Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip

Kategorie

Zwischen Problemlösungs- und Veränderungsstrategie


Was ist das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit?

Die sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen forderten auch einen Wandel der Gemeinwesenarbeit. Bisher wurde GWA neben Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit als 3. Methode klassifiziert. Boulet, Krauss und Oelschlägel brachten Bewegung in die festgefahrene Diskussion (Boulet u.a., 1980). Sie entwickelten die Arbeitshypothese, dass es falsch sei, GWA als Arbeitsfeld zu bestimmen und damit einzuengen, da Gemeinwesenarbeit als geschlossener Block an Bedeutung verloren hat, sich jedoch im gesamten Bereich der Sozialarbeit ausbreitete. Oelschlägel führte eine Anzeigenanalyse im Rahmen eines Hochschulprojektes durch. Dabei stellte er fest, dass in den Stellenausschreibungen vermehrt Tätigkeitsmerkmale eines Gemeinwesenarbeiters, wie Koordination, Aktivierung sowie Methodenvielfalt, gefordert wurden. Er konstatierte, dass die Elemente der Gemeinwesenarbeit im gesamten professionellen Bereich zu finden sind, jedoch keine Stellen für Gemeinwesenarbeiter ausgeschrieben wurden. Somit wird es zu einem Arbeitsprinzip im beruflichen Handeln, welches traditionelle Berufsfelder überschreitet und neue Orientierungen bietet.
„Ein Arbeitsprinzip der Sozialarbeit ist folglich ein Grundsatz, der das professionelle Handeln des Sozialarbeiters in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern leiten sollte. Ein solches Prinzip müßte also auch integrierenden Charakter haben. Auf drei Ebenen soll sich die integrierende Kraft des Arbeitsprinzips beweisen:

  • Verbindung von Theorie und Praxis,
  • Verbindung unterschiedlicher primärer und sekundärer Methoden,
  • Verbindung unterschiedlicher wissenschaftlicher Ansätze“ (Boulet u.a., 1980, S. 146 f.).

Mit der Deklarierung der Gemeinwesenarbeit als ein Arbeitsprinzip sollte die Vorläufigkeit kenntlich gemacht werden, die dem Begriff aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen oder fachlicher Diskussionen immanent ist. Dennoch dient der Kerngedanke auch heute noch als Leitlinie für sozialarbeiterisches Handeln im Sinne einer Grundhaltung.
Ende der 1970er Jahre kam es zu Veränderungen im Bereich der Sozial- und Gemeinwesenarbeit. Die Orientierung an theoretischen Analysen stand nicht mehr im Vordergrund, statt dessen wurde sich verstärkt alltags- und » lebensweltorientierten Konzepten zugewandt. Die veränderten Erklärungsansätze beziehen die Verzahnung von subjektiver Aktivität und objektiven Umständen mit ein. In den Sozialwissenschaften wird dieser Prozess mit dem Begriff der Lebenswelt erfasst (Oelschlägel in Bitzan/Klöck, 1994, S. 16). Oelschlägel betont, dass in die Gemeinwesenarbeit nicht nur ein Lebenswelt-Konzept Eingang gefunden hat. Vielmehr stehen sich verschiedene wie » Milieuarbeit, » Netzwerkarbeit sowie die » Stadtteilbezogene Soziale Arbeit gegenüber. Für die unterschiedlichen Handlungskonzepte, die unter GWA subsummiert werden, können folgende gemeinsamen Merkmale genannt werden:

  1. Gemeinwesenarbeit ist auf das Gemeinwesen gerichtet. Die Gruppen im Stadtteil, in den Gemeinden oder Nachbarschaften werden zu handelnden Subjekten, deren Interpretationsleistung ausschlaggebend ist.
  2. Damit steht die Rolle des Sozialarbeiters in einem engen Zusammenhang, dessen Vorgehensweise von einer vorsichtigen Zurückhaltung bei der Bestimmung der Aufgaben und Ziele der GWA geprägt sein sollte.
  3. GWA ist ein zielgruppenübergreifender Ansatz.
  4. Die vorhandenen Probleme werden nicht als individuell verursacht wahrgenommen, sondern in ihrem sozialökologischen Kontext als ein gesamtgesellschaftlicher Verursachungszusammenhang erkannt. Sie beziehen die Umwelt der Bewohner ein, da sie sich auf einen Stadtteil oder ein Dorf richten und die individuellen Erfahrungen mit den empfundenen Belastungen sowie Ressourcen berücksichtigen.
  5. Gemeinwesenarbeit ist trägerübergreifend und hat das Ziel der Kooperation zwischen Bewohnern, Behörden, Institutionen und Parteien.
  6. Die Lebenswelt ist für die Alltagsbewältigung von entscheidender Bedeutung. Der Blick geht von der Defizit- hin zur Ressourcenorientierung.
  7. In die Arbeitsweise werden verschiedene Methoden integriert:
    • aus der Sozialpädagogik die Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit sowie verschiedene Beratungskonzepte,
    • aus der empirischen Sozialforschung die Aktionsforschung (action research) und Selbstüberprüfung sowie
    • politische Arbeitsweisen, wie Bürgerversammlungen und Demonstrationen.

