewohnte lokale Selbstverwaltung mehr haben wird, scheint auch ziemlich wahrscheinlich zu sein. Bei angemessener Organisation können in diesen Schrumpfungen aber auch Chancen stecken, z.B. in der Realisierung oder Erprobung neuer Lebenskonzepte, wie sie Hartmut Häußermann und Walter Siebel (1988) bereits in den 1980er Jahren beschrieben haben.

Stadtauflösung

Eine sehr extreme Form, über die man aber doch nachdenken muss, zumindest für einige ostdeutsche Städte, wird die Stadtauflösung sein. Sollten sich die Bevölkerungsprognosen für die neuen Bundesländer bestätigen, wird es das ostdeutsche Städtesystem in der gegenwärtigen Form nach 2050 nicht mehr geben. Es wird darum gehen müssen, Städte, zumindest kleinere Ortschaften planvoll aufzulösen, will man nicht Gefahr laufen, für minimale Restbevölkerungen erhebliche Infrastrukturleistungen vorhalten zu müssen. Fraglos wären mit einem solchen Programm zahllose Fragen aufgeworfen, z.B. die nach einem "Recht auf Heimat", der Legalität einer Umzugsplanung oder Umzugsförderung für Restbevölkerungen, der Bestimmung eines Zeitpunktes oder einer Größenordnung, von dem oder von der an Auflösungsplanung in Gang gesetzt werden dürfte usw.
Vielleicht ist es an dieser Stelle hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass selbst diese Extremform der Stadtschrumpfung nichts historisch absolut neues ist. Wir kennen alle jene italienischen Bergdörfer, sei es Kalabrien, in der Toskana oder in Ligurien, die von ihren Einwohnern mehr oder weniger verlassen sind, mit Ausnahme jener notorischen "alten Weiblein", die mit einer Ziege und minimaler Rente ausharren – bis sich einige Nordeuropäer finden, die aus eben jenem "alten Gemäuer" ein kleines Urlaubsparadies machen, in dem dann sogar "Weiblein mit Ziege" malerisch zum Lokalkolorit beitragen. Es soll dahin gestellt bleiben, ob das auch eine Perspektive für deutsche Stadtschrumpfung ist, die sicher in weniger malerischem Ambiente stattfinden wird. Aber solche Wertungen können sich ändern.
Das ist sicher nicht die Perspektive Münchens oder anderer Ballungsräume, darüber sind wir uns alle im Klaren. Aber alle anderen Probleme des demographischen Wandels – Einwohnerverlust, Heterogenisierung der Bevölkerung, größere Ungleichheit, gravierende Segregation, Armutsprobleme, Alterung, Grenzen der Sozialstaatlichkeit usw. – werden auch die süd- und südwestdeutschen oder die norddeutschen Städte wie z.B. Hamburg, das origineller Weise mit der "wachsenden Stadt" glaubt, sein neues Leitbild gefunden zu haben, mit Sicherheit in den nächsten Jahren erreichen.


Literatur:

  • Birg, Herwig (2001); Die demographische Zeitenwende. Der Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa, München.
  • Bolz, Norbert (2002); Das konsumistische Manifest, München.
  • Dahrendorf, Ralf (1992); Der moderne soziale Konflikt: Essay zur Politik der Freiheit, Stuttgart.
  • Giesen, Bernhard (1993); Die Intellektuellen und die Nation. Eine deutsche Achsenzeit, Frankfurt/M.
  • Göschel, Albrecht (2003); Intermediarität, Integration, Identität. Anmerkungen zu drei Kategorien von Stadt und Kommune, in: Joachim Fischer, Hans Joas (Hg.), Kunst, Macht und Institutionen. Studien zur Philosophischen Anthropologie, soziologischen Theorie und Kultursoziologie der Moderne. Festschrift für Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt / New York.
  • Häußermann, Hartmut; Walter Siebel (1988); Die schrumpfende Stadt und die Stadtsoziologie, in: Soziologische Stadtforschung, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 29/1988, hrsgg. Von Jürgen Friedrichs, S. 78-94.
  • Ipsen, Detlev (1989); Die Renaissance des besonderen Ortes. Zum Zusammenhang von Kultur und Ökonomie in der räumlichen Entwicklung, in: Max Haller, Hans-Jürgen Nowotny, Wolfgang Zapf (Hrsg.), Verhandlungen des 24. Deutschen Soziologentages, des 11. Österreichischen Soziologentages und des 8. Kongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie in Zürich 1988, Frankfurt/M., New York, S. 681-690.
  • Läpple, Dieter (1987); Zur Diskussion über "Lange Wellen", "Raumzyklen" und gesellschaftliche Restrukturierung, in: Walter Prigge (Hrsg.), Die Materialität des Städtischen, Basel usw., S. 59-76.
  • Lübbe, Hermann (1997); Modernisierung und Folgelasten. Trends kultureller und politischer Evolution, Berlin
  • Lübbe, Hermann (1994) Im Zug der Zeit. Verkürzter Aufenthalt in der Gegenwart, Berlin.
  • Lüdtke-Daldrup, Engelbert (2001); Die perforierte Stadt. Eine Versuchsandordnung, in: Stadtbauwelt Heft 150, Bauwelt 21, 2001, S. 40-45.
  • Mäding, Heinrich (2002); Demographischer Wandel: Herausforderungen an eine künftige Stadtpolitik, Vortrag zur Statistischen Woche 2002, Konstanz, 8. Oktober 2002.
  • Marshall, Thomas H. (1992); Bürgerrechte und soziale Klassen. Zur Soziologie des Wohlfahrtsstaates, Frankfurt/M., New York.
  • Weiß, Johannes (1986); Wiederverzauberung der Welt? Bemerkungen zur Wiederkehr der Romantik in der gegenwärtigen Kulturkritik, in: Friedhelm Neidhardt, Rainer M. Lepsius, Johannes Weiß (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 27, 1986, S. 286-301