‘Quartiersaufbau’ als Beitrag der Sozialarbeit zum Aufbau neuer Wohnquartiere

Dr. Konrad Maier ist Professor für Politikwissenschaft an der Evang. Fachhochschule Freiburg und Leiter des Projektes ‘Quartiersaufbau Rieselfeld’.

Inhalt:


Die großen Stadterweiterungsprogramme der 60er und frühen 70er Jahre haben teilweise eine sehr problematische Entwicklung genommen: Durch das enorme wirtschaftliche Wachstum der 50er und 60er Jahre mit einer bemerkenswerten Zunahme der Kaufkraft breitester Gesellschaftsschichten war eine enorme Nachfrage nach "modernen" Wohnungen entstanden (mit Bad und Balkon). Um diesen Bedarf zu decken und zugleich die Zuwanderer mit Wohnungen zu versorgen waren auf der grünen Wiese Neubaustadtteile hochgezogen worden, die sich städtebaulich überwiegend an den Konzepten der 20er und 30er Jahre (Charta von Athen) orientierten. Eine Monokultur von Sozialwohnungen hat in Verbindung mit einer hohen Wohndichte und einer schlechten Bauqualität viele dieser "modernen" Trabantenstädte zu sozial hoch belasteten Gebieten werden lassen, in denen dann mit aufwendiger Sozialarbeit versucht wurde und wird, Einzelnen und Familien eine "normale" Lebensführung zu ermöglichen und das Wohngebiet insgesamt als "Sozialraum" und "Gemeinwesen" zu stabilisieren.


Die Planung neuer Stadtteile als Herausforderung an die Soziale Arbeit

Freiburg im Breisgau gehört zu den ersten deutschen Städten, die Anfang der 90er Jahre mit der Planung eines urbanen Stadtteils auf der grünen Wiese begannen. Die erneute Planung verdichteter Stadtteile zur Behebung der Wohnungsnot, insbesondere von sozial Schwächeren, fordert die Soziale Arbeit insgesamt heraus, ihre vielfältigen Erfahrungen aus der Gemeinwesenarbeit aufzubereiten und in die Planung dieser neuen Stadtteile einzubringen.

Im Studienjahr 1992/93 befaßte sich ein Projektseminar an der Evang. Fachhochschule erstmals mit der Planung des neuen Freiburger Stadtteils Rieselfeld. Nach einer Sichtung der einschlägigen Literatur sowie neuerer Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Sozialwissenschaften und der Stadtplanung wurden sehr schnell Grundforderungen für die Planung eines neuen Stadtteiles erkennbar:

  • der Verzicht auf eine Massierung von Sozialwohnungen und eine Durchmischung unterschiedlicher Eigentumsformen;
  • die Schaffung überschaubarer Quartiere, in denen sich Identifikation und "Heimat" entwickeln kann;
  • eine Durchmischung des Mietwohnungsbaus mit selbstgenutztem Wohneigentum
  • die gezielte Förderung einer kleinräumigen Infrastruktur von Geschäften und Dienstleistungen, die ein dichtes Netz von "alltäglichen Helfern" (im Sinne von Nestmann 1988) bieten können;
  • die Schaffung von Gemeinschaftsräumen (wie sie beispielhaft im Rahmen der internationalen Bauaustellung Emscherpark geplant sind, wo je nach Projekt ein bis drei Prozent der Gesamtwohnfläche für Gemeinschaftsräume zur Verfügung stehen);
  • eine möglichst weitgehende Beteiligung der Bewohner an der Ausgestaltung des Stadtteils.

Das Konzept "Quartiersaufbau"

Die Eckpunkte des Konzeptes lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Eine zentrale Voraussetzung für gelingenden Alltag (Thiersch 1986) und eine lebendiges Gemeinwesen, das in der Lage ist, auch sozial Schwächere bzw. Menschen in schwierigen Situationen mit zu tragen (Hummel 1982) ist eine tragfähige Alltagskultur. Alltagskultur wird hier verstanden als ein System von erkennbaren Regeln und Traditionen, von selbstverständlichen Deutungs- und Handlungsmustern, die einerseits von den Bewohnern entwickelt und gelebt werden, andererseits aber von Neuhinzuziehenden und von Kindern und Jugendlichen als soziale Umwelt vorgefunden werden, erkennbar, bekannt und vermittelbar sind. Zumindest im Sinne von Hypothesen lassen sich 6 Dimensionen von "tragfähiger Alltagskultur" formulieren, die für die sozialarbeiterische Praxis die Funktion von hinreichend präzisen Handlungszielen haben:

  • Aufbau von Kommunikationsstrukturen und Kommunikationsmöglichkeiten
  • Die Entwicklung eines Systems von Hilfen im Alltag
  • Die Entwicklung von Regeln für ein ziviles Verhalten im Wohnumfeld und im Stadtteil
  • Aufbau einer Soziokultur im Stadtteil
  • Mitbestimmung über die Ausgestaltung des Wohnnahumfeldes und des Stadtteils
  • Identifikation mit dem Quartier / das Quartier als Heimat

Zentrale Methode zur Entwicklung von Alltagskultur ist die "Inszenierung des Sozialen": Die professionellen Sozialarbeiter inszenieren Kommunikation, gegenseitige Hilfe im Alltag, Konfliktregelungen, Mitbestimmung beim Ausbau des Stadtteils, soziokulturelle Aktivitäten, Aktionen zur Identifikation mit dem Stadtteil usw. Die Bewohner entscheiden durch ihre Reaktion darüber, welche Form und welchen Grad sozialer Kultur im Stadtteil von ihnen gewünscht wird, die Quartiersarbeiter reagieren durch jeweils neue Angebote und Inszenierung auf dem Hintergrund der Erfahrungen.

Grundannahme dieses Konzepts ist die Erwartung, daß sich in diesem komplexen Interaktionsprozeß zwischen professionellen QuartiersarbeiterInnen einerseits und den BewohnerInnen andererseits bestimmte Formen von Kommunikation, nachbarschaftlicher Hilfe, Soziokultur und Mitbestimmung zu einer Alltagskultur verdichten und sich die professionellen HelferInnen allmählich zurückziehen oder auf die Rolle von Moderatoren und Unterstützern beschränken können.

Dieses Verfahren erscheint für den "Quartiersaufbau" besonders geeignet, da es sich bei den Bedürfnissen, die durch Nachbarschaft, Wohnnahumfeld und Stadtteil befriedigt werden können, in sehr hohem Maße um kulturell vermittelte, "elastische" Bedürfnisse (Obrecht 1994; Staub-Bernasconi 1995, S. 129 ff) handelt. Gerade bei "elastischen" Bedürfnissen bietet das Verfahren von Inszenierungen und Reaktion der Bewohner erhebliche Vorteile:

  • es besteht die Chance, daß nicht nur bereits Bekanntes reproduziert wird, sondern auch ganz neue Bedürfnisse entdeckt werden;
  • durch die nonverbale Kommunikation haben auch Bewohner mit geringerer sprachlicher Artikulationsfähigkeit die Chance, mit zu agieren;
  • es werden nur Bedürfnisse artikuliert und bewußt gemacht, die durch Soziale Arbeit und ein soziales Umfeld auch befriedigt werden können.

Die Aufgabe des Quartiersaufbaus wird von einer intermediären Organisation übernommen, die im Auftrag der Stadt und von ihr finanziert arbeitet, jedoch innerhalb der Aufgabenstellung eigenständig tätig und an Weisungen nicht gebunden ist. Diese relative Unabhängigkeit und professionelle Autonomie ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die hauptamtlich Tätigen von den Bewohnern als Partner angenommen und die Rolle von Mediatoren glaubwürdig wird. Der Auftrag an die intermediäre Organisation ist zeitlich begrenzt und mündet in eine Organisation des sozialen und kulturellen Lebens im Stadtteil, die idealiter sich selbst trägt, nach allen Erfahrungen (insbesondere auch der skandinavischen Milieuarbeit) jedoch eine begrenzte professionelle Unterstützung braucht in Form eines dauerhaften Unterstützungsmanagements.


Bisherige Erfahrungen

Dieses Grundkonzept hat sich im Rückblick auf die ersten drei Jahre durchaus bewährt. Eine Grundannahme mußte jedoch revidiert werden. Wir gingen davon aus, daß die vielfältigen Probleme einer Großbaustelle hinreichend Anlaß bieten für Kommunikation, Konflikt und Kooperation, daß sich in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung viele Möglichkeiten der Einbeziehung der Bewohner in den Ausbau des Stadtteils und der Mitbestimmung eröffnen. Auf diesem Hintergrund erhofften wir, daß sich in einer "Pioniergeneration" relativ schnell eine Alltagskultur entwickelt, die auch von Nachziehenden übernommen und weitergetragen würde.