Für die verschiedenen Konzepte sieht Oelschlägel die Gefahr der Entpolitisierung, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen, die auf die Lebenswelt einwirken, nicht in die sozialarbeiterischen Strategien mit einbezogen werden  (Oelschlägel in Hinte u.a., 2001, S. 111).


Idee

Gemeinwesenarbeit als ein Arbeitsprinzip ist nur vor dem Hintergrund des sozialpolitischen Umbruchs in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Gewissermaßen ist die ideelle Entwicklung von Gemeinwesenarbeit zu einem Prinzip auch eine Konsequenz aus den theoretischen sowie methodischen Erfahrungen. Diese diskursiven Bezüge wurden in dem Reader der » Victor-Gollancz-Stiftung (1975) nachgezeichnet, der einen wichtigen Erklärungsversuch bot.
Im Gegensatz zu den 1970er Jahren wird von Oelschlägel eine Verschiebung der Konfliktlinien beschrieben, die nun zwischen Bürger und Staat festzustellen sind. Demzufolge geht es nicht mehr um Klassen- sondern um Verteilungskampf. Da sich das Leben der Menschen verändert hat, muss Sozialarbeit auf die kapitalistischen » Vergesellschaftungsprozesse reagieren. Oelschlägel betont, dass das Arbeitsprinzip dort ansetzen muss, wo die Menschen leben. Durch diese Alltagsbezogenheit werden Räume geschaffen, in denen sich Handeln entfalten kann, welches sich an den jeweiligen Bedürfnissen der Bewohner orientiert. Die Strukturierung der alltagsnahen Öffentlichkeit soll den alltagsimmanenten Gefahren der Entfremdung entgegenwirken, die mit dem Prozess der Vergesellschaftung einher gehen.
Gemeinwesenarbeit fungiert einerseits als staatliche Interventionsstrategie, da die Probleme frühzeitig erkannt und bearbeitet werden sollen (Oelschlägel in Boulet u.a., 1980, S. 185). Andererseits hat sie aber auch radikaldemokratische Bezüge und Wurzeln. GWA ist immer mit demokratischen Grundauffassungen verbunden und kann im Rahmen dieser Widerstände organisieren sowie die lokale Entwicklung beeinflussen. Sie versucht, zwischen Individuum und Gesellschaft zu vermitteln. Die Lebenswelt wird als Lebensmittelpunkt definiert und erlangt bei der Ressourcenerschließung wesentliche Bedeutung. Da Menschen biosoziale Wesen sind, ist ihr Wohlergehen in Abhängigkeit zu den gemeinschaftlichen Aktivitäten zu beurteilen. Deshalb stehen auch nicht die individuellen Hilfeleistungen im Vordergrund, sondern die Stärkung des sozialen Zusammenhalts im Gemeinwesen. 
Das Arbeitsprinzip, wie es grundlegend von Boulet, Krauss und Oelschlägel beschrieben wurde, meint eine Bezeichnung verschiedener Arbeitsformen. Diese Unterscheidungen sind als Dimensionen zu verstehen, die auf ein territorial oder funktional abgegrenzte Gemeinwesen gerichtet sind und sich kategorial auf bestimmte Bevölkerungsteile beziehen. Diese drei Dimensionen existieren nicht unabhängig voneinander und sind interdependent (Boulet u.a.,  1980, 298 ff.).

  1. Territoriale GWA begreift das Gemeinwesen als einen politisch-ökologischen Raum, der von außen und von innen als eine relative Einheit gesehen wird, wie beispielsweise Milieu, Gemeinwesen, Stadtteil oder Nachbarschaften. Räumliche Bedingungen dienen dabei zur Beschreibung, wie „Neubauviertel“ oder „Industriegebiet“. GWA richtet ihr Augenmerk auf die Lebensbedingungen, Kommunikationsstrukturen und die Folgen von Entfremdung. Dabei geht es um eine direkte oder indirekte Bearbeitung der vorhandenen Probleme. Die zur Verfügung stehenden Arbeitsmittel sind Stadtteilzeitungen oder -feste. Des weiteren ist der ständige Kontakt zu überörtlichen und örtlichen Gremien sowie Institutionen wichtig. Sozialplanung und die Koordination verschiedener Einrichtungen sind hier wesentliche Elemente.
  2. Funktionale GWA legt den Schwerpunkt auf Bereiche wie Wohnen, Arbeiten, Bildung oder Erziehung/Sozialisation, in denen sich das gesellschaftliche System ausprägt. Diese Funktionen werden von Behörden oder Organisationen getragen. Diese bestimmen somit die Versorgungsstruktur wesentlich. Hier kommen auch die staatlichen systemstabilisierenden Bedürfnisse zum Tragen. Gemeinwesenarbeit hat die Aufgabe, ihr Augenmerk auf die unterschiedliche Betroffenheit zu legen und dabei die politischen sowie ökonomischen Bedingungen der Wohn- und Arbeitssituation mit den jeweilig greifenden gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes stehen die gemeinwesenspezifischen Lebensbedingungen, die für die » Reproduktion von Bedeutung sind. Faktoren also, die alle im Gemeinwesen Lebenden unterschiedlich betreffen, wie zum Beispiel die materiellen Möglichkeiten in Folge bestimmter Schichtenzugehörigkeit. Neben der Problembewältigung ist die Organisation der Betroffenen eine Zielsetzung. Sie sollen lernen, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen, um Einfluss auszuüben und mitzubestimmen,. Arbeitsmittel sind die » Methoden der aktivierenden Befragung, Bewohnerversammlungen, die Anregung von Bürgerinitiativen sowie das Erlernen von Kompetenzen im Umgang mit Behörden.
  3. Kategoriale GWA ist primär personenkreisorientiert, da sie sich vorrangig auf die Bewohner mit beispielsweise gleichen geschlechts- oder altersspezifischen Merkmalen sowie Personen gleicher Herkunft oder Nationalität bezieht. Dieser Arbeitsform der GWA geht es demzufolge darum, eine Verbesserung der Situation von Frauen, Migranten, Kindern oder Jugendendlichen zu erreichen. Verbunden mit den Merkmalen besagter Personenkreise treten häufig Probleme auf, wie beispielsweise ein Verlust der Ich-Stärke bei Jugendlichen. Dafür können die Wirkung von Werbung oder Massenmedien sowie der Kommerzialisierung des gesamten Lebensbereichs ausschlaggebende Gründe sein. Mögliche Folgen sind Ersatzhandlungen, mangelnde Solidarität oder psychische Probleme. Eine Zielstellung von GWA wäre hierbei, den Raum des Gemeinwesens als praktisches Lernfeld wieder zu erschließen, um kollektives Verhalten und Solidarität zu fördern. Mögliche Arbeitsmittel sind Freizeiträume, soziokulturelle Einrichtungen sowie Spielplätze.

Darstellung der drei Formen des Arbeitsprinzips GWA und ihre Interdependenz

Quelle: Boulet/Krauss/Oelschlägel, 1980, S. 301

An den Sozialarbeiter stellt das Arbeitsprinzip neue Anforderungen, die so zusammengefasst werden können: Es geht um „ein methodenintegratives, an der Lebenswelt der Betroffenen orientiertes Grundprinzip sozialer Arbeit schlechthin und basierend auf ihrer materialistischen Gesellschaftsanalyse und einem fortschrittlich-emanzipatorischen Verständnis von Sozialarbeit“ (Mohrlok u.a., 1993, S. 51). 
Methodisch und strategisch fließen in immer mehr Feldern der Sozialarbeit GWA-Elemente ein und Dieter Oelschlägel betont, dass es sich um ein Prinzip handelt, nach dem man beispielsweise in der Drogen-, Alten- oder Jugendarbeit vorgehen kann. In zunehmendem Maße bleibt Gemeinwesenorientierung nicht nur auf den Bereich der Sozialpädagogik beschränkt, sondern kommt in Gemeinwesenschulen, der Gemeindepsychiatrie oder in gemeindenahen Volkshochschulen zum Tragen. Im Zuge der demografischen Veränderungen und sinkenden Finanzmittel in den Kommunen fanden sozialräumliche Strategien zunehmend mehr Beachtung. Ressortübergreifende Ansätze gewannen in den Verwaltungen an Bedeutung. Die Idee des Arbeitsprinzips fand ihre Weiterentwicklung im » Ansatz der Stadtteilbezogenen Arbeit, welcher maßgeblich durch Wolfgang Hinte geprägt ist. 

„Gemeinwesenarbeit (GWA) ist eine sozialräumliche Strategie, die sich ganzheitlich auf den Stadtteil und nicht pädagogisch auf einzelne Individuen richtet. Sie arbeitet mit den Ressourcen des Stadtteils und seiner Bewohner, um seine Defizite aufzuheben. Damit verändert sie dann allerdings auch die Lebensverhältnisse seiner BewohnerInnen.“

(Oelschlägel in Hinte u.a., 2001, S. 100)