Bei dieser Annahme wurde die Perfektion moderner Bauplanung und Bauabwicklung völlig falsch eingeschätzt, das hohe Engagement des städtischen Projektmanagement griff sichtbarwerdende Probleme rasch auf und schaffte in der Regel kurzfristig Abhilfe, bevor Bewohner das Problem als ihr eigenes wahrnehmen und sich eine entsprechende Reaktion aufbauen konnte. Zugleich ist die Planung so engmaschig, langfristig angelegt und meist in einer frühen Phase rechtlich abgesichert, daß spontane Intervention und Mitbestimmung der Bewohner kaum möglich ist. Zugleich mußten wir mehrfach feststellen, daß bei den Planern Mitbestimmung der Nutzer zwar verbal als hohes Ziel immer wieder beschworen wird, daß aber im konkreten Alltag die Einbeziehung von Nutzern - sobald sie über die Erzielung von Akzeptanz für die eigene Planung hinaus geht - als lästig und die Qualität der Planung gefährdend empfunden wird. Aber auch die Bereitschaft und das Interesse der Bewohner zur Mitwirkung beim Aufbau des neuen Stadtteils über die unmittelbaren Belange der eigenen Wohnung hinaus erwiesen sich sehr viel geringer als erwartet.

Auf dem Rieselfeld konnten wir durchaus Ansätze einer "Pioniersituation" und einer "Pioniergeneration" feststellen. Insgesamt zeigte sich jedoch in einem frühen Stadium unseres Projekts, daß die Entwicklung einer Alltagskultur über das Medium des Aufbaus des Stadtteils und eine "Pioniersituation" nicht stattfindet. An die Stelle der ursprünglich vermuteten naturwüchsigen Anlässe und Kristallationspunkte für die Herausbildung von Alltagskultur mußten deswegen bewußt intendierte Inszenierungen des Sozialen treten.

Auf dem Hintergrund dieser ersten - sehr wichtigen - Erfahrung mußten verstärkt andere Medien zur Erreichung der formulierten Ziele eingesetzt werden. Die Sozialarbeiter konnten viel weniger als ursprünglich geplant an von außen - aus dem Aufbau des Stadtteils sich ergebende - Situationen anknüpfen, sie mußten in sehr viel stärkerem Maße selbst gestaltend aktiv werden.

So wurde bereits im Vorfeld ein gemeinnütziger Verein gegründet mit dem Namen ‘K.I.O.S.K. auf dem Rieselfeld’ (dabei steht K für Kontakt, I für Information, O für Organisation, S für Selbsthilfe und K für Kultur). Mit dem Namen - wie auch dem gesamten Erscheinungsbild - wird versucht, alle Assoziationen zu Sozialarbeit zu vermeiden. Der Verein dient zunächst zur organisatorischen Abwicklung der Aktivitäten des Projektes Quartiersaufbau, zugleich bietet er sich an als Kristallisationspunkt für eine Stadtteilkonferenz wie auch - längerfristig - als organisatorischer Rahmen für einen Bürgerverein o. ä. Deswegen wurde der zukünftige Pfarrer und engagierte zukünftige BewohnerInnen neben den MitarbeiterInnen von K.I.O.S.K. als Gründungsmitglieder gewonnen, der Personenkreis der z. B. in der skandinavischen Milieuarbeit zu einer "Stadtteilkonferenz" gehört, soll in diesem Verein zusammen mit engagierten BewohnerInnen die "aktiven Mitglieder" bilden.

Bereits vor Bezug der ersten Wohnungen war K.I.O.S.K mit einem Bauwagen an den Wochenenden auf der Baustelle präsent. Angeboten wurden Getränke, Eis, Spiele für Kinder und Informationen für zukünftige BewohnerInnen und Besucher, die einen Umzug ins Rieselfeld erwägen. Zwar ging es bei diesen Aktionen primär um eine erste Öffentlichkeitsarbeit, es ergaben sich jedoch auch vielfältige Gespräche und erste Kontakte zwischen MitarbeiterInnen und zukünftigen BewohnerInnen wie auch zwischen zukünftigen BewohnerInnen.

Ebenso erschien bereits vor Bezug der ersten Wohnungen eine erste Stadtteilzeitung (für die zukünftigen Bewohner). Am Beispiel der Stadtteilzeitung wird die Grundidee des Projektes Quartiersaufbau Rieselfeld paradigmatisch deutlich: Von professionellen "QuartiersarbeiterInnen" wird das Kommunikationsinstrument Stadtteilzeitung entwickelt, werden die finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen aufgebaut und zunächst exemplarisch mit Inhalten gefüllt. Sukzessive werden die BewohnerInnen in diese Arbeit einbezogen, so daß längerfristig diese Zeitung auch ohne professionelle Unterstützung erscheinen kann.