Gesellschaftliche Situation

Nachdem im Jahr 1982 die Koalition aus FDP und SPD an wirtschafts- sowie sozialpolitischen Fragen zerbrach, kam es mit der CDU/CSU-FDP zu einem Regierungswechsel und Helmut Kohl wurde Bundeskanzler. Damit verschärften sich die Auswirkungen, die sich bereits in der Zeit der sozialliberalen Regierung angekündigt hatten. Für den Strategiewechsel in der kommunalen Sozialpolitik war die starke Abwälzung sozialer Verantwortung und Problembewältigung auf die Kommune kennzeichnend.
Die Unzufriedenheit, insbesondere aus den Reihen der » Neuen Sozialen Bewegungen, richtete sich in diesen Jahren hauptsächlich gegen die deutsche Atompolitik. So fand beispielsweise 1985 eine Großdemonstration gegen die geplante atomare Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf statt. Kennzeichnend für die Zeit war auch die Eskalation zwischen Demonstranten und der Polizei um die Startbahn West am Frankfurter Flughafen.
Innerhalb Europas gewannen die liberal-konservativen Konzepte immer mehr Einfluss und der Thatcherismus wurde zum Exportschlager. In Deutschland führte das zur „geistig-liberalen Wende“, die mit der Durchsetzung einer » neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik einher ging.  Der strikte Sparkurs drückt sich vor allem in einem drastischen Abbau der Sozialleistungen aus. Seit Mitte der 80er Jahre stieg die Arbeitslosenzahl ständig, bis mit über 4 Millionen ein Nachkriegsrekord zu verzeichnen ist und im Jahr 2003 die Rate bei über 4,3 Millionen Arbeitslosen liegt.
Dem Fall der Berliner Mauer folgte die Wiedervereinigung am 03.10.1990. Ein Jahr später bricht sich in Deutschland eine Gewaltwelle gegen Flüchtlinge Bahn, die von weiten Teilen der Bevölkerung gutgeheißen wird. In Hoyerswerda, Rostock, Mölln, Solingen fanden Hetzjagden und Brandanschläge auf Migranten statt, die oft mit tödlichen Folgen endeten. Die faktische Abschaffung des politischen Asyls 1993 wurde ohne großen Protest gesetzlich verankert.
Die gesellschaftlichen Bedingungen wirkten unmittelbar auf die methodische Entwicklung der GWA und führten so zu einer Weiterentwicklung des Arbeitsprinzips. Die sozialen Probleme griffen immer mehr um sich und Oelschlägel arbeitete wesentliche Punkte, die zur Manifestation der gesellschaftlichen Situation beitragen, heraus. Die Logik der kapitalistischen Gesellschaft ist von Tausch, Konkurrenz und Warendenken geprägt, was bis in persönliche Beziehungen wirkt. Die Situation in den Stadtteilen veränderte sich insofern, als aus traditionellen Milieus kleine Submilieus wurden. Lebensvollzüge veränderten sich auch in Folge der von Flexibilisierung bestimmten Arbeitsverhältnisse, Arbeitszeitverkürzungen oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Dies wirkt sich bis heute auf das Leben im Stadtteil aus. Gefühle des Unbehagens machten sich breit, der Eindruck, die Nachbarn nicht mehr zu kennen, und Entfremdungsprozesse nahmen zu. Durch die steigende Konkurrenz veränderten sich auch die persönlichen Beziehungen. Ein Ergebnis davon waren u.a. Einsamkeitsgefühle. Der wachsende Karrieredruck forderte Konsequenzen. So kam es zu neuen Familienentwürfen, wofür die Zunahme von Singlehaushalten oder Lebensgemeinschaften sowie der Geburtenrückgang Beispiele sind » (Oelschlägel in Soziale Arbeit 1/1993, S. 5 ff.). Dies forderte von Gemeinwesenarbeit eine veränderte Praxis. Es ist nicht mehr möglich „eine grundsätzliche Parteilichkeit zugunsten bestimmter Gruppen festlegen zu wollen“, da die Gemeinwesen immer inhomogener werden, was sich in gegenläufigen Interessen ausdrücken kann (Berger/Simon, » http://www.lag-nds.de/). Insbesondere in den 90er Jahren, wo der Rechtsradikalismus zunahm, gab es die Tendenz, dass sich immer mehr Gemeinwesen nach außen gegen alles Fremde abschotteten. Ausländerfeindlichkeit und Rassismus bilden einen „rechten Konsens“, in dem es beispielsweise keinen Widerspruch gegen die Abschaffung des Asylrechts gab, in den Medien Flüchtlinge für die gesellschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht wurden und Gewaltaktionen der Neonazis lange Zeit verharmlost oder entschuldigt wurden. Einerseits gibt es die Tendenz, dass die Gemeinwesen auf die sozialpolitischen Umbrüche mit Abschottung und ideologischen Homogenisierungsstrategien reagieren, wie Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Andererseits werden die Gemeinwesen inhomogener, da sie sich sozial separieren, was sich in einer Vermehrung der Subkulturen zeigt, die immer mehr auseinander driften. Durch die Kluft zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen geht auch die Vorstellung über gemeinsame Werte zurück. Hinte beschreibt für die Zeit ab Mitte der 1990er Spaltung und Desintegration als prägende Elemente in Deutschland. Er sieht in der » „Spaltung des unteren Drittels der Gesellschaft" in eine Vielzahl konkurrierender, sich bekämpfender und sich gegenseitig bedrohender Grüppchen und Subkulturen“ eine in ihren Auswirkungen dramatische Entwicklung  (Hinte, » http://orae.fes.de:8081/fes/docs/BUERGER/Hinte4.htm). Die Bedeutung des Gemeinwesens wächst angesichts dieser gesellschaftlichen Veränderungen. » Gemeinschaft wird unter anderen Vorzeichen als ein möglicher Lern- und Handlungsrahmen wiedererkannt, um lebenspraktische Probleme besser bewältigen zu können.


Ziele

Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip hat das Ziel, die Lebenssituation der Bewohner im Stadtteil zu verbessern, wobei die Menschen einerseits durch Beziehungsarbeit und andererseits durch Ressourcenerschließung unterstützt werden. Das bedeutet, die Selbstbestimmung handelnder Subjekte zu fördern und deren Wünsche und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Die Lebenswelt soll ganzheitlich erfasst werden, da ein enger Zusammenhang zwischen persönlichen, sozialen, materiellen sowie infrastrukturellen Umständen besteht, die eine Einheit bilden. Die vorhandenen Ressourcen im Stadtteil sollen genutzt, zusammengeführt und unterstützt werden. Ressourcen sind die im Stadtteil lebenden Bewohner, Gemeindepfarrer, aber auch Politiker und Sozialarbeiter. GWA will Übersetzungsarbeit leisten und dient als Vermittlungsinstanz für den Ideentransfer zwischen den Institutionen und dem realen Leben im Stadtteil. Die Aufgabe der Gemeinwesenarbeit liegt darin, den Menschen in ihrer Lebenswelt eine Stimme zu geben, damit sie nach ihren Bedürfnissen handeln können. „Um die Aufgeschlossenheit des Bürgers und sein Kommunikationsbedürfnis in eine soziale Aktivität umzusetzen, bedarf es allerdings eines organisierten Prozesses des Anknüpfens an Initiativen und der Vernetzung der verschiedensten, zunächst partikularen und auch parteiischen Mitwirkung“ (Wendt, 1985, S. 60). Das bedeutet, Bürgeraktivitäten zu initiieren und somit die Anliegen der Bewohner aufzugreifen und an Politiker oder Fachleute weiterzuleiten.
Für den Ansatz der Stadtteilbezogenen Arbeit hingegen liegt der Schwerpunkt in der praktischen Herangehensweise auf Projekten, die direkt im Stadtteil entstehen, um dort die Eigeninitiative und Selbsthilfekräfte zu integrieren.  Dahinter steht die Position, dass ein Problem nicht von außen als ein solches definiert werden soll, sondern vielmehr die Menschen, die im Sozialraum leben, es als solches deklarieren. Diese für wichtig erachteten Themen werden aufgegriffen, um so die Selbstorganisation zu fördern. Hinte polemisiert gegen alte Formeln der Parteilichkeit und Solidarität, da sie keine Antworten auf die Fragen der lokalen Probleme geben. Oelschlägel hingegen sieht gerade darin die Anforderungen an die GWA, um den Individualisierungs- und Entsolidarisierungstendenzen in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Bei seinem Ansatz geht es  daher darum, Räume zur Verfügung zu stellen, um Gelegenheit für Kommunikation zu schaffen (Oelschlägel in Hinte u.a., 2001, S. 111).

Grafik: Holubec 2003

Seit den 1990er Jahren erfährt » Sozialraumorientierung bei der Ausbildung des Arbeitsprinzips eine immer größere Beachtung. Die leitenden Elemente und Methoden finden sich in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern wieder. Hier ist es ein Ziel, der Mehrdimensionalität von Problemen gerecht zu werden sowie widersprüchliche Ambitionen der verschiedenen Personen aufzugreifen.


Leitbilder

Bis Anfang der 1980er Jahre wurde in der GWA von einer „Doppelrolle“ des Gemeinwesenarbeiters ausgegangen, also einerseits im Auftrag des jeweiligen Trägers und andererseits als „Anwalt der Betroffenen“ zu agieren. Für das Arbeitsprinzip sind „Einmischung“ und „Skandalisierung“ nun neue Schlüsselbegriffe. Der Terminus „Einmischung“ wurde von Ingrid Mielenz maßgeblich geprägt und wird als eine Strategie beschrieben, nach der sich Professionelle, Verwaltung und Betroffene an Planungsprozessen und konkreten Projekten beteiligen und auch Selbsthilfeaktivitäten im lokalen Umfeld initiieren. Die Zuspitzung führt zur „Skandalisierung“, mit welcher Versäumnisse der staatlichen und kommunalen Politik öffentlich gemacht und konkrete Probleme benannt werden sollen (Oelschlägel in Bitzan/Klöck, 1994, S. 18 f.).
Oelschlägel plädiert für das Anwenden politischer Strategien, wie Einmischung und Skandalisierung, immer im Hinblick auf die lokalen Bedingungen. Er sieht den zentralen Aspekt von GWA darin, die Menschen in ihrer Lebenswelt zu aktivieren, damit diese die Kontrolle über ihre Lebensverhältnisse (wieder-) erlangen. Die spezifischen und differierenden Interessen der Menschen sowie deren Lebensbedingungen werden einbezogen. Sie sollen zu Subjekten politisch aktiven Lernens und Handelns werden, wobei die pädagogische Einflussnahme nicht auf die einzelnen Individuen gerichtet ist (Oelschlägel in Hinte u.a., 2001, S. 101). Auf der Subjekt-Subjekt-Ebene sind die » Betroffenen Experten ihrer Situation und deren Blick, Erklärung und Erfassung der Lebenswelt ist entscheidend für mögliches Handeln. Dem angepasst ist die » Rolle des Gemeinwesenarbeiters, der nicht seine Vorstellungen belehrend vermitteln soll. Die Lebenswelt ist als Erfahrungsraum der Menschen zu verstehen unter Berücksichtigung des Eigenleben der jeweiligen Stadtteile. GWA leistet also Kultur- und Vermittlungsarbeit, stellt Infrastruktur zur Verfügung und unterstützt den Aufbau tragfähiger Beziehungen. Dies ist nach dem Verständnis von Oelschlägel eine pädagogische Vorgehensweise, die jedoch nicht belehrend und von Zurückhaltung geprägt ist. Sein Ansatz steht für Parteilichkeit gegenüber der Seite mit weniger Macht.
Seit Mitte der 1980er vollzog sich in der sozialen Arbeit ein Perspektivwechsel. Professionelle sollen sich nicht mehr einmischen, therapeutisieren oder interpretieren, sondern vermittelnd, erklärend sowie organisierend vorgehen. Positionen, die Sozialarbeiter als intermediäre Instanz begreifen, heben die vermittelnden Aufgaben hervor. Die Autoren Mohrlok u.a. unterstützen die Bestrebungen von Hinte, von dem pädagogischen Ansatz in der Sozialarbeit abzurücken, da dieser zu Stigmatisierungen führt und die Adressaten von Sozialarbeit zu hilfebedürftigen Klienten macht (Mohrlok u.a., 1993, S. 100). Hinte gründete seinen Ansatz der Stadtteilbezogenen Arbeit auf den Grundsätzen einer » non-direktiven Pädagogik. In einer klaren kooperativen Haltung zu den Bewohnern stellt er die eigenen Interessen zurück. Die Eigenbestrebungen der Menschen sollen dagegen konsequent im Vordergrund stehen.