Im Dezember 1996 eröffnete K.I.O.S.K. im ersten fertiggestellten Ladenlokal sein Quartier im Stadtteil. Neben den üblichen Aktivitäten eines "Gemeinschaftszentrums", "Nachbarschaftstreffs" oder "Stadtteilbüros" (diese Begriffe werden bewußt vermieden), betreibt K.I.O.S.K. e.V. einen Kiosk für das, was es auf dem Rieselfeld noch nicht gibt. Das Sortiment war in der Anfangszeit recht breit: von Fahrkarten für den ÖPNV über Eis, Brötchen und Getränke bis zu Zeitschriften und Toilettenartikeln und Schreibwaren, und dies in Verbindung mit einem Tagescafé . Grundgedanke dabei ist, daß frau/man kurz etwas einkauft, daneben eine Tasse Kaffe trinkt und sich dabei eher nebenbei das entwickelt, was Ziel des "Quartiersaufbaus" ist: Kommunikation, Hilfe im Alltag, Selbsthilfe, Diskussion der Probleme Großbaustelle u. ä.

Das Angebot von K.I.O.S.K. für den Alltagsbedarf und Cafébetrieb wurde von Anfang an so gut angenommen, daß die Miet- und Sachkosten aus dem Wirtschaftsbetrieb weithin aufgebracht können. Der Verkauf ist mit dem Ausbau der kommerziellen Infrastruktur mit Ausnahme von Geschenkartikeln ("Rieselfeld-Fan-Artikel") nur noch von geringer Bedeutung, es zeichnet sich jedoch ab, daß ein ganztägig geöffneter Cafébetrieb, der sich weithin selbst trägt, zur Dauereinrichtung im neuen Stadtteil werden kann. Eine zunehmende Bedeutung erhält der K.I.O.S.K.-Laden (der inzwischen in ein größeres Ladenlokal im zweiten Bauabschnitt umgezogen ist) als Raum für Veranstaltungen unterschiedlichster Art, insbesondere auch für Familienfeste und private Feiern.

Ein besonderes Angebot von K.I.O.S.K. ist eine integrierte Ausleih-, Tausch- und Talentbörse. Durch ein mehrjähriges professionelles Management in einem täglich geöffneten Ladenlokal wird versucht, dieses immer wieder proklamierte und häufig gescheiterte Konzept zu etablieren.


Zwischenbilanz nach vier Jahren

In den ersten vier Jahren der Arbeit ist durch die Tätigkeit von K.I.O.S.K. ein Netz von sozialen und kulturellen Angeboten entstanden, das in den Neubaustadtteilen der 60er und 70er Jahren häufig erst mit aufwendiger Gemeinwesenarbeit aufgebaut wurde, nachdem deutliche sozialen Schwierigkeiten sichtbar geworden waren:

  • Zentrale Bedeutung hat der K.I.O.S.K.-Laden. Das Konzept eines niedrigschwelligen Angebotes, in dem vielfältige Bedürfnisse des alltäglichen Lebens befriedigt werden können und bei dem die Entwicklung von Kommunikation, gegenseitiger Hilfe im Alltag Diskussion über die Probleme des Stadtteils, Information usw. sich gleichsam nebenbei entwickelt. Die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung durchgeführte Evaluation des K.I.O.S.K.-Ladens (Gabi Rimmele) zeigt sehr deutlich, daß hier ein Modell entwickelt und in einer ersten Phase erprobt wurde, das bisher im deutschen Sprachraum unbekannt ist und ohne Einschränkungen für den Aufbau neuer Stadtteile empfohlen werden kann.
  • Mit der Stadtteilzeitung, dem Monatsprogramm und den Forumsveranstaltungen wurde ein Informationssystem und Diskussionsforum entwickelt, das jedem Bewohner die Möglichkeit bietet, sich über die Entwicklung des Stadtteils zeitnah zu informieren und sich in den Diskurs um die Entwicklung des Stadtteils einzubringen.
  • Im Zusammenhang mit der Planung des Stadtteilparks konnte exemplarisch ein Beteiligungsverfahren angeboten werden, daß von einer begrenzten Zahl von Bewohnern intensiv genutzt und von den Verantwortlichen bei der Stadt Freiburg sehr positiv aufgenommen wurde. Es zeichnet sich ab, daß auch bei der Planung von Spielplätzen und insbesondere bei der Planung eines Gemeinschaftszentrums eine ähnliche Beteiligung der Bewohner möglich wird.
  • Der K.I.O.S.K.-Laden und die Tauschbörse boten viele Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfe zum Alltag. Die Vermittlung von diesbezüglichen Kontakten und Kontrakten ist sehr viel umfangreicher als es sich im Tauschring registrierten Tauschaktionen niederschlägt. Die Bildung von "Krabbelgruppen" steht beispielhaft für die Anregung vielfältiger Kooperation von Erziehenden.
  • Bereits nach wenigen Jahren hat sich eine bemerkenswerte Kultur des Feierns und der Feste entwickelt. Ein fester Bestandteil der entstehenden Soziokultur sind regelmäßige Ausstellungen im K.I.O.S.K.-Laden.
  • K.I.O.S.K. hat vermutlich einen erheblichen Beitrag geleistet zur Identifikation der Bewohner mit dem Stadtteil. Hierzu trugen nicht nur die unmittelbaren Aktivitäten bei (exemplarisch die Aktion Baumpatenschaften) sondern alleine die Existnez von K.I.O.S.K. und die Sichtbarkeit des Projektes Quartiersaufbau. In qualitativen Interviews ist deutlich geworden, daß K.I.O.S.K. als Hintergrundstruktur für viele, besonders auch für Hausbesitzer, eine beruhigende Funktion hat.

Diese breite Palette von Angeboten wird von den Bewohnern weithin angenommen und ist in der öffentlichen Meinung des Stadtteils durchaus positiv besetzt. Es handelt sich jedoch überwiegend um Komm-Strukturen, die mehr oder weniger intensiv genutzt werden. Getragen sind sie ganz überwiegend von den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von K.I.O.S.K.. In fast allen Angeboten von K.I.O.S.K. kann das jeweilige Angebot genutzt werden, ohne das etwas zur Reproduktion der sozialen Ressource geleistet werden muß.

Inzwischen konnten durchaus Bewohner gewonnen werden, die Verantwortung übernehmen:

  • Die Redaktion der Stadtteilzeitung wurde inzwischen von einer Gruppe von Bewohnern eigenverantwortlich übernommen; ein Mitglied der Redaktionsgruppe übernimmt die Herstellung der Druckvorlage und die Akquisition von Anzeigen (gegen ein begrenztes Erfolgshonorar);
  • Es bildete sich ein Kernteam für die Tauschbörse, das dieses System verantwortlich trägt;
  • Die Krabbelgruppen haben sich weithin verselbständigt und bedürfen nur noch einer begrenzten Unterstützung;
  • Für das Projekt "Baumpatenschaften" (jeder Baum auf dem Rieselfeld hat eine Patin) hat sich ein Kreis von Bewohnerinnen gebildet, die die Organisation dieses inzwischen stadtweit kopierten Programmes übernimmt;
  • Insbesondere für die Kinder- und Jugendarbeit hat sich ein Kreis von Ehrenamtlichen gefunden, die ein bemerkenswertes Programm für Kinder und Jugendliche anbieten;
  • Aus dem Jour-fix ist ein BürgerInnen-Verein entstanden, der eigenständig die Interessenvertretung des Stadtteils gegenüber der Stadtverwaltung übernimmt;

Insgesamt bleiben diese Aktivitäten jedoch auf einen relativ kleinen Kreis von Bewohnern beschränkt, die überwiegend der (unteren) Mittelschicht zuzuordnen sind. Sowohl von der zahlenmäßigen Größenordnung her wie auch von der sozialen Zusammensetzung entsprechen diejenigen, die im Stadtteil Verantwortung übernehmen vermutlich durchaus dem in vergleichbaren Stadtteilen üblichen Erscheinungsbild.

Angesichts des anspruchsvollen Zieles des Projekts Quartiersaufbau Rieselfeld, eine tragfähige Alltagskultur einschließlich einer Organisation der Bewohner, die das sozialen und kulturelle Leben im Stadtteil tragen, aufzubauen, ist dieses Ergebnis unbefriedigend, auch wenn man realistischer Weise davon ausgeht, daß dieses Ziel erst nach mehreren Jahren erreichbar ist und das die Soziale Arbeit nur im Zusammenwirken mit vielen Faktoren dieses Ziel erreichen kann.