Umsetzung

Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip ist ein methodenintegrierender und interdisziplinärer Handlungsansatz. Das Ziel der GWA, sich für die Lebensbedingungen im Sozialraum zu engagieren, erfordert einerseits die Sozial- und Lebensraumorientierung, was eine Verankerung im Stadtteil bedingt, und andererseits die Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene. Das bedeutet für die Arbeit in GWA-Projekten, nicht nach einem Regelkatalog vorgehen zu können.
Nach dem Prinzip der Ganzheitlichkeit sind die spezifischen Merkmale des Sozialraums zu beachten. Um die Menschen zu aktivieren, sich für ihre Belange einzusetzen, muss mit möglichst vielen Menschen Kontakt aufgenommen werden. GWA bietet bis heute sinnvolle Dienstleistungsangebote an, die den Bewohnern Unterstützung sowie Infrastruktur ermöglichen. Dabei geht es um materielle Ressourcen, beispielsweise gemeinsame Ämterfahrten, oder darum, diverse Räume zur Verfügung zu stellen, aber auch um das Anbieten personeller Ressourcen in Form von Beratungs- oder Betreuungsangeboten. Netzwerkarbeit ist wesentlich, um die persönlichen sozialen Netze zu erweitern, in denen gegenseitige Unterstützung und emotionaler Austausch stattfinden kann. Wenn Gemeinwesenorientierung als ein allgemeiner Handlungsansatz begriffen wird, muss bei der konkreten Arbeit mit den Adressaten von Sozialarbeit deren Lebensumfeld einbezogen werden. Für die Arbeit in Beratungsstellen heißt dies, nicht nur beratend tätig zu werden, sondern die Situation im jeweiligen Umfeld mit zu berücksichtigen. Lebens- und Wohnbedingungen, Bevölkerungsstruktur sowie soziale Probleme werden in die Interventionsstrategien einbezogen, um adäquate Problemlösungen zu ermöglichen. Das erfordert bis dato eine konsequente Umstrukturierung sozialer Einrichtungen und Dienste (Mohrlok u.a., 1993, S. 95).  Seit den 80er Jahren findet im Zusammenhang mit der Zunahme der sozialen Probleme ein Umdenken in der » Stadtentwicklung und der Sozialpolitik statt mit der Konsequenz einer erhöhten Aufmerksamkeit von sozialräumlichen Strategien. Dies geschah insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um die Neustrukturierung sozialer Dienste im Rahmen der » Neuen Steuerung. Unter den Maximen der Gemeinwesenorientierung, der Betroffenennähe und des Lebensweltbezugs wurden die traditionellen Strukturen von Fürsorge – Trennung von Innen- und Außendienst – aufgelöst. Mittlerweile ist Gemeinwesenorientierung als Ansatz auch unter anderen Begrifflichkeiten in den verschiedensten Programmen enthalten. Die zentralen Elemente der Bürgerbeteiligung und Sozialraumorientierung finden sich hier wieder. Interventionsstrategien nach diesen Grundsätzen haben sich auch in den Bereichen der Erwachsenenbildung an Volkshochschulen oder in der gemeindenahen Psychiatrie durchgesetzt. 


Gemeindepsychiatrie

Gemeindepsychiatrie geht davon aus, dass psychische Leiden in der Gemeinde entstehen und daher auch hier aufgefangen, gelindert, behoben oder verhindert werden müssen. Da Menschen ganzheitliche Wesen sind, ist Gesundheit nicht losgelöst von der sie umgebenden Situation zu betrachten. Daher ist eine kontextuelle Behandlung angebracht, was bei außerklinischen Nachbehandlungen den Einbezug des Familien- und Lebensumfeldes erforderlich macht. Rehabilitationsprogramme sind unter Beteiligung kommunaler Strukturen und sozialer Einrichtungen aufzubauen. Dafür ist eine Kontaktaufnahme und intensive Zusammenarbeit mit verschiedenen Ämtern und Institutionen notwendig. Gemeindepsychiatrische Ansätze stehen für die Forderungen nach der Kommunalisierung psychosozialer Dienste. Bei dem Ausbau eines gemeindenahen nachstationären Versorgungssystems kann und sollte GWA Übersetzungsarbeit leisten. Das erfordert die Vermittelung und Moderation zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansprüchen. Bei der Rehabilitation von psychisch Kranken ist soziale Integration eine wichtige Aufgabe. Des weiteren geht es darum, die Menschen zu begleiten und zu unterstützen, um adäquate Arbeitsbedingungen zu finden. Den Anforderungen versucht das Konzept der » Gemeinwesenökonomie gerecht zu werden, in dem Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten im Gemeinwesen geschaffen werden, die beispielsweise wirtschaftliche Eigenaktivitäten ermöglichen.


Gemeindenahe Volkshochschule

In Anbetracht der finanziellen Situation der Kommunen und Gemeinden und des strukturellen Wandels dieser können Volkshochschulen den Part der Erwachsenenbildung unter Einbezug von GWA-Grundsätzen verstärkt übernehmen. Neben der klassischen Bedeutung von Volkshochschulen als individuelle Lern- und Lebenshilfe gewinnt Gemeinwesenorientierung wegen ihrer politischen, kulturellen sowie ökonomischen Funktion zunehmend an Bedeutung. Lebensweltorientierung findet ihren Ausdruck in der Möglichkeit der Erwachsenenbildung im „Lernen vor Ort“. An den Bedürfnissen der Bewohner orientiert, geht es – in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Institutionen und an die örtlichen Gegebenheiten angepasst – um das Finden gemeinwesenorientierter Antworten auf regionale Entwicklungs- und Standortfragen. Die Volkshochschule fungiert hierbei als Vermittlungsinstanz zwischen den verschiedenen Ansprüchen, Vorstellungen und Sachzwängen. GWA will Vernetzungsarbeit leisten, um kulturelle, ökonomische, personelle sowie politische Ressourcen zusammen zu bringen und nutzbar zu machen. Die Menschen sollen gefördert und aktiviert werden, da regionale Entwicklung und Veränderungen nicht angeordnet werden können, sondern von der Bürgerbeteiligung und dem Engagement abhängen. Die Chance der öffentlich subventionierten Erwachsenenbildung in gemeindenahen Volkshochschulen besteht auch in der Kontaktaufnahme zwischen verschiedenen im Stadtteil lebenden Gruppen, was solidarische Verhaltensweisen fördert. In einer » gemeindeökologischen Kampagne in Langenau beispielsweise standen aktions- und gemeinwesenorientierte Veranstaltungen im Mittelpunkt, um gemeinwesenorientierte Antworten auf die gesellschaftlichen Schlüsselfragen des Umweltschutzes auf lokaler Ebene zu finden. Diese Kampagne wurde durch die örtliche Volkshochschule begleitet und in Zusammenarbeit mit der Verwaltung, dem Landratsamt sowie der Sparkasse mit dem Ziel durchgeführt, für ökologische Belange in der Gemeinde zu sensibilisieren (Klemm, » http://www.lpb.bwue.de/publikat/land/land6.htm).


Methoden der Gemeinwesenarbeit

Das Wohl des Gemeinwesens und das der Bewohner liegen eng beieinander, daher müssen Themen sowie Meinungen erforscht werden, um gemeinsame Lösungsstrategien zu entwickeln. In die Arbeitsweise des Prinzips werden verschiedene Methoden integriert. Neben denen der Sozialpädagogik  finden Strategien aus der empirischen Sozialforschung, beispielsweise die Aktionsforschung sowie die » aktivierende Befragung, Eingang, aber auch politische Arbeitsweisen wie » Bürgerversammlungen oder Stadtteilkonferenzen. Aktionsforschung, ein Begriff, der auf Kurt Lewins Ansatz „action research“ zurück geht, ist für die Gemeinwesenarbeit eine wesentliche Forschungsstrategie, da durch sie „ein Forschungsteam in einem sozialen Beziehungsgefüge in Kooperation mit den betroffenen Personen aufgrund einer ersten Analyse Veränderungsprozesse in Gang setzt, beschreibt, kontrolliert und auf ihre Effektivität zur Lösung eines bestimmten Problems hin beurteilt“ (Pieper zitiert in Hinte/Karas, 1989, S. 42). Bevorzugte Instrumente sind teilnehmende Untersuchungen, Interviews oder Aktionsuntersuchungen (Hinte/Karas, 1989, S. 42). Um Informationen über das Gemeinwesen zu erhalten, eignet sich eine » Stadtteilanalyse, die der Aktionsuntersuchung vorgeschaltet ist. Dabei geht es neben dem Sammeln objektiver Faktoren um Meinungen sowie das Erfassen des emotionalen Klimas, aber auch um örtliche Führer oder potentielle Interessenten im Stadtteil. Die Hauptuntersuchung besteht aus der » Experten- und » Betroffenenbefragung, die in der Regel als Einzelinterview geführt wird. Die Hauptuntersuchung mündet in eine Bürgerversammlung, die ein „wichtiges Forum für Solidarisierungs- und Organisierungsprozesse unter den betroffenen Bürgern“ ist (Hinte/Karas, 1989, S. 61).