Eine mögliche Erklärung liegt darin, daß die Mitarbeiter von K.I.O.S.K. entscheidend dazu beigetragen haben, daß ein attraktives Angebot von Konsummöglichkeiten und Dienstleistungen zur Verfügung steht, so daß wenig Anreiz und Herausforderung für die Bewohner besteht, selbst aktiv zu werden und Verantwortung zu übernehmen.

Eine andere Erklärung bietet möglicherweise das von uns beobachtete Phänomen der "sozialen Armut", das im Wohnnahbereich sichtbar wurde. In Verbindung mit den Entwicklungstheorien von Piaget und Wygotski ist es durchaus plausibel, daß ein Engagement für den Stadtteil oder die Gestaltung der Lebenswelt im sozialen Nahraum erst möglich ist, wenn im umittelbaren Wohnumfeld befriedigende sozialen Beziehungen und sozialen Handlungsmöglichkeiten vorhanden sind. Für diese Hypothese spricht, daß das Engagement im Stadtteil insgesamt überwiegend von Personen getragen wird, die in Baugruppen bereits eine entsprechende soziale Kultur entwickelt haben oder auf andere Weise auch in ihrem unmittelbaren Wohnnahumfeld über ein befriedigendes soziales Netz verfügen. Auf dem Hintergrund dieser Annahme wird es zur wichtigen Aufgabe des Projektes Quartiersaufbau, Formen zu entwickeln, wie die Handlungsziele auf der Ebene des Wohnnahumfeldes gefördert werden können.

Eine in ihrem Gewicht nur schwer abschätzbare Funktion hat K.I.O.S.K. und das Gesamtprojekt Quartiersaufbau Rieselfeld auch jenseits der unmittelbaren Aktivitäten im Stadtteil. Bereits 1993 haben die Kolloquien mit den Mitgliedern des Sozial- und Jugendausschusses und der späteren Projektgruppe Rieselfeld Perspektiven aus der Sicht der Sozialwissenschaft und der Sozialen Arbeit in die Planung eingebracht. Seit Beginn des Projekts ist das Projekt Quartiersaufbau Rieselfeld auf unterschiedlichen Ebenen durch formelle und informelle Kanäle in die Planung und Diskussion um das Rieselfeld involviert.

Diese Aktivitäten beschränken sich nicht nur auf kommunale Planungen: Insbesondere in den beiden Kirchen waren wir sehr frühzeitig in die Diskussion um die Planung des Gemeindeaufbaus einbezogen und die Tatsache, daß recht früh von beiden Kirchen eigene Gemeinden eingerichtet wurden, ist sicherlich auch auf unsere Aktivitäten zurückzuführen. Diese "anwaltschaftliche" Tätigkeit setzt sich mit dem wachsenden Stadtteil fort in einem permanenten Bemühen um Vernetzung der verschiedensten Organisationen: K.I.O.S.K. ist inzwischen eine zentrale "Agentur", in der mit Schulen, Kindertageseinrichtungen, großen Vereinen (z. B. Freiburger Turnerschaft), den städtischen Planern und auch den entstehenden Privatbetrieben die Belange des Gemeinwesens diskutiert und die unterschiedlichen Aktivitäten koordiniert werden.


Balancieren und Inszenieren: Die Aufgabe intermediärer Organisationen im Gemeinwesen

In der rückblickenden Reflexion der Aufgaben und Funktionen von K.I.O.S.K. als einer intermediären Organisation ist das folgende Schaubild entstanden:

Die Aufgaben und Funktionen einer intermediären Organisation zum Aufbau sozialer Strukturen in einem Neubaustadtteil lassen sich damit in drei unterschiedlichen Rollen fassen:

  1. Einer anwaltschaftlichen Tätigkeit, die in einem sehr frühen Stadium der Planung beginnt und die Aufgabe hat, sozialwissenschaftliche und sozialarbeiterische Erkenntnisse und Perspektiven in die Planung einzubringen. Sie setzt sich fort in dem schnellen Transport von auftauchenden Problemen und Wünschen der Bewohner an die zuständigen Stellen in der Stadtverwaltung und endet keineswegs mit der Beendigung der Baumaßnahmen sondern mündet in die Tätigkeit eines Stadtteilmanagements, das die Aufgabe hat, die verschiedenen Aktivitäten zu vernetzen, durch Synergieeffekte zu optimieren und damit bestmögliche Bedingungen für ein eigenständiges soziales und kulturelles Leben im Stadtteil zu schaffen.
  2. Die intermediäre Organisation stellt Dienstleistungen und Angebote zur Verfügung, die für die Bewohner wichtig sind, aber weder von ihnen selbst noch von kommerziellen Unternehmen oder der Kommune erbracht werden. In diesem Sinne hat K.I.O.S.K. in der bisherigen Aufbauphase sicherlich entscheidend dazu beigetragen, daß der Stadtteil von Anfang an von den Bewohnern als lebenswert empfunden und angenommen wurde.
  3. Die intermediäre Organisation in Neubaustadtteilen hat die Aufgabe, die Bewohner selbst zu befähigen und zu motivieren, Selbstverantwortung zu übernehmen und vom Konsumenten der Dienstleistungen der intermediären Organisation zu Trägern dieser Dienstleistungen zu werden und zugleich im Wohnnahbereich Verantwortung zu übernehmen für ein gutnachbarschaftliches Zusammenleben.

Diese unterschiedlichen Rollen der Sozialen Arbeit stehen in Idealkonkurrenz miteinander und die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Aufgaben begründet ein unauflösliches professionelles Dilemma:

  • Eine sehr effektive anwaltschaftliche Tätigkeit macht die Erbringung eigener Dienstleistungen vor Ort in der Tendenz überflüssig, insbesondere aber wirkt sie kontraproduktiv gegenüber dem Anliegen, daß die Bewohner selbst aktiv werden. Unsere Erfahrungen mit der Bewohnerbeteiligung bei der Planung des Stadtteils zeigen jedoch, daß eine intensive anwaltschaftliche Tätigkeit zugleich Voraussetzung dafür ist, daß Mitbestimmung und Mitarbeit von Bewohnern möglich wird. Ein zentrales Ergebnis unseres Projektes ist, daß eine Mitbestimmung der Bewohner beim Ausbau eines neuen Stadtteils nur möglich ist, wenn in einem sehr frühen Stadium der Planung (vor Verkauf der Grundstücke an Bauträger oder Bauherren) Unfertiges und der Gestaltung durch die Bewohner Überlassenes eingeplant wird. Inzwischen ist es eine wichtige Aufgabe der Projektmitarbeiter, den anderen Akteuren im Stadtteil (Schulen, Kindergärten, Stadtverwaltung, Volkshochschule u. ä.) zu vermitteln, daß es für das soziale Leben im Stadtteil von eminenter Bedeutung ist, nicht alles perfekt anzubieten, sondern Räume zu lassen und Anstöße zu bieten für die Selbstorganisation der Bewohner.
  • Dasselbe Dilemma zeigt sich im Verhältnis der Rolle des Erbringers von Dienstleistungen und des Motors für Selbstorganisation und die Übernahme von Verantwortung: Die Erfahrungen der Trabantenstädte der 60er und 70er Jahre zeigen, daß ohne das Angebot professioneller Dienste eine Selbstorganisation nicht entsteht, eine sehr gute Erbringung von Infrastrukturangeboten durch professionelle Sozialarbeit schwächt jedoch die Motivation für das eigene Engagement und die Übernahme von Verantwortung durch Bewohner ab.
  • Der aus der Arbeit von K.I.O.S.K heraus entstandene BürgerInnenverein fordert Dienstleistungen der professionellen Sozialarbeit ein, in dem er für den Betrieb des geplanten Gemeinschaftszentrums ein professionelles Management unter der Federführung der Bewohnerorganisation fordert. In ähnlicher Weise fordern die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit mehr professionelle Unterstützung und die Schaffung einer zusätzlichen Stelle für die Arbeit mit besonders schwierigen Jugendlichen. Die Erfüllung dieser Forderungen würde jedoch vermutlich langfristig das beträchtliche Engagement der Ehrenamtlichen wiederum schwächen.

In der bisherigen Entwicklung ist durchaus festzustellen, daß in der Frühphase die anwaltschaftliche Tätigkeit überwog, nach dem Einzug der ersten Bewohner bestimmte die Erbringung von Dienstleistungen und Angeboten durch die professionelle Sozialarbeit die Tätigkeit von K.I.O.S.K., zukünftig wird "Empowerment" und die Förderung von Eigenengagement einen immer breiteren Raum einnehmen.

Daraus ein Entwicklungsmodell im Sinne einer Einbahnstraße von der anwaltschaftlichen Tätigkeit über die Einbringung von Angeboten und Dienstleistungen durch Professionelle hin zu einer Beschränkung der professionellen Arbeit auf Empowerment zu formulieren, wäre auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen kurzschlüssig. Vermutlich muß eine intermediäre Instanz dauerhaft in allen drei Rollen gleichzeitig tätig werden. Dies entspricht durchaus den Erfahrungen der skandinavischen Milieuarbeit wie auch den Erfahrungen mit der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements in Baden-Württemberg.