Historische Bedeutung

Gemeinwesenarbeit hat sich als ein Handlungsprinzip fast im gesamten Bereich der Sozialarbeit ausgedehnt und bietet Ansätze für zahlreiche Orientierungen. Das Prinzip der Gemeinwesenorientierung findet sich auch in weiterentwickelter Form im Ansatz der Sozialen Stadtteilarbeit wieder, wobei sich beide Ansätze in der Praxis zunehmend angenähert haben und teilweise synonyme Verwendung finden. » Dieter Oelschlägel und Wolfgang Hinte prägten die Diskussion in den vergangenen Jahren maßgeblich, was für die Entwicklung des Arbeitsprinzips förderlich war.
GWA hat in Folge der Umstrukturierung der Städte neue Chancen, urbane Strategien und Projekte zu verwirklichen. Da Kommunen zunehmend unter Handlungsdruck geraten, ist auch ein Umdenken in der GWA gefordert. Menschen werden verstärkt auf ihre unmittelbare Lebenswelt zurückgeworfen, die ein Ort der Teilhabe und der Existenzsicherung sein sollte. Andererseits steigt der Bedarf an sozialen Dienstleistungen und im Bereich der Infrastruktur. Diese beiden Stränge führt » Gemeinwesenökonomie zusammen und bietet neue Chancen für Projekte und Modelle der GWA. » Die Auseinandersetzung um Stadt und Stadtentwicklung rückte mehr in den Mittelpunkt der Gemeinwesenarbeit. Dies geschah, weil Stadtentwicklungspolitik als bedeutsame gesellschaftliche Funktion erkannt wurde und die damit verbundenen Chancen der GWA, tätig zu sein. Ein Umdenken, weg von traditionellen Vorstellungen, ermöglicht neue innovative Projekte, die mit gemeinwesenorientierten Strategien verwirklicht werden können.
Es ist zu konstatieren, dass sich Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip mittlerweile auch zu einem allgemeinen Strukturprinzip ausgebildet hat. Mit der Ausweitung werden Bürgernähe und –beteiligung übergreifende wesentliche Elemente. Das neue Kinder- und Jugendhilfegesetz zog 1991 genau aus diesem Anspruch die Konsequenz, die Durchsetzung des Partizipationsgedankens zu einem Recht aller Handelnden festzuschreiben. Es wird ausdrücklich die Beteiligung der Klienten gefordert und ihre Mitbestimmungsrechte wurden juristisch abgesichert. Der Hilfeplan steht für ein Erziehungskonzept, mit dem an einer gemeinsamen Problemlösung gearbeitet wird, um bedarfsgerechte Ressourcen zu erschließen. Die Tendenz, mehr auf Mitwirkung und » Empowerment zu setzen, ist einerseits notwendig, um die betroffene Menschen als handelnde Subjekte ernst zu nehmen. Andererseits sieht der Staat darin auch eine Chance, die ihn immer mehr aus seiner Verantwortung entbindet, indem er an die Eigenverantwortung und die Ressourcen appelliert.


Übungsfragen

  • Beschreiben Sie die Entwicklung der GWA als 3. Methode zu einem Arbeitsprinzip.
  • Boulet, Krauß und Oelschlägel arbeiteten drei Dimensionen des Arbeitsprinzips heraus. Welche sind das und inwieweit unterscheiden diese sich in ihrem Zugang?
  • Vergleichen Sie die Aufgabenverteilung innerhalb des Konzepts des Arbeitsprinzips zwischen Bewohnern und Gemeinwesenarbeitern, die in einem Stadtteil beratend tätig sind.
  • Gemeinwesenarbeit als ein Arbeitsprinzip findet sich in unterschiedlichen Handlungskonzepten wieder. Welche gemeinsamen Merkmale weisen diese auf?
  • Wolfgang Hinte grenzte sich mit dem Ansatz der „Stadtteilbezogenen Sozialen Arbeit“ vehement von der GWA ab. Wo sehen Sie die Unterschiede zur Gemeinwesenarbeit?
  • Mitte der 80er Jahre veränderten sich mit der Entwicklung der GWA zu einem Arbeitsprinzip auch die Leitbilder. Stellen Sie diesen Prozess im Hinblick auf die gesellschaftlichen Veränderungen dar.
  • Beschreiben Sie ein Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit wo Elemente, des Arbeitsprinzips ihre Anwendung finden.
  • In die Arbeitsweise des Prinzips werden verschieden Methoden integriert. Beschreiben Sie zwei methodische Herangehensweisen, um einen Stadtteil und seine Bewohner kennenzulernen