Zentrale Aufgabe der Profession ist es, dieses "professionelle Dilemma" anzunehmen und das verantwortliche Handeln in dem skizzierten Spannungsfeld als spezifische Aufgabe Sozialer Arbeit zu begreifen und als spezifische Leistung der Profession in der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Dies erfordert den Verzicht auf eindimensionale Zielsetzungen oder die Herleitung des Handelns aus einer Rolle der Sozialarbeit. Weder eine konsequente Orientierung an dem Konzept "Empowerment" noch eine Verabsolutierung der politischen Anwaltschaft, noch eine noch so perfekte Erbringung von Dienstleistungen wird der komplexen Aufgabe eines Quartiersaufbaus gerecht.

Ins Zentrum sozialarbeiterischen Handelns rückt das verantwortliche Abwägen, mit welcher Strategie und in welcher Rolle die Sozialarbeit ihrer Aufgabe in der konkreten Situation am besten gerecht wird. Im Zentrum sozialarbeiterischen Könnens stehen damit nicht mehr bestimmte Methoden sondern die Analyse einer Problemlage und die Fähigkeit eine angemessene Strategie zu entwickeln.

Für eine so konzipierte Sozialarbeit eröffnet sich im Bereich der Stadterweiterung wie auch der Stadtsanierung ein weites Arbeitsfeld. Sowohl bei Stadtplanern wie bei der Bauwirtschaft wird die Bedeutung einer sozialen Begleitung in Neubau- oder Sanierungsmaßnahmen immer mehr erkannt. Wichtig ist, daß die Soziale Arbeit ihren Beitrag präzise beschreibt. Das in Feiburg entwickelte Konzept des Quartiersaufbaus mit einem dreidimensionalen Arbeitsansatz kann hierfür eine Grundlage bieten.


Literatur

Auf differenzierte Literaturhinweise wird verzichtet unter Verweis auf folgende Veröffentlichungen:

  • Konrad Maier (Hg.): Der Beitrag der Sozialarbeit zum Aufbau neuer Stadtteile. Materialien und Vorschläge zur Sozialplanung für den Freiburger Stadtteil Rieselfeld [Forschungs- und Projektberichte der Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg, Band 9] 212 S., Freiburg 1995
  • Konrad Maier (Hg.): Alltagskultur und Nachbarschaft als Aufgabe sozialer Arbeit. Projektbericht/Zwischenbericht im Rahmen des Bundesprogrammes zur "Förderung anwendungsorientierter Forschung an Fachhochschulen". (Manuskript Freiburg 1998)
  • Konrad Maier: Das Projekt "Quartiersaufbau Rieselfeld". Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens zum Aufbau sozialer Strukturen in Neubau-Stadtteilen, in: Erika Steinert u. a. (Hg.): Sozialarbeitsforschung: Was sie ist und leistet, Freiburg 1998, S. 67-85
  • Konrad Maier: Das Quartier, nicht der Bewohner ist der Klient. Das Konzept "Quartiersaufbau" im Freiburger Stadtteil Rieselfeld, in "Blätter der Wohlfahrtspflege" 3/97, S. 48-51
  • Konrad Maier/Peter Sommerfeld: Für einen konstruktiven Umgang mit professionellen Paradoxien. Entwicklung eines Modells konkurrierender Rollen der Sozialarbeit beim Aufbau einer tragfähigen Alltagskultur im Stadtteil, erscheint demnächst im Sozialmagazin.
  • Praxisforschung als Theoriebildung und Praxisentwicklung. Reflexionen zur Kooperation von Wissenschaft und Praxis am Beispiel des Projekts "Quartiersaufbau Rieselfeld", erscheint demnächst in Neue Praxis – Jahrbuch für empirische Sozialforschung, hrsg. von Hans-Uwe Otto.
  • Konrad Maier/Peter Sommerfeld: Die Gestaltung des Sozialen in neuen Wohnquartieren, erscheint demnächst als Bd. 18 der Forschungs- und Projektberichte der Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung.

Die Forschungs- und Projektberichte können bestellt werden bei der "Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg", Bugginger Straße 38, 79114 Freiburg. Tel. 0761/ 47812-43, Fax 0761/47812-22